C L A R K
Mit gekonnten Bewegungen hole ich zwei Bier aus der Kühlschublade und stelle sie vor Tracy und Luke, die mir dankbar zunicken und ihr Gespräch weiterführen. Gleichzeitig beobachte ich den Neuzugang, die nachdenklich in ihr Glas starrt und irgendwie verloren aussieht. Sie schwenkt es hin und her, anstatt daraus zu trinken.
Ich konnte bisher nie verstehen, wie es für die Geister möglich ist, all diese Gegenstände berühren zu können, jedoch keinen Menschen. Niemand wollte mir dieses Geheimnis bisher verraten. Egal, wie viele Male ich danach gefragt haben. Vielleicht wissen sie es selbst nicht einmal.
Tief seufzt sie auf und lässt ihre Schultern hängen. Die anfängliche Überraschung, die sie verspürt hat, sobald sie hereingekommen ist, ist nirgendwo zu sehen. Der Drang, mit ihr darüber zu reden wird immer stärker, jedoch versuche ich dagegen anzukämpfen. Ich weiß, dass es am besten ist, wenn sie von selbst zu mir kommen, da sie sich sonst in die Enge getrieben fühlen.
Ganz am Anfang ist mir dieser Fehler passiert. Meine Bar hat einiges abbekommen, weshalb ich diese Regeln aufstellen musste. Auf eine solche Katastrophe würde ich gerne verzichten.
»Ich glaube, es ist an der Zeit, mich zu verabschieden.«
Tony schiebt sich in mein Blickfeld und sieht mich aus traurigen Augen an, während sich seine Lippen zu einem Lächeln formen.
»Glaube ich auch, Kumpel«, erwidere ich darauf.
Ich freue mich für ihn, dass er endlich diese Welt verlassen kann und den Frieden finden wird, den er verdient. Diese Abschiede sind trotzdem nicht einfach, da ich mich an ihr Dasein gewöhne und ihre Gesellschaft schätze.
Er streckt mir die Hand hin. »Auch wenn wir uns nicht berühren können, wäre es doch schön, wir würden uns wie normale Menschen Lebewohl sagen.«
Zweifelnd ziehe ich meine Augenbrauen zusammen, bevor ich meine Hand ebenfalls ausstrecke. In der Sekunde, als er mich berühren soll, kribbelt meine Handfläche leicht. Es fühlt sich so an, als wäre sie eingeschlafen, bis plötzlich seine Finger durch meine Hand hindurch fliegen und der Moment vorbei ist.
»Danke dir für alles, Clark. Ohne dich, wäre ich durchgedreht.«
Kopfschüttelnd winke ich ab. »Willst du ein Geheimnis wissen, bevor du gehst?«
Neugierig funkeln seine Augen auf, nachdem er mir wie ein kleiner Schuljunge zunickt. Ich fand seine Neugier am Anfang nervig, weil er nicht aufgehört hat, mich über mein Leben auszufragen.
»Du warst mein Lieblingsgeist.« Warnend hebe ich meinen Finger. »Benimm dich auf der anderen Seite, Tony«, fahre ich noch zwinkernd fort und lache leise auf.
Lachend salutiert mein Kumpel, bevor er sich umdreht und eine Bewegung nachahmt, als würde er eine Tür öffnen. Den Durchgang zur anderen Seite. Sein Körper beginnt zu schimmern, verblasst mit jeder Sekunde mehr, bis er sich langsam auflöst und wir durch ihn sehen können. Ein entspannter Ausdruck kann ich auf seinem Gesicht erkennen, der mich lächeln lässt, ehe er einen Wimpernschlag später verschwunden ist.
Einen Moment ist es still in meiner Bar. Niemand wagt es einen Mucks von sich zu geben. Es ist jedes Mal ein besonderer Moment für sie alle.
»Woah! Was war das denn?«
Niemand außer Cassidy, die mit großen Augen auf den Punkt starrt, wo sich vor einigen Minuten noch Tony befunden hat.
»Das war richtig cool! Wie ein Zaubertrick oder so«, plappert sie weiter, sodass alle wieder ihre Gespräche aufnehmen und der Lärm zurückkehrt.
»Hast du das noch nie gesehen?«, frage ich sie neugierig.
»Scheiße nein! Kann ich das auch tun? Wie abgefahren ist das denn?«
»Irgendwann schon.«
Neugierig sieht mich an, weshalb ich tief aufseufze. Eigentlich bin ich der falsche dafür, aber wer könnte ihr das sonst alles erklären? Vielleicht sollte ich Tracy fragen, aber dann würde ich sehr wahrscheinlich nichts aus ihr herausbekommen. Geister können leider wahre Diven sein. Das musste ich alles erst lernen, bevor mir klar war, wie ich mit ihnen umgehen sollte.
»Also, ihr seid alle aus einem bestimmten Grund hier«, fange ich an, nachdem ich sichergestellt habe, dass alle Gäste bedient sind. »Irgendetwas hält euch auf der Welt fest. Ein letzter Wunsch sozusagen. Meistens ein Mensch, der euch sehr Nahe war.«
Ich schenke mir selbst einen Bourbon ein und nehme einen Schluck, bevor ich fortfahre.
»Ihr wollt, dass sie glücklich sind. Sicher stellen, dass sie ohne euch auskommen und nicht in der Trauer versinken, die euer Tod mit sich gebracht hat. Verstehst du, was ich sagen will?«
Nachdenklich zieht sie ihre Augenbrauen zusammen. »Ich denke schon. Aber wie stellen wir das am besten an? Ich kann schlecht mit ihnen reden, wenn sie mich nicht sehen können.«
Gute Frage. Die anderen haben bisher einfach darauf gewartet, weswegen ich ahnungslos mit den Schultern zucke. Vielleicht wäre es doch besser gewesen, wenn ich Tracy darum gebeten hätte, es ihr zu erklären. »Wir können jemanden fragen, wenn du willst.«
»Nein, schon gut. Ich habe eine viel bessere Idee.«
Das mulmige Gefühl breitet sich bei ihren Worten in meinen Bauch wieder aus. Cassidy sieht mich an, als wäre ich die Antwort auf all ihre Fragen und das gefällt mir überhaupt nicht.
»Und die wäre?«, hake ich skeptisch nach und nehme einen Schluck von dem köstlichen Alkohol, der leicht in meinem Rachen brennt.
»Wenn das so ist, dann kann es sich nur um meine Schwester handeln. Ich hatte sonst niemanden, der mir nahe war«, fängt sie an und reibt ihre Hände aneinander. »Du könntest sie doch treffen und ihr etwas mitteilen. Eine Nachricht von mir oder so etwas Ähnliches.«
Meine Augen weiten sich bei ihrer Idee, weshalb ich augenblicklich den Kopf schüttle. Gleichzeitig hebe ich die Hand vor meinen Mund, da ich mich an dem Getränk verschluckt habe. Sie kann froh sein, dass ich ihr nicht ins Gesicht gespuckt habe.
»Nein! Das geht nicht. Ich bin kein Medium!«
»Und trotzdem siehst du Geister«, widerspricht sie mir sofort und zieht eine Augenbraue in die Höhe.
Verdammt nochmal.
Eins zu null für Cassidy.
Trotzdem versuche ich mich irgendwie da herauszureden. Das ist nämlich eine wirklich miese Idee.
»Sie würde mich für verrückt erklären und die Polizei rufen. Ich kann nicht einfach bei ihr vorbeischauen und behaupten, dass ich ihre wohl bemerkt tote Schwester sehe.«
»Du müsstest ihr einfach etwas erzählen, von dem nur ich etwas wusste. Das ist ein Kinderspiel, Clark. Wie in diesen Filmen, die du sicher gesehen hast und wenn nicht, würde ich sie dir sehr empfehlen. Wir können sie uns auch zusammen anschauen.«
Moment. Was labert sie da?
»Nein, Cassidy. Das geht nicht.«
Der kleine Giftzwerg schiebt ihre Lippe ein wenig vor, während sie mich aus großen Augen anblickt. »Aber die sind so gut!«
»Ich rede nicht von den Filmen.«
Das ist ihr bewusst, da sie mich einen Moment später mit einem teuflischen Grinsen fixiert.
»Das werden wir noch sehen, Clark. So leicht gebe ich nicht auf.«
Verflucht! Ich wusste doch, dass mir mein Bauchgefühl die richtigen Signale gesendet hat. Diese Frau wird mich in den Wahnsinn treiben.
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Seelentröster
RomanceAlle denken, dass Clark Stevens ein normaler und sehr aufmerksamer Barkeeper ist. Wenn sie etwas auf dem Herzen haben, erzählen sie ihm ihre Geschichte, um die Last auf ihren Schultern für einen Moment verschwinden zu lassen. Nacht für Nacht hört de...