3 | Nervensäge

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C L A R K

Mit müden Augen schließe ich die Tür meiner Bar und mache mich auf den Weg zu meinem Auto. Die kalte Nachtluft lässt meinen Körper frösteln, sodass ich meine Herbstjacke enger an mich schmiege. Trotzdem ist es eine unglaublich schöne Nacht. Die Straßenlaterne, wie auch der Mond und die funkelnden Sterne, schenken mir ein wenig Licht, damit ich problemlos zu meinem Auto laufen kann.

Es war eine lange Schicht. Besser gesagt, eine lange Woche. Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal so ausgelaugt war. Und dafür gibt es auch einen Grund. Cassidy versucht alles, um mich von ihrer Idee zu überzeugen und lässt mich nicht eine Sekunde in Ruhe. Zuerst dachte ich, sie lässt es irgendwann sein, jedoch hätte ich nicht gedacht, dass sie so hartnäckig ist.

Dieses Biest ist ein verdammter Sturkopf.

Gekonnt öffne ich mein Auto, nachdem ich die Schlüssel aus der hinteren Jeanstasche gefischt habe, und steige in den Wagen ein. Für einen kleinen Augenblick bleibe ich einfach sitzen und schließe dabei meine Augen. Einfach die Ruhe genießen. Ich kann es kaum erwarten, endlich nach Hause zu kommen und mich hinzulegen.

»Willst du nicht endlich losfahren?«

Ein Schrei entkommt aus meinem Mund, als ich mich ruckartig aufrichte und neben mich blicke. Gleichzeitig wandert meine Hand zu meiner Brust, als wolle sie verhindern, dass mein Herz herausspringt.

Verdammte Scheiße!

Die kleine schwarzhaarige Nervensäge sitzt gelassen auf dem Beifahrersitz und hat es sich gemütlich gemacht, während sie mir zeitgleich ein unschuldiges Lächeln schenkt.

»Verdammt, Cassidy! Willst du, dass ich sterbe?«, brülle ich sie an und fahre mir durch die Haare. Tief atme ich ein und versuche mein Herzschlag zu beruhigen.

Lässig zuckt sie mit den Schultern und ist sich keiner Schuld bewusst. »Ich dachte nicht, dass du so schreckhaft bist, Clark. Immerhin siehst du Geister, weshalb ich angenommen habe, dass du abgehärtet bist.«

Nicht schon wieder. Innerlich schreie ich auf und verdrehe genervt meine Augen, bevor ich den Motor starte. »Was wird das, Nervensäge? Denkst du nicht, dass du mich diese Woche bereits genug belästigt hast?« Ich setze den Blinker, bevor ich auf die Hauptstraße abbiege, die zu meinem Zuhause führt.

»Nein«, kommt es sofort aus ihrem Mund, bevor sie das Radio anmacht und die Lautstärke aufdreht. Ein altes Rock ’n’ Roll Lied dringt aus den Lautsprechern, während Cassidy sofort mit dem Kopf zum Takt wippt.

»Was genau machst du da?«, hake ich nach und drehe die Musik leiser, ehe ich sie für einen kurzen Moment mit zusammengekniffenen Augen mustere.

»Na was wohl, Sherlock? Ich komme mit dir mit.«

»Was? Nein!«, widerspreche ich ihr sofort und trete kräftig auf die Bremse. Ein Glück, dass niemand hinter uns ist. »Auf keinen Fall, Nervensäge.«

Wenn ich könnte, würde ich sie am liebsten durchschütteln. In diesem Moment verfluche ich sie für ihr Geisterdasein.

»Wieso nicht? Ich suche schon lange einen Schlafplatz und wir verstehen uns doch so gut.«

Tief seufze ich auf, während ich meine Stirn in Falten lege und weiterfahre. Was anderes bleibt mir nicht übrig. Ich kann Cassidy schlecht aus dem Auto werfen. »Ihr schlaft?«

»Nein, das tun wir tatsächlich nicht, was sehr abgefahren ist. Nennen wir es besser nicht Schlafplatz, sondern Ruheort. Und ich muss zugeben, dass Ich gar nicht weiß, was ich in dieser ganzen Zeit anstellen soll.«

»Du könntest deine Schwester besuchen«, gebe ich schulterzuckend von mir.

Cassidy hat sie bisher nur erwähnt, aber sonst nicht viel über sie erzählt. Jedes Mal hat sich ein trauriges Lächeln auf ihrem Gesicht gebildet, sobald es um ihre Schwester ging. Ich kenne nicht mal ihren Namen und trotzdem will sie, dass ich sie besuche. Aber wie genau soll ich das anstellen?

»Das habe ich die letzten Monate gemacht, Clark. Jeden Tag war ich bei ihr und habe sie beobachtet. Weißt du, wie frustrierend das eigentlich ist?«

Das stelle ich mir tatsächlich sehr schwierig vor. »Das tut mir leid, wirklich.«

»Wie wäre es, wenn wir zu dir fahren und ich dir meine Idee ausführlich erzähle? Vielleicht änderst du deine Meinung«, fragt sie hoffnungsvoll und sieht mich aus großen Augen an, während sie ihre Unterlippe ein kleines Stück vorschiebt.

Nachdenklich biege ich links ab und parke meinen Wagen vor meiner Garage. Ich glaube nicht, dass sie locker lassen wird, weshalb ich nachgebe. »Okay.«

Sofort heben sich ihre Mundwinkel nach oben, bevor sie mich angrinst und triumphierend die Hände in die Luft wirft.

»Das heißt aber nicht, dass ich dein Angebot annehme, Cas«, werfe ich noch ein, nachdem ich aus dem Auto aussteige.

»Ich weiß. Aber ich bin endlich einen Schritt weiter. Der Rest kommt dann von allein. Außerdem nennst du mich Cas und das werte ich als gutes Zeichen.«

Darauf erwidere ich nichts, da sie eigentlich recht hat. Egal, wie sehr sie mich nervt und mich versucht in den Wahnsinn zu treiben, ich mag sie irgendwie. Wie eine kleine Schwester, die ich nie hatte.

Sobald wir in meinem Haus sind, verschwindet Cassidy und lässt mich für einen Moment allein. Müde ziehe ich mir die Schuhe aus und schlendere in die Küche, um mir eine Limo zu holen, bevor ich mich im Wohnzimmer auf die Couch setze.

»Man sieht, dass du hier allein lebst«, höre ich ihre Stimme, nachdem etwas auf mein Schoss fällt. Ich nehme den Horrorfilm in die Hand und muss dabei schmunzeln. Sie hat sich einen Geisterfilm geschnappt, den ich bereits unzählige Male gesehen habe. Ein guter Film, aber dafür sind wir nicht hier.

»Ich weiß«, erwidere ich auf ihre Worte und hebe die Hülle in die Luft. »Was willst du damit?«

»Angucken. Ich habe dir doch letztens gesagt, dass wir uns diese Filme ansehen müssen, Clark. Hast du das etwa vergessen?«

Meine Mundwinkel heben sich unwillkürlich bei dieser Aussage. Cas kann das doch nicht ernsthaft ernst gemeint haben, oder etwa doch?

»Wäre es nicht besser, wenn du mir erzählst, wieso ich dir und deiner Schwester helfen sollte?«, frage ich sie mit erhobenen Augenbrauen.

»Das ist eben nicht so einfach, wie du denkst. Ich muss mich mental darauf vorbereiten. Nicht, dass ich dein Haus verwüste oder so. Ich will dich als Gastgeber nicht verärgern.«

»Wieso solltest du das tun?«

Abermals schenkt sie mir ein trauriges Lächeln.

»Weil die Emotionen mit mir durchgehen. Das habe ich leider selbst lernen müssen, als ich mein altes Zimmer zerstört habe. Und das Schlimmste? Jules hat alles gesehen.«

Eine dunkelrote Substanz sammelt sich in ihren Augen, die mich stark an Blut erinnert. Es muss Cassidy sehr verletzt haben, dass sie ihrer Schwester Angst eingejagt hat.

Plötzlich beginnt der Tisch vor mir an zu vibrieren. Die Schultern von der schwarzhaarigen Nervensäge beben ebenfalls.

Oh nein! Cas wird bestimmt nicht mein Haus wie ein Poltergeist verwüsten. Aber wie dringe ich zu ihr durch? Immerhin kann ich sie nicht anfassen.

Verdammt! Denk nach, Clark. Und das schnell.

SeelentrösterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt