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"Kannst du zum Punkt kommen?"
"Jetzt warte doch mal! Ich bin noch nicht fertig!" Dijana trank einen kurzen Schluck von ihrem Kaffee und stellte die Tasse auf die kleine Untertasse zurück. "Nachdem er mich mit seiner Liebe fast erstickt hat, hat er mir einfach einen Antrag gemacht!" Die Augen meiner besten Freundin leuchteten auf, doch nicht nur ihre, auch meine.
Dijana, meine beste Freundin. Seit der siebten Klasse sind wir unzertrennlich und erzählen uns jede Kleinigkeit. Ständig haben wir uns über die Beziehungen anderer lustig gemacht und gewettet wie lange sie halten wird. Doch in der zehnten Klasse wendete sich das Blatt. Fünf Monate lang verschwieg sie mir, mit ihrem Freund aus Serbien zusammenzusein. Damals waren wir noch fünfzehn Jahre alt und viel hielt ich von Beziehungen nicht. Ich weiß noch ganz genau, wann sie mir es gebeichtet hatte. Ich war entsetzt und etwas sauer, da sie es mir so lange verschwiegen hatte. Wir saßen im Bus auf dem Weg zum Schwimmunterricht. Ich wollte sie mit meiner Enttäuschung nicht noch mehr den Kopf zerbrechen lassen. Denn es gab einen Grund für ihre Unsicherheit. Milan, ihr Freund, ist ihr Patencousin und die Beziehung somit nicht akzeptiert. Sie sind nicht in der Blutslinie verwandt, kirchlich gesehen aber schon, das somit ein Hindernis darstellte. Sie hatte Angst, dass ich mich vor ihrer Mutter versprechen könnte, dass sie mit ihrem Patencousin zusammen ist, was viel Stress hätte geben können.
Gab es auch. Nach drei Jahren, waren die beiden bereit dazu, ihren Eltern die Beziehung zu beichten. Dijana war damals mit ihrer Familie in Serbien und sie hatten sich alle gemeinsam versammelt. Niemand hatte sich dabei was gedacht, es gab Essen auf dem Grill und ein paar Bekannte kamen hinzu. Ich war auch dabei. Damals waren Dijana und ich zuerst nach Serbien und schließlich in meine Heimat nach Albanien Urlaub machen wollen - soweit man das Urlaub nennen mochte - Irgendwann spät abends, sagte ich meiner Freundin, sie sollte das Thema langsam ansprechen. Die Bekannten waren weg und nur noch Milan, seine Eltern, Dijana, ihre Eltern und ich waren da. Sie sprachen alle auf serbisch, deshalb verstand ich recht wenig, oder besser gesagt nichts. Milan und Dijana tauschten immer wieder Blicke aus und man sah ihnen an, dass sie nervös waren. Irgendwann sprach mich Dijanas Mutter an, was mit Dijana los sei, ich zuckte nur mit den Achseln. Was hätte ich antworten sollen?
Ich weiß noch, Milan hatte mit dem Reden angefangen, als sein Vater ihn wutenentbrannt anschaute, mischte sich schnell Dijana ein, um die Sache ein wenig zu schlichten. Doch alles wurde schlimmer. Beide Elternteile akzeptierten die Liebe zwischen den beiden nicht. Alles eskalierte. Und ich war mittendrin und wusste nicht was tun. Beide Familien haben sich so sehr zerstritten, dass sie den Kontakt zwischen Milan und Dijana verboten hatten. Doch die beiden ließen sich nicht unterkriegen.
Gott sei Dank war ich da. Wäre ich nicht dort gewesen, hätte Dijana nicht mehr rausgehen dürfen, nur um den Kontakt zu Milan zu vermeiden. Doch da ich anwesend war, konnten wir ja nicht ständig Zuhause bleiben. So gingen wir oft spät abends hinaus und trafen uns heimlich mit Milan. Meine Anwesenheit störte sie vermutlich, doch wo hätte ich ahnungslos und orientierungslos hingehen sollen? - Jeden Abend trafen wir uns, bis die Zeit gekommen war und Dijana und ich nach Albanien fahren wollten. Doch Dijanas Eltern akzeptierten das nicht und somit wurde der Urlaub alleine zu zweit gestrichen. Wir fuhren zwei Wochen früher als geplant zurück nach Deutschland. Dort wurde die ganze Sache auch nicht besser. Dijana bekam sehr viel Stress Zuhause bis sie mich mitten in der Nacht anrief. Als ich ranging, bat sie mich hinaus vor die Haustüre zu kommen. Ich lief also hinaus und da stand sie, mit dem Griff ihres Koffers in der Hand. "Mein Bus fährt in zwei Stunden, kannst du mich nach Stuttgart bringen?" perplex schaute ich sie an und wusste nicht genau was ich tat. Ich zog meine Jogginghose an, nahm meinen Hoodie und die Autoschlüssel und fuhr sie nach Stuttgart. Erst im Auto fragte ich, wohin sie gehen möchte, doch eigentlich wusste ich es genau. "Nach Serbien. Milan und ich hauen ab." Kurz schaute ich zu ihr und dann wieder auf die Straße. "Wohin?" fragte ich. "Wir kommen bald wieder, wenn unsere Eltern uns akzeptieren."
"Du weißt soetwas unterstütze ich eigentlich nicht." sagte ich damals zu ihr und auf die Autobahn, nur um darauf zu realisieren, dass ich genau das eben doch tat.
"Du weißt nur nicht wie es ist verliebt zu sein." sagte sie leise und schaute nach draußen auf die Straße.
"Kann sein." Ich war mir sicher, auch wenn ich verliebt war, hätte ich nie meine Eltern dafür verlassen. Familie geht vor. Doch nun weiß ich, ich war nicht viel anders, als ich mich verliebt habe. Ich hatte die gleichen Pläne.
Am Busbahnhof bat sie mich, niemanden davon zu erzählen, falls jemand nach ihr fragte. Ich versprach es und brach das Versprechen. Ich breche nie ein Versprechen und falls doch, muss das ein wirklich guter Grund sein.
Zwei Tage waren vergangen und Dijanas Eltern riefen mich ständig an, damit ich ihnen sagte, wo sie sei. Doch ich sagte nichts. Behielt alles für mich. Die Eltern gingen nicht zur Polizei, da sie genau wussten, dass Dijana mit Milan abgehauen war. Sie versuchten sie ständig anzurufen, doch sie ignorierte ihre Eltern, sogar mich. Das brachte mich dazu, dass ich mir Sorgen machte und ihrer Mutter gesagt hatte, wohin sie abgehauen sind. "Sie sind nach Borski."
Milans und Dijanas Eltern machten sich damals auf den Weg dorthin. Sie sprachen noch einmal alle miteinander und kamen zu dem Entschluss, die kirchliche Patenschaft aufzulösen, damit Milan und Dijana zusammen sein konnten, ohne irgendwelche Probleme zu bekommen. Die Eltern akzeptierten es. Und nun sind weitere zwei Jahre vergangen. Seit fünf Jahren führen sie eine Fernbeziehung. Serbien und Deutschland. Mehr als tausend Kilometer.

Milan war nach Deutschland gekommen, um Dijana zu besuchen und nun stellte er ihr die Frage, ob sie ihn heiraten möchte.
"Und ich habe ja gesagt!" sie strahlte mich mit ihren dunklen, fast schwarzen Augen an.
"Das freut mich für dich! Wissen es eure Eltern?"
"Hast du mir nicht zugehört? Ich hab doch gesagt, dass wir alle Essen waren und er mich dort gefragt hat!" sie lachte auf. Sie konnte mir das nicht übel nehmen, denn sie kannte mich zu gut. Ich hörte so selten zu.
Ich war in meinen Gedanken verloren, obwohl es nicht einmal einen Grund fürs Nachdenken gab.

Nicht ohne DichWo Geschichten leben. Entdecke jetzt