Kapitel 1

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Madelyn

Ich renne. Ich renne so schnell ich kann. Meine Ausdauer ist nicht gerade die beste, die Luft bleibt mir weg und ich gerate ins Stolpern. Die Erde unter meinem Körper tut gut, sie kühlt meine offenen Wunden und egal wie sehr ich den Drang habe aufzustehen und weiter zulaufen, ich kann einfach nicht. Mein Körper verschmilzt mit dem Boden und mit jeder Bewegung fällt es mir schwerer zu unterscheiden,wo mein Körper anfängt und wo der Boden aufhört. Blut läuft mir aus der Nase, oder doch aus der Wunde an meinem Kopf? Ich weiß es nicht, es könnte auch aus meiner Oberlippe kommen, die wie wild pocht vor Schmerz. Es ist viel zu viel, um überhaupt darüber nachdenken zu können. Ich liege mitten im Wald am Boden, irgendwo im Umkreis meiner High-School und kann mich kaum bewegen. Ich versuche zu verstehen, wer mir so etwas antun würde. Wer würde mich aus voller Absicht einfach zusammen schlagen? Viel Interessanter noch: Aus welchem Grund?
Langsam werden meine Augen schwer. Ich bemühe mich mit aller Kraft die Erschöpfung nicht gewinnen zulassen, doch schlussendlich ist sie stärker und überwältigt mich. Für einen kurzen Moment fühlt es sich an, als würden alle meine Sinne abgeschaltet werden. Meine Augen fallen zu, meine Arme werden schwer. Der Druck auf den Ohren lässt mich nichts mehr hören und meine Nase ist von dem Schlag vorhin betäubt. Kurz bevor sich das letzte Stück meines Bewusstseins auch noch verabschiedet, wird mir wortwörtlich der Boden unter den Füßen weggerissen. Ich kann meine Augen nicht öffnen, dafür sind sie noch zu schwer, doch ich spüre Hände an meinem Körper. Hände, die mich gefunden haben und mich tragen. Kurz verfalle ich wieder in Panik. Es könnten die selben Hände sein, denen ich all die Schmerzen und das Blut zu verdanken habe. Allerdings wäre es dann jetzt sowieso schon zu spät. Ich male mir schon vor meinem inneren Auge aus, wie er mich zu einem abgelegenen Ort bringt, um seine Tat zu vollenden und mir endgültig die Lichter auszuschalten. Soll ich jetzt so tun, als ob ich tot bin? Lässt er mich dann in Ruhe? Ich will wach bleiben. Ich muss wach bleiben. Mein Kopf schmerzt, wird schon wieder schwer, ich halte das nicht aus. Schlussendlich verliere ich den Kampf und die Dunkelheit reißt mich mit sich.

Meine Augen lassen sich dank meiner Kopfschmerzen kaum öffnen, aber ich erkenne auf jeden Fall, dass ich nicht in meinem eigenen Bett liege.Die Matratze ist weicher als meine und die Bettwäsche riecht nicht nach zuhause. Neben dem Bett brennt eine kleine Lampe, ansonsten ist es dunkel. Mein Blick verschärft sich langsam und ich schaue durch den Raum, der definitiv einer männlichen Person gehört. Mein Herz bleibt kurz stehen und ich werfe direkt einen Blick unter die Decke,stelle aber erleichtert fest, dass ich mein Ballkleid noch trage.Allerdings wird es nicht mehr bloß von rosa Blumen, sondern auch von Blutflecken geziert, die mich sofort wieder an das Geschehene erinnern. Es war schrecklich, wirklich grauenvoll und definitiv nicht das, was ich mir unter meiner Prom-Night vorgestellt habe. All die Jahre an der High-School habe ich davon geträumt Prom-Queen zu werden. Ich habe davon geträumt ein wunderschönes Kleid zu tragen, mit meinen besten Freunden zu feiern und einfach den Abend zu genießen, wie sie es in all den Filmen immer tun. Ich wollte doch nur ein einziges Mal im Mittelpunkt stehen. Ich habe so dafür gekämpft. Ein schmerzhaftes Ziehen lässt mich an meine Stirn fassen. Erst jetzt bemerke ich das Pflaster, welches mir im Gesicht klebt und vermutlich verhindern soll, dass ich noch mehr Blut verliere als ohnehin schon. Wer zur Hölle hat mich verarztet? „Seit wann bist du wach?" Eine tiefe Stimme reißt mich aus meinen Gedanken, lässt mich zusammenfahren. Die Hand, die zu der Stimme gehört stellt mir ein Glas Wasser auf den Nachtschrank neben dem Bett und setzt sich neben mich. „Du solltest etwas trinken.", sagt er ruhig, hält mir das Glas vor meine schmerzende Nase. Erst jetzt fallen mir die goldenen Ringe und das Blut an seinen Händen auf. Es ist getrocknet und stammt vermutlich auch aus einer meiner Wunden. Hat er mich gefunden? Als ich das Glas entgegen nehme schaue ich ihn zum ersten Mal an, bin mir sicher ihn noch nie gesehen zu haben. Seine blonden Haare scheiteln sich genau in der Mitte, trotz dass sie nass sind, sehen sie perfekt aus. Seine Augenfarbe kann ich nicht erkennen, dafür ist das Licht der Lampe nicht hell genug. Ich kann es nicht beschreiben, aber er strahlt eine Ruhe aus, von der ich nicht gedacht hätte, sie zu spüren, bevor ich wieder zuhause bin und weiß was genau passiert ist. Das Wasser kühlt meinen ausgetrockneten Hals und gibt mir das Gefühl wieder etwas klarer im Kopf zu werden. „Danke." Meine Stimme zittert, meine Hände ebenfalls. Er nimmt mir das Glas ab und stellt es wieder auf dem Nachtschrank ab. „Geht es dir wieder besser?" Er spricht ruhig, als wäre es eine ganz normale Situation, in der wir uns befinden. Entweder will er mich nicht noch mehr verwirren und nimmt gerade Rücksicht auf mich oder es ist ihm einfach egal was hier passiert. „Ein wenig", beantworte ich seine Frage leise. „Was ist passiert?".
„Hast du noch Schmerzen?" Er übergeht meine Frage einfach, denkt anscheinend nicht mal daran, dass diese Verwirrung noch viel schlimmer ist als die Schmerzen, die ich habe. Wenn ich keine Antwort bekomme, bekommt er auch keine also sage ich einfach nichts. Die Tür des Zimmers öffnet sich und unterbricht endlich die unangenehme Stille, die so eine negative Spannung in den Raum geworfen hat, dass es sich angefühlt hat, als wäre sogar das Atmen verboten. „Oh Gott Madelyn, du bist wach!" Ich blicke verwirrt zu der Stimme an der Tür, die mir irgendwoher bekannt vorkommt. Cody, ein Junge, den ich flüchtig aus der High-School kenne, betritt das Zimmer und schaut mich erleichtert an. „Wie geht es dir? Hast du Schmerzen? Brauchst du etwas?" „Versuch es erst gar nicht Cody, sie spricht nicht.", sagt der Typ, der seit gefühlten Stunden neben mir sitzt. Seine Stimme klingt nicht mehr ruhig, eher genervt oder viel mehr angepisst, als hätte ich nicht jeden Grund dazu, nicht mit ihm zu sprechen. „Dich kennt sie ja auch nicht, ich habe dir gesagt lass mich als erstes zu ihr." Das Gespräch der beiden verwirrt mich und langsam frage ich mich wirklich, ob heute noch irgendwas passiert, was mich nicht an meiner Intelligenz zweifeln lässt. Mein Kopf pocht immer noch, ihre Stimmen machen es nicht besser. Der blonde Typ nickt mir kurz zu und lässt mich mit Cody allein, welcher sich sofort neben mich aufs Bett setzt. Hektisch hält er seine Hand an meine Stirn, so wie meine Mutter es früher immer getan hat, wenn ich zuhause bleiben wollte, weil ich keine Lust auf Schule hatte. „Sorry. Caden meinte es könnte sein, dass deine Temperatur sich erhöht, wollte nur sicher gehen." Er lächelt, spielt mit seinen Fingerspitzen, ein klares Zeichen von Nervosität. „Caden?" Wer soll das jetzt wieder sein? „Der Typ, der die ganze Zeit bei dir war, das ist Caden. Er ist Arzt, naja noch nicht ganz. Er studiert Medizin und kennt sich am besten von uns mit Verletzungen aus." „Uns?" Meine Stimme klingt verzweifelter als ich beabsichtigt habe. „Cody bitte sag mir was genau passiert ist und warum ich hier bin. Mir tut alles weh und ich will nachhause." Er senkt seinen Blick, holt tief Luft. „Du wurdest zusammen geschlagen Madelyn. Wir wissen nicht warum oder von wem. Ich habe nichts mitbekommen, Trevor hat dich im Wald gefunden und dich hergebracht, damit du nicht erfrierst. Caden hat deine Wunden verarztet und dich in mein Bett gelegt. Ich war völlig verwirrt als Jacob alle Gäste auf dem Prom nach dir gefragt hat, bis dann der Anruf von Caden kam." Sein Name aus Codys Mund lässt mir beinahe das Blut in den Adern gefrieren. Jacob. Er macht mich nervöser als die Tatsache, dass ich zusammengeschlagen wurde und in einem Bett liege, dessen Besitzer ich höchstens einmal im Monat auf dem Schulflur wahrgenommen habe. „Wie viel Uhr ist es?" Die einzige Frage, die mir einfällt, um die Stille wieder zu unterbrechen. „Gleich vier. Du bist seit knapp drei Stunden hier." Codys Anwesenheit beruhigt mich obwohl ich außer seinen Namen gar nichts über ihn weiß. Dass er hier ist, macht mir klar, dass ich zumindest nicht komplett allein und nicht allzu weit von zuhause entfernt sein kann. Ich kenne ihn wie gesagt nur flüchtig aber er scheint besorgt zu sein. Er würde mir nicht weh tun, oder? „Du solltest schlafen, wir reden morgen weiter okay?", fügt er sanft hinzu. Ich nicke langsam, ohne darüber nachzudenken, ob es moralisch richtig wäre hier zu bleiben. In einem Haus, in welchem ich vorher nie war. In der Anwesenheit von zwei Männern, oder vielleicht sogar drei, (wenn man Trevor, den Typen, der mich gerettet haben soll, mitzählt) die ich nicht kenne und die mich, wenn sie Lust darauf haben, einfach, während ich schlafe, ermorden oder vergewaltigen könnten, ohne dass es jemand mitbekommen würde. Aber wieso sollten sie das tun? Mich retten, um mich dann noch mehr zu verletzen? Das ergibt keinen Sinn, dann hätten sie mich auch gleich im Wald liegen lassen können. „Dann lasse ich dich mal allein, das Badezimmer ist direkt gegenüber, falls du auf Toilette musst. Brauchst du noch Wasser?" Mit einem Blick auf den Nachtschrank schüttle ich meinen Kopf. Cody nickt, steht auf und will zur Tür gehen. „Warte" Auf mein Wort bleibt er vor dem Bett stehen und schaut mich fragend an. „Kannst du vielleicht hierbleiben?" Ich schlucke nervös, weiß selbst nicht, wieso ich das gefragt habe. „Also nur wenn es keine Umstände macht, es ist wirklich gruselig allein in einem fremden Zimmer und..." Cody unterbricht mich mit einem leisen Lachen, bevor ich mich noch mehr in Rage reden und blamieren kann. „Mach dir keine Sorgen, ich schlafe einfach dort." Sein Finger zeigt auf eine kleine Couch am anderen Ende des Zimmers und sofort meldet sich mein Gewissen. Er kann doch nicht auf so einer engen Couch schlafen, bloß weil ich sein Bett belege. Andererseits habe ich keine Kraft mehr, um über irgendwas nachzudenken. Lächelnd streichelt er mir über meinen Kopf und wünscht mir eine gute Nacht. Bevor er sich schlafen legt betont er nochmal, dass ich ihn zu jederzeit wecken kann, sollte ich etwas brauchen und nicht mal zehn Minuten später höre ich ihn bereits schnarchen.

Our Girl - wir brauchen dichWo Geschichten leben. Entdecke jetzt