Dylan
Keine zehn Minuten später suche ich das ganze Haus nach einem kompatiblem Ladekabel ab, obwohl ich bezweifle, dass wir so eins überhaupt besitzen. Ihr Handy ist locker zehn Jahre alt und kann wahrscheinlich noch nicht mal Apps herunterladen. „Hast du es endlich?", fragt Trevor, welcher bereits am PC sitzt und nur darauf wartet sich endlich Zugang zu ihrem Handy verschaffen zu können. „Das Handy habe ich, ja aber finde mal ein Ladekabel, womit du das alte Ding anbekommst. Keins von denen hier passt." Verzweifelt zeige ich auf den Haufen verschiedener Kabel vor mir. Offensichtlich genervt verdreht er die Augen. „Was ist das denn bitte für ein Schrott Teil, mein Gott. Wieso haben wir nicht einfach irgendeine reiche Tusse genommen?" Ich wusste ja, dass Trevor Aggressionsprobleme hat aber als er mit der Faust volle Kraft auf Madelyns Handy schlägt, wird mir noch deutlicher bewusst, was für ein Ausmaß sie mittlerweile genommen haben.
„Musste das sein? Davon geht ihr Handy auch nicht wieder an, außerdem hat es jetzt einen Riss. Sie wird dich hassen, wenn sie..." das aufleuchtende Herstellerlogo auf dem Display lässt mich verstummen. Trevor hingegen grinst bloß. „Ich habe schon immer gesagt. Gewalt ist sehr wohl eine Lösung. Es hat zwanzig Prozent, müsste reichen für das, was wir vorhaben." „Und was haben wir vor? Lass dir nicht immer alles aus der Nase ziehen, Mr.Geheimnisvoll." Meine Stimme klingt langsam auch schon genervt. Ich will endlich, dass das alles hier so schnell wie möglich über die Runden geht. Sie soll aufwachen, uns vertrauen und bei uns bleiben, an mehr kann ich gerade echt nicht denken.
„Eigentlich hatte ich vor, mich in ihr Handy zu hacken, alle Anrufe und Nachrichten von gestern zu löschen aber die Kleine hat nicht mal einen Code, jeder könnte einfach auf ihre Daten zugreifen. Sie wird denken, es würde niemanden interessieren, wo sie ist und was sie macht."
„Ach so und du meinst wirklich, das würde sie dazu bewegen, einfach so bei vier komplett fremden Typen zu bleiben?" „Warts doch erstmal ab, Dylan. Ich war noch nicht fertig, jetzt kommst nämlich du ins Spiel. Hier." Er drückt mir ein altes Nokia Handy in die Hand. „Tipp ihre Nummer ein, ruf sie ein paar Mal unterdrückt an, schreib ihr angsteinflößende SMS ́, sorg einfach dafür, dass sie sich bei uns am sichersten fühlt. Danach versteckst du das Ding irgendwo und das Thema ist durch." Selbstsicher grinst er, während er ihr Handy durchforstet und alles löscht, was darauf hinweisen könnte, dass sich jemand um sie sorgt.
„Guten Morgen Schönheit", flüstere ich dicht an Madelyns Ohr, als sie ihre wunderschönen grünen Augen langsam aufschlägt. Ihr Atem ist ruhig und ihr erschöpftes Gesicht errötet, als sie bemerkt, dass zwei von uns neben ihr sitzen. „Was ist passiert? Habt ihr mich schon wieder beim Schlafen beobachtet?"
„Du bist plötzlich ohnmächtig geworden, als ich gerade deinen Blutdruck messen wollte. Eigentlich haben dir sogar alle beim Schlafen zugeguckt, aber Trevor ist eine rauchen gegangen und Cody hat schon mal angefangen das Mittagessen zu machen. Hast du Hunger?" Caden grinst, aber Madelyn scheint nicht zu verstehen, dass er einen Witz gemacht hat. Sie reißt ihre Augen erschrocken auf und schaut abwechselnd von mir zu ihm. „Das war Spaß, Maddie. Alles gut.", beruhigt er sie. „Ich habe dich hier hochgebracht und gewartet, bis du aufwachst. Er hier", er zeigt auf mich, „hat dein Handy gefunden und versucht ein Ladekabel dafür aufzutreiben. Cody hat wirklich gekocht und Trevor hat deine Klamotten von gestern in die Reinigung gebracht. Wir haben hier nicht zu viert gesessen und dich angestarrt, keine Sorge." Cadens charmantes Lächeln überspielt seine dunkelsten Gedanken. Ich weiß, wie sehr ihm die Vorstellung gefallen würde, mit uns allen den Anblick dieser schlafenden Schönheit zu teilen. Jedem von uns würde das gefallen. Wir alle würden es genießen sie nur anzusehen, wie friedlich sie da liegt und schläft. Wir ihr Brustkorb sich langsam hebt und senkt, wie ihre Augenlider zittern, sobald sie kurz vorm Aufwachen ist. Wie sie in einem, ihr völlig fremden Bett liegt, zwischen all der Dunkelheit, die wir ausstrahlen, die uns umgibt. Zwischen all der Dunkelheit, die wir sind.
Ihre Atmung beruhigt sich wieder und die Röte ihrer Wangen verblasst langsam. „Du hast mein Handy gefunden?", fragt sie mich aufgeregt, während sie sich aufsetzt. Ich nicke zufrieden und lege ihr das kaputte Ding in ihre weiche Hand. Bei der flüchtigen Berührung unserer Hände zuckt sie zusammen. „Es muss wohl bei dem Sturz kaputt gegangen sein aber es funktioniert noch."
„Oh ich weiß gar nicht, wie ich dir danken soll!" Mit einem breiten Grinsen drückt sie mir ihre vollen Lippen auf die Wange. „Danke, danke, danke! Ich muss sofort meinen Freund Jacob anrufen und..." Sie verstummt sofort als sie sieht, dass niemand ihr geschrieben oder sie angerufen hat, bis auf einer. Ihr Freund wird unser kleinstes Problem sein, das stand von Anfang an fest. Cody hat uns viel über ihre Beziehung erzählt, außerdem ist sie nicht die erste vergebene Frau, die mit uns zutun hat. 99% von ihnen sind nach einer Begegnung mit uns wieder Single und der restliche 1% ist schlau genug ihrem Partner nichts von ihrem Seitensprung zu erzählen. „Was ist los?", fragt Caden besorgt, als wenn er von nichts eine Ahnung hätte. Madelyns Hände zittern, ihre Augen füllen sich mit glänzenden Tränen. „Niemand fragt sich, wo ich bin. Niemand." Ihre Stimme ist langsam und zittrig, als könne sie jeden Augenblick brechen. „Mir hat bloß eine Person geschrieben aber..." Weiter kommt sie nicht, ihre Stimme bricht. Sie drückt sich ihre kleinen zitternden Hände an die Augen und versucht den Tränenfluss zu stoppen. Vorsichtig ziehe ich sie näher zu mir, schließe sie in meine Arme und lasse sie einfach weinen. Ihr Gesicht vergräbt sie in mein Shirt, während ich beruhigend über ihr Haar streiche. Caden liest sich die Nachrichten, die ich geschickt habe durch, als hätte er sie nicht vor einer halben Stunde selbst formuliert. „Ich kann nie wieder nach Hause.", schluchzt sie kaum hörbar. Caden überreicht nun auch mir das Handy, um die Nachricht zu lesen und ich schiebe Madelyn vorsichtig in seine Arme. Wir haben mit den Nachrichten schon echt übertrieben. Aber wir können kein Risiko eingehen. Sie muss bei uns bleiben wollen. Andernfalls müssen wir sie wohl doch an einen Stuhl fesseln.
Sie macht einen etwas ruhigeren Anschein, als wir zu fünft am Esstisch sitzen und zumindest versuchen, zu Mittag zu essen. Die Stimmung ist angespannt, niemand sagt etwas. Madelyn stochert bloß in ihrem Essen herum, Trevor verdreht ständig genervt seine Augen, wenn er sie ansieht, Cody ist verunsichert, wie so oft, und Caden und ich tauschen ständig Blicke aus, die nur wir deuten können. Wir sind uns unsicher, was wir als nächstes tun. Normalerweise müssen wir niemanden dazu bringen bei uns zu bleiben, sie kommen und bleiben freiwillig. Sie werfen sich uns an den Hals, bis wir sie selbst loswerden wollen aber das mit ihr ist etwas anderes. Sie brauchen wir, die anderen nicht „Was stand denn nun in diesen Nachrichten?" Kaum hat Trevor seine Frage ausgesprochen, beginnen Madelyns Augen wieder zu glänzen. Cody wirft ihm einen bösen Blick zu, doch er stört sich nicht daran, so ist er eben. Er liebt das Leid anderer, vor allem wenn sie so schön und unschuldig sind wie sie. „Wenn ich nach Hause kommen sollte, werden alle, die mir etwas bedeuten leiden müssen und..." Es fällt ihr so schwer darüber zu sprechen, genau wie es sein soll. „Und?", hakt Trevor genervt nach. „Und die Person wird das, was sie gestern Nacht angefangen hat zu Ende bringen." Hätte ich die Nachricht nicht selbst abgeschickt wäre ich vermutlich erstaunt darüber, was für böse Menschen es gibt, doch stattdessen wird mir wieder mal klar, wie böse wir eigentlich sind. Ihre kleinen Schluchzer verwandeln sich wieder in unkontrolliertes Weinen. Caden will aufstehen und sie an die Hand nehmen, doch ich unterbreche sein Vorhaben mit einem Räuspern und werfe stattdessen Cody einen Blick zu. Er soll diesmal bei ihr sein, schließlich soll sie uns allen vertrauen. Jedem einzelnen von uns.
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Our Girl - wir brauchen dich
Romansa„Du glaubst uns zu kennen, Madelyn. Doch das tust du nicht. Das wirst du niemals." - Vier Männer. Ein Mädchen. Zu viele Fragen. Zu wenig Antworten.