Türchen 25 - 3/3

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Damit umzugehen
Das wir alle hier in diesem unsrem Leben stehen
Der bestmögliche Versuch
Ja das du und ich
Das wir alle uns verletzlich wie wir sind
In die hoffnungsoffenen Augen sehen

Der bestmögliche Versuch

Menschheitsgeschichte
Wie ein böser Traum
Die immergleiche Sehnsucht
Missbrauchtes Vertrauen

Wir haben und das Leben
So nicht ausgesucht
Doch wir haben nur das eine
Segen und Fluch
Und das Miteinander
Als bestmöglichen Versuch
— Der bestmögliche Versuch • PUR —

— Marie —

Mein Freund hatte diese besondere Gabe, in jeglicher Lebenssituation die Ruhe selbst zu sein. Oder sagen wir mal so; zumindest konnte er es für alle Außenstehenden so aussehen lassen. Er war wirklich gut darin, Menschen das Gefühl zu geben, dass alles in Ordnung war, aber heute war er einfach nicht gut genug gewesen. Er hatte in den letzten Wochen und Monaten seit dem Sommer so hart gearbeitet, hatte medial eingesteckt, aber er hatte sich durch gebissen und nun das.
Die Verletzung war ein harter Rückschlag. Mittelhandbruch. Ich hatte keine Ahnung, wie lange man mit sowas ausfiel, aber selbst wenn es nur ein Tag war, so war das in Leon's Augen aktuell schon eine Katastrophe.

Nachdem ich mit Leon gesprochen hatte, hatte ich Kim aufgefordert ins Bett zu gehen. Ich verwendete dabei ihr Mantra, aber ‚Leon hat gesagt...' begeisterte sie heute nicht gerade. Nur sehr widerwillig ging sie nach oben auf ihr Zimmer. Und ich eigentlich ebenfalls. Unruhig wälzte ich mich eine Ewigkeit in Leon's..., unserem großen Bett hin und her, umschlang irgendwann sein Kissen und sog tief seinen Duft in meine Lungen. Aber auch das konnte mich nicht beruhigen. Geschweige denn zum Schlafen bringen.
Letzte Nacht hatte ich schon kaum ein Auge zugemacht. Die Albträume waren ohnehin schlimmer geworden, aber ohne Leon's Nähe war es kaum aushaltbar. Und da ich ohnehin nicht schlafen konnte, setzte ich mich über den Wunsch meines Freundes hinweg...

Leise schlich ich aus dem Schlafzimmer rüber ins Ankleidezimmer. Ich schlüpfte in Unterwäsche, eine Jogginghose, einen Pulli und packte auch für meinen Freund ein paar Sachen in einen Weekender, bevor ich mich umdrehte und den Schock meines Lebens bekam.
„KIM!"
„Du wolltest dich doch wohl nicht etwa ohne mich aus dem Staub machen?!", abwartend hatte sie die Arme vor der Brust verschränkt.
„Ich dachte, du schläfst..."
„Ja sicher. Als ob ich das könnte. Bambi hat mir vor einer Weile geschrieben, dass er wieder sicher in München gelandet ist. Demnach müsste Leon im Krankenhaus sein..."
„Du hast Schule morgen!"
„Aber ich mache mir auch Sorgen! Bitte, zwing mich nicht hier zu bleiben", sie setzte ihren mitleiderregendsten Dackelblick auf, bevor sie verkündete, dass sie sehr genau wusste, wo sich der Lockenkopf befinden würde.

Zähneknirschend gab ich nach und genehmigte ihr also EINEN freien Tag morgen, wie ich ausdrücklich betonte, bevor ich uns ein Taxi rief. Theoretisch hätte ich selbst fahren können. Meinen Führerschein hatte ich tatsächlich innerhalb von sechs Wochen in der Tasche gehabt, aber ich war auch noch Fahranfängerin, viel zu nervös und viel zu müde, um uns sicher an unser Ziel bringen zu können. Der Taxifahrer tat seine Arbeit gut und schnell und so stiegen wir schon kurze Zeit später am Krankenhaus aus.
Kim schlug nicht den Weg zum Haupteingang ein, sondern nutze außen einen Pfad auf die Rückseite des Gebäudes. Dort befand sich ein Anbau zur Station für die Privatpatienten.
Und Leon war sowas von VIP Privatpatient.

„Mein Name ist Marie Lindt. Ich weiß, es ist Mitten in der Nacht, aber mein Freund ist hier vorhin eingeliefert worden", stellte ich mich und mein Anliegen an der Anmeldung vor, wo es nach links direkt weiter auf die Station ging, „Leon Goretzka. Wir müssen dringend zu ihm."
„Sie haben recht, es ist tatsächlich Mitten in der Nacht", erwiderte der Pförtner unbeeindruckt, „Ich kann Ihnen da leider nicht weiterhelfen. Sie sind hier im Trakt der Privatpatienten."
„Deshalb sind wir ja auch hier richtig", Kim setzte ihr liebstes Lächeln auf, „Sie wissen sehr genau, dass Leon hier ist."
„Selbst wenn, unsere Patienten möchten ihre Ruhe und keine Selfies schießen, junge Dame! Gehen Sie nach hause."
„Wir wollen keine Selfies; ich will meinen Freund sehen", entfuhr es mir nun in wesentlich höherer Tonlage. Mir war vorher nie in den Sinn gekommen, dass so etwas hier mal ein Problem sein könnte. Ich war zwar seine Lebensgefährtin, aber im Prinzip hatte ich ein Anrecht auf Nichts. Zumindest nicht offiziell.

„Gehen Sie jetzt selbst oder muss ich den Sicherheitsdienst holen?"
„Ich gehe nirgendwohin; wenn Sie darauf bestehen, werde ich ihn anrufen, aber ich will meinen Freund auch nicht aufregen."
„Jetzt hören Sie aber auf mit dem Affentheater und verschwinden Sie...ohhh Hallo Sonja", unterbrach sich der Pförtner selbst, „Bitte entschuldige die Lautstärke; die Damen wollten gerade gehen!"
„Wollten wir gar nicht", protestierte Kim entschieden, „Ich kann meinen Stiefvater auch sehr gut selbst rufen; allerdings bin ich mir ziemlich sicher, dass das zwei von uns vieren nicht überleben werden. Und Spoiler Alarm: Wir beide...", sie deutete auf uns beide, „werden hier quicklebendig wieder raus marschieren."
Sowohl meine, als auch Kim's Bindung zu Leon hatte sich noch einmal verfestigt, seitdem wir offiziell zusammen gezogen waren. Ich konnte mir ein Leben ohne den Lockenkopf nicht mehr vorstellen und meiner Schwester ging es ganz genau so. Sie hatte es nie zugegeben, aber Leon war zu einem Vaterersatz für sie geworden...

„Jetzt pass mal auf, Kleine", die Krankenschwester baute sich vor meiner kleinen Schwester auf, die nicht einen Millimeter zurück wich, „Haut ab! Der Goretzka hat eh schon beschissene Laune. Von dem gibts heute weder Autogramme noch Selfies."
„Bis grade hatte ich eigentlich nur beschissene Laune, weil mir meine verfluchte Hand weh tut...", tönte es über den Flur; Leon kam oberköperfrei den Gang hinunter gestiefelt und hatte diesen Mörderblick drauf, mit wem er in der Regel nur seine Gegenspieler bedachte oder aber nervige Reporter, „Jetzt habe ich beschissene Laune, weil man meiner Frau und meiner Stieftochter den Zugang zu mir verwehrt."
Frau? Stieftochter?
Offensichtlich hatte nicht nur Kim einige Dinge bis jetzt nicht laut ausgesprochen.

„Entschul...schuldigen Sie, Herr Goretzka, wir dachten nur...also Ihr...Ihr...Familienstand..."
„Ja? Was?", brummte Leon immer unfreundlicher; Kim nutzte die Gelegenheit, schlüpfte an der Krankenschwester vorbei und flüchtete sich in Leon's Arme, „Wie wärs mal mit anrufen gewesen? Oder reicht die Leitung nicht die zwanzig Meter bis zu meinem Zimmer?"
„Doch, doch, aber...ich dachte, Sie schlafen vielleicht schon..."
„Ich bin vor 15 Minuten auf meinen zwei Beinen hier an Ihnen vorbei gelaufen und seitdem habe ich es gerade geschafft, mich aus meinem Shirt zu schälen."
„Ich kann Ihnen gerne noch hel..."
„Danke, meine Frau wird das übernehmen", unterbrach Leon die Schwester ziemlich rüde, „Babe, kommst du?"
Während er den Arm in der Schiene um Kim gelegt hatte, streckte er seine andere Hand nach mir aus. Der Pförtner und die Schwester hatten also keine andere Wahl, als uns mit ihm hinein auf sein Zimmer gehen zu lassen.

„Wow, das ist schick hier", meinte Kim beiläufig, als sie auf das Bett hüpfte und prüfend auf und ab federte, auf dem kein Bayern Shirt lag.
„Zuhause würde es mir sehr viel besser gefallen", Leon seufzte und warf Kim, nachdem er mir einen Kuss auf die Lippen gehaucht hatte, einen missbilligenden Blick zu, „Hatten wir nicht erst vor wenigen Stunden festgestellt, dass du morgen Schule hast?"
„Nope, fällt aus."
„Das glaub ich kaum!"
„Doch doch, deine Frau schreibt mir eine Entschuldigung für morgen", Kim blinzelte arglos.
„Sag mir noch einmal, ich lass mich leicht um den Finger wickeln..."
Das hier war ja nun quasi ein Notfall, eine Ausnahme.
Kein um den Finger wickeln...
...oh Gott, Leon's Ausreden waren ansteckend.

Mein Freund schien mir meine Gedanken im Gesicht ablesen zu können, zumindest seinem Grinsen nach zu urteilen, als ich ihm aus der Hose half und er, nachdem er die Schmerzmittel geschluckt hate, unter die Decke ins Bett schlüpft. Es dauerte gar nicht lange, da hatte sich Kimmy auf der Matratze zusammen gerollt und schlummerte tief und fest. Sacht deckte ich sie zu und wollte mich wieder auf den Stuhl an Leon's Bett setzen, doch mein Freund hatte andere Pläne.
„Komm ins Bett."
„Du brauchst Ruhe, Schatz."
„Ich ruhe doch...mir bleibt ja nicht viel anderes grade übrig", presste er gequält hervor. Da er sich heute schon genug aufgeregt hatte, gab ich nach. Nachdem ich aus meiner Jogginghose geschlüpft war, kuschelte ich mich zu ihm unter die Decke in seinen gesunden Arm.
Vorsichtig strich ich mit den Fingerspitzen über seine verletzte Hand.
„Die ganzen letzten Wochen waren einfach komplett für den Arsch...", murmelte er irgendwann verbittert in die Stille hinein, „Ich hab so gekämpft um meinen Stammplatz wieder zurück zu kriegen und jetzt bremst mich so eine Scheiße hier aus!"
„Du wirst das hier überstehen und es wieder allen zeigen. Vor allem deinem schlauen Trainer, hörst du, Schatz?!"
„Glaubst du?"
„Natürlich! Eine andere Option gibt es nicht", ich hob den Kopf um in seine Augen sehen zu können, „Und wir treten dir in den Hintern. Oder deinem Trainer. Wie du willst."
Leon gluckste halb belustigt, halb verbittert: „Gott, ich hasse TT!"
Aus dem anderen Bett ertönte ein bestätigendes Schnorcheln, bevor sich Kim die Bettdecke höher zog und es für die nächsten Stunden ruhig wurde.
„Sag ich ja..."

Behind These Hazel Eyes [A Leon Goretzka Advent calendar-FF 2023]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt