Türchen 19

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Denn du trägst keine Liebe in dir
Nicht für mich und für irgendwen
Denn du trägst keine Liebe in dir
Dir nachzutrauern macht keinen Sinn mehr
Denn du trägst keine Liebe in dir
Dich zu vergessen war nicht sehr schwer
Denn du trägst keine Liebe in dir
— Du trägst keine Liebe in dir • Echt —

— Marie —

Flashback

Ich spürte seinen Atem an meinem Hals und seinen schweren Körper auf mir. Noch auf dem Weg hier her hatte ich gewusst, worauf das hinaus laufen würde.
Er wurde langsam ungeduldig und ich wollte ihn nicht auch noch verlieren.

„Ich will dich so sehr, Marie..."
Meine Zweifel wuchsen, als ich sah wie er sich das Kondom überstreifte und zwischen meine Schenkel glitt. Ich war nicht bereit hierfür.
„Warte bitte...ich...ich...es tut mir leid, aber ich glaube, ich kann das nicht."
„Was? Aber...", seine Stimme, die sich kurzzeitig erhöht hatte, wurde wieder samten, „...was ist denn los? Bedeute ich dir denn gar nichts, Süße?"
„Doch, doch, dass ist es auch nicht, aber..."
„...aber dann gibt es doch kein Aber mehr", seine Männlichkeit drängte sich beharrlich gegen meine Mitte, „Ich brauch dich so sehr, Marie, ich will dich..."

„Aber...warte bitte....nein", ich stöhnte vor Schmerzen auf, als er sich nun forsch in mich schob. Es tat furchtbar weh, weil ich total verkrampft war. Ich schlug mit den Händen gegen seinen Rücken, aber er war nicht bereit, sich aus mir zurück zu ziehen. Ganz im Gegenteil.
Er keuchte laut auf, als er sich so weit es ihm möglich war, in mich schob.
„Bitte nicht...bitte ich will nicht!"
„Shhhht das hier ist okay. Du liebst mich doch, oder?"
„Ja, aber..."
„...dann gibt es kein aber, Marie", bestimmte presste er seine Lippen auf meinen Mund, wobei er mir einen so festen Stoß versetzte, dass ich nur noch vor Schmerzen wimmern konnte. Wir waren ein Paar.
Irgendwie.
Es war normal, dass wir irgendwann miteinander schlafen würden. Vielleicht würde er tatsächlich bei mir bleiben; seine Frau für mich verlassen und ich wäre nicht mehr alleine. Kraftlos ließ ich meine Schenkel zu jeder Seite fallen, schaltete ab und wehrte mich nicht weiter...

Als er fertig war, rollte er sich von mir runter, um das Kondom zu entsorgen. Aber anstatt zurück ins Bett zu kommen, sah ich fassungslos dabei zu, wie er in seine Sachen sprang und mir 50 Euro für das Taxi zurück auf den Nachttisch warf.
„Kannst du nicht bleiben? Bitte?", verzweifelt hatte ich mich in sein Shirt gekrallt, aber er löste meine Finger ungnädig und verdrehte die Augen.
„Marie, ich habe ein Kind. Ich kann meine Frau das nicht alles alleine machen lassen", er sprach mit mir, wie mit einem kleinen ungezogenen Mädchen.
„Wann sehen wir uns wieder?"
„Das kann ich dir nicht sagen. Sorry, aber ich hab ein bisschen mehr zu tun, als nur zur Schule zu gehen", ein erneutes Augenverdrehen, ein flüchtiger Kuss, dann fiel die Tür hinter ihm ins Schloss...

Back to present

„Am nächsten Tag habe ich eine Whats App von ihm bekommen. Es täte ihm leid, aber wir könnten uns nicht mehr sehen. Sein Job würde alles von ihm abverlangen und außerdem sei er schon Vater. Er könnte sich nicht auch noch um mich und meine Schwester kümmern...", verbittert öffnete ich die Augen, aber wagte es immer noch nicht, Lu anzusehen, „...ich hab ein paar Stunden geheult und dann beschlossen, stark zu sein. Kim brauchte mich und ich wollte auf gar keinen Fall, dass man sie mir wegnimmt. Also hab ich den ganzen Mist, den er mir geschenkt hatte, verkauft und uns ein Leben aufgebaut. Ich hab mir geschworen, mich nie wieder von einem Mann abhängig zu machen oder mich an ihn zu binden. Mein Plan hat auch blendend funktioniert. Bis dein kleiner Bruder kam und fein säuberlich jeden Stein meiner Mauer abtrug, die ich mir mühsam aufgebaut hatte."
Die Erinnerung daran war immer noch schlimm, aber gleichzeitig fühlte ich mich auch irgendwie erleichtert.

Fürsorglich schlang Luisa ihre Arme um mich und wiegte mich sacht hin und her. Ich nahm ihre liebevolle Geste an und erlaubte mir erneut zu weinen.
„Hast du das Arschloch angezeigt, Liebes?"
„Nein?", schniefte ich irritiert, worauf die Brünette mich fassungslos von sich drückte, „Wieso hätte ich das tun sollen? Nur, weil er ein Arschloch ist, buchten sie ihn wohl kaum ein."
Jetzt begann ich mich unwohl zu fühlen; am liebsten wäre ich aus der Situation geflohen, aber Luisa ließ dies nicht zu. Dabei war das, das letzt, was ich hören wollte.
Wir waren ein Paar gewesen.
Es war normal gewesen, was an jenem Abend geschehen war.
Wir waren...

„Der Typ hat dich vergewaltigt, Marie!"
„Nein! Nein, das...wir...wir waren...ein Paar", beeilte ich mich schnell zu sagen. Es war das, was ich mir danach immer selbst vorgehalten hatte.
Ein Paar.
Wir waren ein Paar gewesen.
„Marie..."
„Ich wusste, was passieren würde!"
„Das mag sein, aber du hast mir gerade alles haarklein erzählt! Sieh mich an, Marie!", sie drehte meinen Kopf in ihre Richtung, damit ich sie ansehen musste, „Hattest du deine Meinung, kurz bevor es zum Sex kommen konnte, geändert und es ihm gesagt?"
Ich schluckte, durchlebte die Szene erneut.
„Ja..."
„Und hast du ihm gesagt, dass er aufhören soll, als er in dich eingedrungen war?"
Ich spürte den Schmerz in meinem Unterleib und krümmte mich zusammen. Mir blieb die Luft weg, aber dennoch japste ich ein Wort hervor.
„Ja..."

„Shhhtttt ist ja gut! Er wird dir nie wieder etwas tun können", Luisa hatte erneut die Arme um mich geschlungen und hielt mich einfach nur fest. Sie murmelte beruhigende Worte zu, bis sich mein Atem langsam wieder beruhigte und ich einfach nur erschöpft in ihren Armen hing.
„Bitte denk über die Anzeige nach, Marie", sanft strich sie mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht, „...und noch wichtiger, Rede mit Leon."
„Nein, das geht nicht", automatisch fuhr meine Stimme in die Höhe, „Ich will ihn nicht verlieren! Ich liebe deinen Bruder. Ich kann ihm auf gar keinen Fall sagen, was...was passiert ist. Und ich kann...kann ihn nicht anzeigen."
„Aber warum denn nicht?"
„Weil der Mann, der mich...wenn das raus kommt, dann zieh ich Kim und Leon da mit rein. Wir werden keine ruhige Minute mehr haben. Mal ganz davon abgesehen, dass mir eh keiner glauben wird. Ich bin die kleine Schlampe vom Trainingsgelände, die ihm nachgestiegen ist und er Everybody's Darling der Nation."
„So einen gibts im Fußball nicht!"
„Doch und ich bin sicher, du bist ihm schon das ein oder andere Mal begegnet."
„Von wem sprichst du überhaupt?"
Als ich ihr den Namen des ehemaligen Bayern-Profis nannte, mit dem ich zusammen gewesen war, wurde Luisa blass.
Ganz genau deshalb konnte und durfte es niemand außer ihr wissen.
Weil mir niemand glauben würde.

Behind These Hazel Eyes [A Leon Goretzka Advent calendar-FF 2023]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt