Türchen 7

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I still want you by my side
Just to help me dry the tears that I've cried
And I'm sure gonna give you a try
If you want, I'll try to love again, try
Baby, I'll try to love again, but I know, oh

The first cut is the deepest, baby, I know
The first cut is the deepest
But when it comes to being lucky, he's cursed
When it comes to lovin' me, he's worse
— The First Cut is the deepest • Sheryl Crow —

— Marie —

Mir war immer noch mulmig zu mute, als ich in meinem Trikot vor der Allianz Arena stand und zu ihr empor blickte. Ich war schon einmal hier gewesen und es war mir nicht in sehr guter Erinnerung geblieben. Damals hatte ich mein ganzes Geld zusammen gekratzt um in den VIP Bereich zu kommen, weil hier die Chance am größten war, ihn nach dem Spiel zu sehen. Ich freute mich unendlich auf ihn und musste wenig später schmerzhaft feststellen, dass dies nicht auf Gegenseitigkeit beruhte.
Seine Frau war ebenfalls anwesend und er hatte alles getan, damit sie mich nicht zu Gesicht bekommen hatte. Bei ihr hatte es funktioniert. Nicht jedoch bei einem seiner Teamkollegen, der auch heute noch beim FC Bayern München spielte.
Hoffentlich würde er mich nicht erkennen, sonst hatte ich ein Problem!

„Leon hat gesagt, es wird mega", plapperte Kim voller Vorfreude vor sich hin. Wir waren mit der Bahn hergekommen und den ganzen Weg über hatte sie mir die gegnerische Mannschaft vorgestellt.
In ALLEN erdenklichen Einzelheiten!
Die Hälfte hatte ich mit Sicherheit schon wieder vergessen, so nervös wie ich war. Und das aus vielerlei Gründen.
„Vielleicht hätten wir die anderen Spielerfrauen mal googeln sollen", meinte ich plötzlich, weil ich gar keinen Schimmer hatte, wie eine von ihnen überhaupt aussah oder hieß. Und ob wir sie überhaupt so einfach ansprechen konnten?!
„Alles cool! Leon hat gesagt, die sitzen alle auf einem Haufen zusammen und wir erkennen sie ganz leicht am Trikot ihrer Männer", zuckte meine Schwester mit den Achseln, „Sie freuen sich schon auf uns und wir sollen sie einfach ansprechen."
„Ist das dein neues Mantra?"
„Was?"
„‚Leon hat gesagt...'?"
„Ja, meine Güte; du hast halt endlich mal n coolen Typen angeschleppt. Und das sag ich jetzt nicht, weil er bei meinem Lieblingsverein spielt", fügte Kim schnell hinzu; sie wurde rot und hielt nun erstmal wieder die Klappe.
Ich schmunzelte wehmütig.

Für uns beide war es viel zu früh gewesen, aber Kimmy hatte unendlich unter dem Verlust gelitten. Während Mama meine Bezugsperson gewesen war, war sie ein komplettes Papa-Kind gewesen.
Leon hatte spielend einfach ihr Herz erobern können. Er war lange nicht so ernst, wie er sich in der Öffentlichkeit zum Teil gab; zuhause war er der lustige und alberne Typ mit genügend natürlicher Autorität, die meine Schwester sofort akzeptiert hatte. Ich hatte nie Probleme mit Kim gehabt und doch hatte ich festgestellt, dass sie sich von meinem Freund bisweilen mehr sagen ließ, als von mir. Nach dem Tod unserer Eltern hatte ich versucht, ihr Schwester und Mutter zugleich zu sein, was manchmal wirklich nicht einfach gewesen war.
Deshalb hatte ich auch immer Bedenken gehabt, einen Mann in mein, unser Leben zu lassen. Leon hatte mit alldem jedoch keinerlei Probleme. Ganz von selbst und ohne darauf zu drängen, war er innerhalb kürzester Zeit zu einer Art Vaterersatz für Kim geworden.
Eine Rolle, die mich glücklich stimmte, mir aber auch gleichzeitig Angst machte. Denn, wenn es schief ging, würde nicht nur mein Herz brechen...

Kim war einen Schritt vor mir, als wir die VIP Lounge betraten. Irgendwie war mir ein bisschen sehr unwohl bei dem Gedanken, dass wir gleich auf die anderen Spielerfrauen treffen sollten. Und das auch noch alleine. Die Damen waren sicher eine eingeschworene Gemeinschaft und nun stolperten ich oder wir einfach mit dazu. Hoffentlich würde es nicht komplett unangenehm werden, denn irgendwie...irgendwie kam ich mir bei dem Gedanken an die anderen Frauen unzulänglich vor.
„Leon hat gesagt, sie sind ganz normal...", murmelte meine Schwester, die meine Nervosität spürte, mir zu, „Schau! Da vorne sind sie!"
Schon wieder ein „Leon hat gesagt..."
Hoffentlich hatte er mit all dem auch recht.

„Heyyyy, da seid ihr ja endlich", eine Brünette winkte uns zu, so dass etliche Augenpaare nun zu uns hinüber blickten. Woher wussten die denn, wie wir aussahen?!
„Schön euch beide kennenzulernen", die Brünette war aufgestanden und ich ließ mich ein wenig perplex von ihr umarmen, „Ich bin Lina. Jo's Verlobte. Ach und falls du dich fragst, warum ich euch direkt erkannt hab: Leon hat vielleicht das ein oder andere Foto geschickt."
Na fabelhaft.
Nachdem wir uns alle untereinander bekannt gemacht hatten, schlenderten wir alle gemeinsam zum Buffet.
„Warst du schon mal live bei einem Spiel dabei?", fragte Lisa Müller interessiert, als wir schon ein Weilchen in der Schlange standen.
„Nein", log ich und hoffte dabei nicht rot zu werden, „Die Spiele im Fernsehen haben mir bisher voll und ganz ausgereicht."
„Sie hält sich jedes Mal die Hand vor die Augen, wenn Leon gefoult wird", petzte Kimmy süffisant, die ihre Ohren - obwohl angeregt mit Candice, der Freundin von Leroy Sané plauderte - mal wieder überall hatte.
„Du hast gequiekt, als er vor zwei Spielen durch die Luft geflogen ist", erinnerte ich meine Schwester spitz.
„Aber nur, weil du mich so erschreckt hast!"
Ja, genau. Sie war ebenso besorgt um Leon gewesen, wie ich. Wenn man morgens mit einem Profi-Fußballer am Küchentisch saß und sich gegenseitig das Frühstück zuschob, dann veränderte sich die Sachlage doch ein ‚klein wenig'...

„Ich hab mich bis heute nicht dran gewöhnt, Jo auf dem Rasen liegen zu sehen", Lina auf meiner anderen Seite seufzte leicht, während sie ihre kleine Tochter auf dem Arm schaukelte und sich ihr Sohn an einem Zipfel ihres Kleides festhielt, „Aber es wird leichter werden. Bis die Kinder da sind. Dann hoffst du nur noch, dass er es auf seinen eigenen zwei Beinen vom Rasen schafft und sämtliche Gliedmaßen noch heil sind."
Super, das waren ja rosige Aussichten...
Also...also nicht, dass hier irgendwas in Richtung Kinder geplant war. Genau genommen hatten wir nach knapp vier Monaten Beziehung noch nicht darüber gesprochen, ob unsere Vorstellung von einer gemeinsamen Zukunft matchten.
Von daher...

„Wollt ihr eigentlich Kinder?"
Wie auf Kommando hatte sich das kleine Mädchen von ihrer Mama zu mir rüber gelehnt und streckte die Arme nach mir aus.
„Wir...wir ha...haben noch nicht drüber geredet", stotterte ich ein wenig verlegen; ich nahm Lilly ihrer Mama ab und begann die Kleine ebenso auf meiner Hüfte sitzend zu schaukeln. War das normal, dass man in Fußballerkreisen direkt über solche Intimitäten sprach?
Wo ich noch nicht einmal mit meinem Freund darüber gesprochen hatte?

„Aber du willst welche", ließ Lina nicht locker; es war keine Frage, sondern eine Feststellung und sie hatte damit ins Schwarze getroffen.
„Ja...schon...also vielleicht nicht...jetzt gleich, aber irgendwann schon..."
„Leon will bestimmt welche. Der ist mit drei Schwestern aufgewachsen", zwinkerte die Brünette mir zu, „Er ist wirklich sehr süß mit unseren Kleinen. Sie lieben ihn."
„Leo?", brabbelte das kleine Mädchen auf meinem Arm fragend los, „Wo?"
„Später, Süße! Onkel Leo und Papa müssen noch arbeiten."
Onkel Leo.
Papa.
Mein Herz schmolz schon bei dem Gedanken daran dahin, auch wenn ich mich gleichzeitig mal wieder überrannt fühlte.
Leon und ich; wir hatten so wahnsinnig viel Tempo aufgenommen, dass ich manchmal selbst gar nicht mehr mit kam. Während ich ganz gerne öfter mal auf Pause gedrückt hätte, so schien das ganze Leon nicht im geringsten etwas auszumachen. Ganz im Gegenteil; manchmal hatte ich sogar das Gefühl, dass es ihm noch zu langsam ging. Vielleicht lag es an unseren unterschiedlichen Lebenswegen. Er musste schnell sein, um mit allem mit zu kommen und sich nicht selbst verlieren.
Vielleicht war das der Grund, weshalb es mit meinem Ex nicht geklappt hatte. Bei ihm hatte es viel zu viele Komponenten gegeben, die sich wahnsinnig schnell um ihn gedreht hatten.
Und mich hatte er einfach nur ‚mitgenommen', wenn es für ihn gerade annehmbar gewesen war...

„Marie? Alles okay?", besorgt berührte Lina meinen Arm, der ihre Tochter trug und riss mich damit aus meinen Gedanken.
„Ja. Ja, alles gut", ich lächelte leicht und versuchte mir nichts anmerken zu lassen, meine Gedanken abzuschütteln.
Leon war, für meinen Geschmack, manchmal viel zu schnell und ungestüm, aber er war nicht wie mein Ex.
Er...er durfte einfach nicht so sein!

Behind These Hazel Eyes [A Leon Goretzka Advent calendar-FF 2023]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt