Türchen 18

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Even Heaven cries
Everybody cries
It's okay to doubt yourself sometimes
You don't have to be afraid of what you fear inside
It's alright (it's alright), it's alright
'Cause even Heaven cries
— Even Heaven cries • Monrose —

— Marie —

Bei sich zuhause hatte Luisa mich erst einmal auf ihre Couch verfrachtet und mir wenige Minuten später einen Tee vor die Nase gestellt.
„Marie, ich würde dir gerne helfen. Wenn du reden möchtest, können wir das tun. Wenn es dir aber lieber ist zu schweigen, dann tue ich auch das mit dir."
Sie erinnerte mich so sehr an meinen Freund, dass mir schon wieder einzelne Tränen runter liefen. Ich hatte so lange geschwiegen und das alles in mir verborgen gehalten, aber nun schien es förmlich aus mir rausplatzen zu wollen.
Ich hatte das Gefühl, wenn ich jetzt nicht alleine den Mund aufmachte, dann würde es mich von innen heraus zerreißen.
Und dennoch...

„Du musst mir versprechen, dass dein Bruder unter gar keinen Umständen auch nur einen Ton über dieses Gespräch erfährt. Lu, bitte!"
Ich war erleichtert als sie zustimmend nickte: „Ich schwöre! Großes Schwägerinnen-Ehrenw0rt!"
Noch einmal atmete ich tief durch, bevor ich ihr erzählte, was ich vor langer Zeit nur meinem Tagebuch anvertraut hatte...

Ich war 17 gewesen, als ich diesen Mann kennengelernt hatte. Meine damaligen besten Freundinnen aus der Schule hatten mich überredet gehabt zu einer der öffentlichen Trainingseinheiten des FC Bayern München zu gehen.
„Aus der A-Mannschaft?", versicherte sich meine Schwägerin mit großen Augen.
Ich nickte. Deshalb hatte ich Kim auch immer verboten, dort hinzugehen. Ich hatte verhindern wollen, dass ihr das gleiche wiederfuhr, doch letztlich hatte ich nicht verhindern können, dass sie an einen Bayern-Spieler geriet.
Wie man an Jamal sah, waren meine Verbote nicht von Erfolg gekrönt worden.

Aber zurück zu ihm.
Er war charmant gewesen und er hatte mit mir geflirtet. Nachdem er seine Autogrammrunde beendet hatte, war er noch einmal zu mir zurück gekommen, weil wir kein Foto gemacht hatte. Ich hatte ihn nicht darum gebeten, weder um ein Foto noch um ein Autogramm, weil ich mit Fußball nie viel am Hut gehabt hatte und nur meinen Freundinnen zu Liebe mitgegangen war.
Mit einem jungenhaften Grinsen hatte er mir mein entsperrtes Handy wieder gegeben, nachdem er einige Einstellungen vorgenommen und das Foto geschossen hatte. Dann war er verschwunden.
Als ich es mir hatte anschauen wollen, hatte ich bemerkt, dass meine Notiz-App offen war.

Ruf mich an. X"

Darunter hatte seine Handynummer gestanden.
Noch heute bereute ich zutiefst, dass ich, anstatt sie zu löschen, seine Nummer in meine Kontakte übernommen und ihm tatsächlich geschrieben hatte.
Ich hatte weder meinen Eltern noch meinen Freundinnen davon erzählt und es stellte sich heraus, dass es genau das war, was auch ihm gerade recht gewesen war. „Je weniger Leute von uns wissen, Marie, umso mehr Ruhe haben wir. Füreinander", hatte er gelächelt und mir einen zarten Kuss auf die Lippen gehaucht, den ich erwidert hatte.
Wann immer er gekonnt hatte, hatte er mich angerufen, um mich zu treffen. Er war charmant und witzig, gutaussehend und erfahren.
Aber er war auch verheiratet und seine Frau hochschwanger gewesen, als wir uns kennenlernten. Er erzählte mir, dass er sich gar nicht mehr sicher war, ob das alles so die richtige Entscheidung gewesen wäre und das er mit mir ein völlig anderes Gefühl hätte.
Mein Herz hatte einen Hüpfer gemacht, weil ich ihm von der ersten Sekunde an schon hoffnungslos verfallen gewesen war.

„Ich war jung und dumm und naiv..."
...und zum ersten Mal schrecklich verliebt", mitfühlend drückte die Brünette meine Hand.
„Ja. Oh Gott ich war so verliebt", unwirsch wischte ich mir die aufkeimenden Tränen aus den Augen, „Obwohl ich wusste, das er mit einer anderen Frau ein Kind bekam, der ich das Herz brechen würde, wenn sie von mir erfuhr. Sie liebte ihn. Man konnte es auf jedem Foto sehen, welches von den beiden veröffentlicht worden war."
Jedenfalls fing er an, uns als Beziehung zu bezeichnen. Er machte mir Geschenke. Blumen. Hauptsächlich ziemlich teueren Schmuck. Wir kamen uns näher, auch körperlich und ich dachte mir nichts dabei, wenn er nach einer erneuten Aufmerksamkeit ein intimes Dankeschön meinerseits einforderte. Ich fühlte mich noch nicht bereit dazu mit ihm zu schlafen, aber er führte mich an andere Dinge heran, die ihm gefielen. Ich hatte mir zu diesem Zeitpunkt noch nicht viel dabei gedacht; ich liebte ihn und ich war mir sicher gewesen, dass er ebenso für mich empfand.
Auch wenn ich in Frage hätte stellen sollen, dass ich ihn immer nur dann sehen konnte, wenn es ihm in den Kram passte oder eher gesagt, wenn er Bock auf mich gehabt hatte.

Aber dann kam der Moment, der alles veränderte. Kurz nach meinem 18. Geburtstag waren meine Eltern tödlich verunglückt. Von jetzt auf gleich war ich nicht nur für mich verantwortlich gewesen, sondern auch für meine kleine Schwester. Ich hatte keine Ahnung gehabt, wie ich das alles schaffen sollte, aber ich wusste, dass ich mir das Stück meiner Familie, welches mir noch geblieben war, nicht würde wegnehmen lassen.
Die Beerdigung, das Jugendamt, die Schule...das alles zerrte an mir. Ich hatte ihn angebettelt, sich mit mir zu treffen, wenn Kim zwischendurch bei ihren Schulfreundinnen war, um auf andere Gedanken zu kommen.
Nur für eine Umarmung.
Für ein „Hab keine Angst, Marie, ich bin für euch da". Aber er hatte mich schroff abgewiesen; er könnte seine Frau nicht immer alleine lassen. Nur, was war mit mir? Hatte er nicht gesagt, mit mir wäre alles anders?
Hatte er mir nicht - vor dem Tod meiner Eltern - Hoffnungen gemacht, als er mir gesagt hatte, dass er sich in mich verliebt hatte?

Danach war er fast wie ausgewechselt gewesen. Schroff und kurz angebunden und nur da, wenn sein Job und seine Frau es zeitlich erlaubten.
So wie an jenem Abend.

„Ich hab gewusst, was auf mich zukommen würde, als ich an jenem Abend zu ihm ging. Er hatte ein Hotelzimmer gemietet. Zu ihm konnten wir nicht, zu mir aufgrund der Tatsache, dass er nun mal war wer er war, auch nicht, also blieb nichts anderes übrig als ein anonymes kleines Hotel etwas außerhalb von München. Mir war schon auf dem Weg dorthin klar, was er wollen würde...und ich dachte...", ich schluckte und wagte es nicht, meiner Schwägerin in die Augen zu sehen, weil ich mich schämte, „...wenn ich ihm gebe, was er will, dann...bleibt er bei mir. Ich hatte doch nur noch Kim und ihn..."

So erzählte ich Luisa, was geschehen war, als ich das Hotelzimmer betreten hatte. Das er mir nur halb zugehört hatte, als ich ihm von meinen Problemen und Ängsten erzählt hatte, weil er bereits ganz andere Dinge im Kopf gehabt hatte. Alles, was ich die ganze Zeit über gut verschlossen in meinen hintersten Gedanken und meinem Tagebuch versteckt hatte, hatte ich nun wieder glasklar vor Augen, als wäre es erst gestern passiert....

Behind These Hazel Eyes [A Leon Goretzka Advent calendar-FF 2023]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt