Türchen 25 - 2/3

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Hol mich ab
Nimm mich bitte mit
Lass mich bitte nicht stehen
Lass uns weitergehen

Halt meine Hand
Lass sie nicht los
Ich will mit dir lachen
Ich brauch' deinen Trost

Wir haben und das Leben
So nicht ausgesucht
Doch wir haben nur das eine
Segen und Fluch
Und das Miteinander
Als bestmöglichen Versuch
— Der bestmögliche Versuch • PUR —

— Leon —

Mittlerweile war es Herbst geworden. Marie informierte sich über diverse Hunderassen und wir diskutierten fleißig darüber, welche Rasse wohl am besten zu uns passen würde. Worüber sie allerdings nicht sprach, waren ihre Albträume, die nun wirklich nicht mehr an dem Temperaturunterschied liegen konnten. Wann immer ich auch nur eine Andeutung dazu machte, lenkte sie ab.
Es bereitete mir Kopfzerbrechen und ich war drauf und dran Kim drauf anzusprechen. Das letzte, was ich wollte, war sie zu beunruhigen, vor allem nachdem sie sich nach dem Überfall wieder so gut gefangen hatte, aber irgendetwas musste ich tun. Irgendetwas quälte sie.
Dennoch beschloss ich, ihr noch eine Chance zu geben. Sobald ich von unserem Auswärtsspiel in Mainz wieder zuhause war, würde ich sie noch einmal ganz frontal darauf ansprechen.
Und hoffe, dass sie ehrlich zu mir sein würde.

„Leon? Alles okay?", Thomas Müller legte mir die Hand auf die Schulter, als wir in der Mixed Zone standen und darauf warteten, dass wir raus konnten.
„Bist du sicher?"
„Nein", gab ich schließlich zu.
„Gut, du wirst es jetzt schlucken und es mir später erzählen", aufmunternd klopfte mir der Ältere auf die Schulter, „Keine Angriffsfläche, hörst du!?"
Ein wenig wehmütig sah ich ihm nach. Thomas hatte sich zähneknirschend in die zweite Reihe degradieren lassen, aber er war für uns da. Für mich da.
Er hatte mir Mut gemacht, dass ich mich von TT (Jetzt fing ich auch schon damit an) nicht unterkriegen lassen sollte. Das ich mich durchbeißen würde.
Bisher lief es ganz gut; ich hatte meinen Platz in der Start-Elf wieder, aber dafür hatte ich mir auch verdammt nochmal den Arsch aufgerissen.
Und keine Angriffsfläche geboten.

Später rückte in der 62. Minute allerdings ganz schnell in den Hintergrund. Im eigenen Strafraum bekam ich mit voller Wucht den Ellenbogen eines Gegenspielers an den Unterarm. Das ganze passierte ausgerechnet im Zweikampf in der Luft. Mir blieb die Luft weg und ich ging tatsächlich zu Boden. Zum Glück ohne weitere Blessuren.
Die Ärzte kamen heran geeilt und sahen sich meine Verletzung an.
„Was ist das für ne Scheiße?", fluchte ich unter Schmerzen, als der Doc vorsichtig meine Hand betastete.
„Du musst raus, aber es ist noch keiner warm...kannst du noch?"
„Ja, sicher! Was denkst du, was es ist?"
„Schwer zu sagen...", der Doc wich meinem Blick aus, aber eigentlich war damit schon alles klar. 
Hier würde kein Pflaster reichen.

Aber ich biss auf die Zähne und passte auf, dass nicht noch mehr passierte. Dreizehn Minuten später war mein heutiger Einsatz vorbei. Sarr kam für mich rein und meine Wenigkeit wanderte direkt unter die Dusche. Vorsichtig hatte ich mich aus meinen Klamotten geschält und genoss das heiße Wasser auf meinem Körper. Sobald ich konnte, musste ich unbedingt zuhause anrufen. Verletzungen waren nun nichts neues im Fußball und meine Mutter und Schwestern drehten auch nicht mehr komplett durch, aber für Marie war das alles neu. Kim würde sie hoffentlich beruhigen können.

„Fuck ey", brummte ich genervt, als ich beim Anziehen eine blöde Bewegung machte und ein stechender Schmerz durch meine Hand zog.
„Oh, da hat jemand nach uns gerufen", verkündeten die Ärzte; das Spiel war vorbei und hinterher purzelte meine Mannschaft in die Kabine.
„Ist es sehr schlimm?", frage Jo besorgt.
„Jetzt sagt schon!", drängte ich, obwohl ich nicht sicher war, ob ich es tatsächlich wissen wollte. Als jedoch hinter einem Rücken eine Schiene zum Vorschein kam, fielen meine letzten Hoffnungen in sich zusammen.
„Mittelhandbruch."

Das Wort waberte wie ein bösartiges Gift im Raum herum. Nach Serge hatte es nun auch mich erwischt und damit war auch klar, was mir blühte. Gerade, wo es beruflich wieder so gut lief. Mein Kopf fühlte sich an wie Watte, als die Ärzte mir die Schiene anlegten und mir erklärten, dass ich noch vom Flughafen aus ins Krankenhaus gebracht werden würde um die Diagnose zu bestätigen. Das bedeutete eine OP und unweigerlich einen Ausfall. Wie lange?
Keine Ahnung.

„Leon, warte..."
„Ich muss Marie anrufen. Wahrscheinlich läuft sie zuhause schon Amok", ich wollte jetzt nicht darüber reden und irgendwelche Aufmunterungen hören, auch wenn es mein Mittelfeldpartner nur gut meinte. Ich nahm also mein Handy und ging damit raus in den Gang. Zuerst rief ich meine Eltern an, um ihnen schon einmal zu sagen, was die Ärzte in München mir sicherlich in wenigen Stunden bestätigen würden. Ich hielt sie davon ab, sich ins Auto zu setzen und noch heute Nacht nach Bayern zu kommen. Ich war ja nicht alleine und konnte vor allem meine Mutter einigermaßen damit beruhigen, dass sich meine beiden Mädels gut um mich kümmern würden.

Als nächstes wählte ich die Nummer meiner Freundin. Es hatte gerade mal einmal getutet, da wurde das Gespräch auch schon angenommen.
„Schatz? Wie gehts dir? Hast du große Schmerzen?", Marie's Stimme am anderen Ende der Leitung war genau so panisch, wie ich es angenommen hatte.
„Es geht schon", missmutig betrachtete ich meinen Arm in der Schiene, „Sieht nach Mittelhandbruch aus..."
„...ach du scheiße..."
„Kim? Solltest du nicht im Bett sein? Morgen ist Schule", bemerkte ich streng, „Ab in die Federn!"
„Shhhhtt", machte meine Freundin, weil ihre Schwester wohl etwas sagen wollte, „Was passiert jetzt?"
„Sie bringen mich vom Airport aus gleich in unser Krankenhaus für weitere Untersuchungen. Läuft wohl auf ne OP hinaus", ich seufzte, „Ich denke mal, die schnibbeln mich morgen irgendwann noch auf."
„Ich komm rüber."
„Ach was; es dauert noch bis wir in München sind. Macht euch keine Gedanken, Babe. Geht ins Bett; ich ruf dich morgen früh an und sag dir wegen der OP Bescheid."
„Aber ich mach mir Sorgen."
„Es ist wirklich alles gut. Ich melde mich versprochen. Ich liebe dich!"
„Ich liebe dich auch!"
Tief durchatmend umklammerte ich mein Handy. Am liebsten würde ich auf der Stelle nach hause fahren, mich in die tröstenden Arme meiner Freundin flüchten, anstatt in dieses Krankenhaus zu müssen, wo mir wenig später die Diagnose bestätigt wurde, die unsere Vereinsärzte ohnehin schon vermutet hatten.
Mittelhandbruch.
OP.

Irgendwann mitten in der Nacht wurde ich auf mein Zimmer gebracht. Ich war vollkommen fertig, übermüdet und meine Hand schmerzte. Neben meinem Bett standen Schmerzmittel auf dem Nachtschrank. Die Nachtschwester hatte mir helfen wollen mit meinen Klamotten, aber ich hatte dankend abgelehnt. Deshalb war es nun etwas umständlich, wie ich aus meinem Shirt schlüpfte. Ich zog es mir gerade über den Kopf, als es draußen laut wurde. Das hier war die Privatstation; da war es normalerweise leiser als leise, umso verwunderlicher war es, dass mehrere Stimmen sich draußen stritten.
Zwei davon kamen mir sehr bekannt vor...

Behind These Hazel Eyes [A Leon Goretzka Advent calendar-FF 2023]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt