1 - Blaue Kulleraugen

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[Louis]

1 Jahr später

Eindeutig hungriges Gequengel holte mich aus meinem unruhigen Schlaf und ich schlug die Augen auf. Es war noch dunkel, offensichtlich mitten in der Nacht.
Nichts Neues, alle meine Nächte liefen neuerdings so ab.
Ich quälte mich aus dem Bett und ging zu dem weißen Babybett, das gegenüber an der Wand stand.

Das kleine Nachtlicht war noch an, ich blickte in das Bettchen und blaue Kulleraugen sahen hoffnungsvoll hoch zu mir, kleine Tränchen liefen die Wangen entlang.
„Ist ja gut." sagte ich sanft und nahm meine Tochter vorsichtig aus dem Bettchen heraus. Ich ging mit ihr in die Küche, bereitete eine Flasche zu und wiegte sie in meinem Arm. Sie quengelte weiter, doch Gott sei Dank schrie sie nicht wieder wie am Spieß.
Ich war absolut am Ende meiner Kräfte, doch was sollte ich schon tun, das kleine Wesen musste umsorgt werden.
Mit der fertigen Flasche setzte ich mich auf das Sofa, dann gab ich ihr die Flasche. Sie fing sofort an zu trinken und ich beobachtete sie dabei. Ihr Blick war sofort zufrieden. Ich lächelte und strich sanft über ihren Kopf.
Grace Johanna Tomlinson.

Ich wurde schwermütig bei dem Gedanken an das vergangene Jahr und vor allem bei dem
Gedanken an Silvester.
Die Neuigkeit, dass Stacey schwanger war, hatte bei mir eingeschlagen wie eine Bombe. Plötzlich war mein Leben wie ein Kartenhaus zusammen gefallen.
Mit schwerem Herzen hatte ich Stacey bereits kurz darauf angeboten, bei mir einzuziehen, denn ich war nun verantwortlich für einen kleinen Menschen. Ich war gut genug erzogen worden von meiner Mutter, um zu wissen, dass man in so einer Situation die Mutter seines eigenen Kindes nicht hängen ließ. Auch wenn sie ein noch so großes Miststück war. Sie hatte zugesagt und ich hatte ihr das Gästezimmer gegeben. Damit war sie nicht ganz glücklich, doch ich ließ in diesem Punkt nicht mit mir reden.
Wir waren immer noch getrennt und das würde sich auch niemals ändern, soviel stand fest. Auf gar keinen Fall würde ich sie in mein Schlafzimmer lassen, das konnte sie sich abschminken.

Nun da ich wach war, machte ich den Fernseher an, ließ ihn auf stumm, und klickte mich durch die Kanäle. Auf einem Musiksender lief gerade ein Video von Harry's Song. Sofort legte ich die Fernbedienung weg und sah es mir an.
In meinen Augen bildeten sich Tränen, die ich versuchte, wegzublinzeln. Ich lehnte mich ein wenig mehr zurück und platzierte meinen Kopf in den Kissen, immer noch Grace in meinen Armen, kuschelte ich mich mit ihr ein.
„Ich vermisse dich so..." flüsterte ich mit belegter Stimme, während ich jede seiner Bewegungen musterte.

Sein Video war unheimlich traurig und es machte viel mit mir. Er spielte Klavier und der Raum um ihn herum füllte sich stetig mit Wasser, verschluckte ihn gegen Ende vollständig. Er wirkte so traurig. Ich kannte jede Zeile dieses Songs auswendig und mein Herz schmerzte so sehr, dass ich es beinahe körperlich fühlen konnte.
Grace's Glucksen holte mich aus meinem Gedanken und ich sah zu ihr. Sie lächelte, dann gähnte sie kräftig und schloss die Augen.
„Ja, nun bist du zufrieden, hm? Und ich bin hellwach..." murmelte ich schmunzelnd und schüttelte lächelnd den Kopf.
Niemals hätte ich gedacht, dass ein Kind zu haben so anstrengend war. Es war mit Abstand die schwierigste Aufgabe, die ich je hatte.
Zusätzlich dazu war Stacey natürlich nicht die engagierteste Mutter, die man sich vorstellen konnte.

Grace war nun fünf Monate alt, doch Stacey hatte bereits wieder angefangen, Modeljobs anzunehmen. Sie war ziemlich gefragt, denn die Nachricht, dass sie mit mir ein Kind bekommen würde, hatte sich nach einem ihrer Instagramposts wie ein Lauffeuer verbreitet.
Das war Mitte Januar gewesen. Sie hatte Ihre Schwangerschaft verkündet und es hatte nicht lange gedauert, bis die Presse darauf aufmerksam wurde, dass es sich dabei nur um meinen Sprössling handeln konnte.
Daraufhin hatten Stacey und ich einen so heftigen Streit gehabt, dass ich sie beinahe aus der Wohnung gejagt hatte.
Sie hatte nichts gelernt aus der Vergangenheit, sie hatte sich kein bisschen geändert. Da merkte ich, dass ich ganz radikal etwas ändern musste.

Seitdem wurden wir beinahe permanent belagert und als ich nach der Geburt das Krankenhaus mit Grace und ihr verließ, war die ganze Straße voller Presse. Es war das schlimmste Gefühl überhaupt für mich gewesen, plötzlich meine Privatsphäre so zu verlieren. 

The Voice zog ich durch so gut es ging, die Klickzahlen waren natürlich immens gewesen und der Druck hoch. Mein Lichtblick in dieser Zeit war Amanda, die in meinem Team so aufgeblüht war und die Staffel letztendlich sogar gewonnen hatte. Sie war erfolgreich mit ihrem ersten Album, an dem ich nicht unbeteiligt gewesen war.
Doch was Harry anging, so standen die Dinge deutlich komplizierter.
Ich schloss die Augen und dachte wie so oft an den Moment zurück, als ich ihn das letzte Mal gesehen hatte. Es hatte sich in mein Herz eingebrannt.

Mit gepackten Taschen stand ich in meinem Hotelzimmer, Harry lehnte mir gegenüber an der Wand und sah mich traurig an.
„Ich verstehe nicht, wieso du mich so von dir stößt." sagte er leise und ich konnte erkennen, dass er litt.
Mir ging es genauso. „Harry, ich kann dich in die Scheiße nicht reinziehen. Die Dinge sind so unheimlich kompliziert, die Presse würde dich in alles mit reinziehen." sagte ich zum wiederholten Male, hielt meine Tränen dabei zurück so gut es ging.
„Aber ich liebe dich!"
„Ich dich doch auch!" rief ich und sah ihn verzweifelt an. „Aber ich bekomme ein Kind! Ich..." Ich seufzte auf. „Ich kann einfach nicht."
Mit schnellen Schritten ging ich auf ihn zu und umarmte ihn, schluchzte auf.
„Du hast so viel Besseres verdient..." flüsterte ich schwach, während er mich fest umarmte.
„Das sehe ich anders." antwortete er.
Wir hielten uns aneinander fest, ehe ich mich von ihm löste, meinen Koffer nahm und noch einmal zu ihm sah.
„Vergiss nicht, ich werde dich für immer lieben." sagte ich leise, dann verließ ich den Raum, ohne mich noch einmal umzusehen.

Bei dem Gedanken an damals flossen meine Tränen immer mehr und ich schluchzte leise auf. Das war vor 9 Monaten gewesen. Ich war mir mittlerweile bewusst, dass ich einen riesigen Fehler gemacht hatte. Alles in mir schrie nach Harry, jede Minute eines jeden Tages. Auch jetzt um zwei Uhr nachts, auf einer Couch in London, in den Armen meine Tochter.
„Ich bin so ein fucking Loser." flüsterte ich und schüttelte meinen Kopf, schloss die Augen. „Ich kriege einfach nichts auf die Reihe."
Ich rief ihn nicht an, stattdessen schrieb ich meine Gedanken in Nachrichten, die ich nie abschickte. Schrieb Songs, die nie das Licht der Welt erblicken würden, erfand Melodien, die nach Verlust und Trauer klangen. Nach Schmerz. Ich hatte nicht einmal mehr eine Karriere, denn die Tour hatte ich abgesagt. Und für ein neues Album fehlte mir die Kraft.
Es zerriss mich, doch ich schaffte es einfach nicht mehr.

Als die Wohnungstür aufging, schlug ich die Augen wieder auf und sah in Richtung Flur. Stacey kam hinein und sah zu uns. „Hi!" rief sie und ich legte den Finger auf meinen Mund.
„Ruhe!" zischte ich und zeigte auf Grace, doch meine Ex verdrehte nur die Augen und kam zu uns.
Sie gab Grace einen Kuss auf die Wange und musterte mich.
„Hast du schon wieder geheult?"
„Und hast du schon wieder gesoffen?" stellte ich die Gegenfrage.
Sie winkte ab. „Letztes Mal die Woche. Versprochen." Sie wollte Grace nehmen, doch ich blockte das sofort ab.
„Du nimmst sie sicher nicht betrunken auf den Arm, geh schlafen!" fuhr ich sie leise an.
Erschrocken sah Stacey mich an, dann wirkte sie im nächsten Augenblick wieder wütend.
„Steck sie ja nicht an mit deiner Depression. Du hockst hier als wäre jemand gestorben!" fauchte sie zurück und ging davon in Richtung Gästezimmer.

Ich schluckte, nickte aber leicht. „Stimmt..."
Denn irgendwie war das ja auch so. Ich hatte keine Freude mehr, außer Grace. Sie gab mir die nötige Kraft, denn auch wenn dieses Kind nicht aus einer Liebesbeziehung entstanden war, so liebte ich sie dennoch mit ganzem Herzen bereits jetzt schon. Sie war unfassbar niedlich, hatte die süßeste Stupsnase der Welt und das schönste Lächeln, dass ich je gesehen hatte. Sie brachte ein bisschen Licht in mein Leben.

Irgendwann stand ich auf und brachte sie zurück in das Bettchen, ehe ich mich zurück in mein Bett legte und mein Handy nahm. Wie jede Nacht tippte ich eine Nachricht in mein Handy, die ich nie abschicken würde. Es war wie eine Art Tagebuch, dass ich führte, auch wenn es eher Liebesbekundungen waren und keine „Was habe ich heute gemacht" Geschichten.
Ich wusste, dass ich mich lächerlich verhielt und dass ich Harry einfach anrufen könnte, doch ich war mir sicher, dass er mittlerweile nicht einmal mehr an mich dachte.
Oder schlimmer, vermutlich hasste er mich wieder.

Ich fiel erschöpft in den mittlerweile üblichen, unruhigen Schlaf, bevor nur zwei Stunden später erneut Geschrei den Raum erfüllte und ich schweren Herzens wieder aufstehen musste. Das hier war jetzt mein Leben. Ob ich es mir nun ausgesucht hatte, oder nicht.

How To Love Your Enemy | Larry StylinsonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt