Wir berichteten nicht nur über uns selbst, sondern hatten noch eine weitere Idee. Halils Schicksal brachte uns auf diesen Vorschlag. Sein Vater und selbst sein Bruder waren im damaligen Libanonkrieg 2006. Sein Vater war Kriegsberichterstatter, sein Bruder Soldat. Sie kämpften freiwillig für ihr Land und kamen dabei bitter ums Leben. Halils Bruder war zu dieser Zeit erst neunzehn Jahre alt und Halil erst elf, als er mitbekam, dass sein Bruder und sein Vater von einer Rakete getroffen wurden.
Halil war sich zu diesem Zeitpunkt sicher, er würde nie freiwillig in den Krieg ziehen. Sondern würde Menschenleben auf andere Weise retten.
Da der Libanonkrieg 2006 kaum, ja gar nicht, in den Medien ausgtrahlt wurde, wusste Halil er wollte Journalist werden, um uns Menschen über all die schrecklichen Themen auf dieser Welt präzisiert zu informieren und aufzuklären. Denn auch ein Mord der über Tausende Kilometer entfernt passiert, betrifft auch dich.
So war auch unsere Idee über die deutsche Bundeswehr und deren Geschichten zu berichten.
"Ich habe angerufen!" schrie Simon von zehn Meter Distanz in unsere Richtung. Er kam keuchend an unserem Tisch im Aufenthaltsraum der Uni an. "Sie meinten, es gehe klar!"
"Prima!" sagte ich. "Wer hätte gedacht, dass das so leicht ist."
"Naja, so leicht war das eigentlich gar nicht. Ich habe ihnen erzählt, dass das wichtig für unser Studium sei und ihnen Papiere per Fax zugeschickt, da sie Angst hatten, dass wir es veröffentlichen. Erst dann gaben sie uns die Erlaubnis."
"Aber immerhin!" sagte Hilal. "Wann können wir durchstarten?"
"Jetzt sofort!" grinste Simon uns an.
"Jetzt schon?" ich lachte. "Simon du bist genial!"
"Ich sagte doch, er ist genial!" lachte auch Halil.***
Mit der Kamera in der Hand filmte ich das Gebäude der Bundeswehr von innen. Halil stand irgendwo an einem schwarzen Brett und studierte es, während Simon ganz verschwunden war.
"Ich bin dafür, dass ich die Kamerafrau bin." sagte ich und zoomte auf ein Fenster hin, außerhalb mit Gittern. "Wie im Gefängnis."
"Die Kamera ist viel zu schwer für dich." sagte Halil und kam auf mich zu. "Höchstens eine Stunde und du wirst sie mir abgeben."
Ich lachte. "Du unterschätzt mich!"
Simon erschien im Flur. "Hey Leute! Habe mit dem Kommandant gesprochen. Die Soldaten, oder was auch immer, sind gerade draußen. Kommt mit!"
"Na dann los!" sagte Halil und lief voraus.
Ich lief ihnen mit der Kamera hinterher und versuchte die Gänge so gut wie möglich zu filmen. Voller Enthusiasmus und mit wenig Ahnung, was wir eigentlich genau möchten, liefen wird durch die Kaserne. Draußen angekommen schien die Sonne einem direkt ins Gesicht und ich musste meine Augen zusammenkneifen, um überhaupt etwas sehen zu können.
Es standen geschätzterweise über 100 angehende und bereits ausgebildete Soldaten in Form und Reihe. Der Kommandant salutierte und die anderen machten es ihm nach.
"Zum Essen antreten!" schrie er lauthals, woraufhin ich zusammenzuckte und Halil und Simon anfingen zu lachen.
Die Soldaten liefen nun nicht ordentlich nach innen, sondern erschöpft und durcheinander. Wir folgten ihnen. Ich mit der Kamera. Ich kam mir dumm vor. Ich rannte Menschen mit einer Kamera hinterher. "Falls ihr interessante Menschen kennenlernt, ruft mich sofort, damit wir sie über deren Schicksal interviewen können!" sagte ich zu Halil und lief sofort mit den Soldaten hinein.
"Weiblichkeit hat hier gefehlt!" hörte ich nur einen sagen, ignorierte es aber.
Ich lief mitten durch und konzentrierte mich auf die Aufnahme der Kamera, es sollte so wirken, als ob der Zuschauer des Filmes selbst mittendrin wäre.
Einige Soldaten saßen sich hin und unterhielten sich mit anderen Soldaten. Andere Soldaten gingen etwas für sich und wiederum andere Soldaten holten sich etwas zu Essen. Und ich wusste nicht wohin. Was tun. Oder sonst was. Ich suchte Halil und Simon, doch fand sie nicht. Deshalb beschloss ich mich einfach zu einer Gruppe zu gesellen und mit ihnen zu reden.
Ich steuerte direkt auf eine vierer Gruppe zu, die gerade über irgendetwas gelacht haben.
"Was gibt es zu lachen?" fragte ich und setzte mich neben Soldat Nr. 1 hin.
"Sag mal, was sucht ihr hier eigentlich?" fragte mich Soldat Nr. 2
"Wir studieren und haben ein Projekt über etwas zu berichten. Wir kamen auf die Idee, nicht über Opfer, sondern über Helden zu reden. So sind wir hier hin geraten."
Soldat Nr. 2 lacht. "Wir werden als Helden bezeichnet, hört hört!"
Soldat Nr. 2, 3 und 4 lachen. "Seid ihr doch auch." meinte ich.
"In was für einer Traumwelt lebst du eigentlich?" fragte mich Soldat Nr. 3.
"Seid ihr denn noch nie in einem Krieg gewesen?"
"Wir noch nicht, aber viele von hier, waren schon in Afghanistan tätig." sagte Soldat Nr. 1 schlicht und einfach. "Verstehe, ihr kennt die ernste Lage da draußen in der Welt noch nicht, deshalb lacht ihr darüber. Klar, dann kann man euch nicht Helden nennen. Aber wenn ihr mal abseits bereit seid zu kämpfen, werde ich euch Helden nennen. Ja, lacht jetzt darüber, aber ihr kennt die Wahrheit nicht. Und ich dachte, in der Bundeswehr lernt man die pure Realität kennen. Wenn ihr so ein Verhalten habt, frage ich mich ernsthaft was ihr hier sucht." Die Soldaten sahen mich an. "Trotz allem, danke für die detailierten Informationen." ich lächelte etwas abgehoben und stand auf.
"Wieso gehst du, Püppchen?" fragt mich Soldat Nr. 3. "Willst du uns nicht ausfragen und interviewen?"
"Wozu denn?" fragte ich sie. "Ihr habt nichts heldenhaftes getan, wieso sollte ich dann über ein minderbemitteltes Pack reden, wenn doch das Thema Held ist? " Ich ging. Ich war mir sicher, ich hatte überreagiert und die Jungs wollten mich nur ärgern. Ich glaube, ich wollte nur schnell vom Tisch weg und andere Soldaten treffen, die ein interessantes Schicksal hinter sich hatten. Doch kaum suchte ich neue Menschen auf, kam Simon zu mir. "Tereza! Halil und ich haben jemand Interessanten gefunden!"
Ich lief ihm hinterher und sah schon Halil mit einer Gruppe von anderen Soldaten am Tisch sitzen.
Ich setzte mich neben Halil und stellte mich vor. "Schön dich kennenzulernen, Tereza!" sagte der Soldat und gab mir die Hand. "Schön dich nun kennenlernen zu dürfen!" sagte ich und nahm seine Hand an. Bevor wir anfingen, erzählten wir ihm und der restlichen Gruppe über unser Projekt. Bis der Soldat zum Mittelpunkt wurde.
"Als Kind hatte ich schon großes Interesse an den Krieg. Leben retten und verteidigen. Doch mein Vater hielt nicht viel davon."
"Weshalb? Gab es etwas, was ihn dabei beeinträchtigt hatte?" fragte Simon.
"Ja in der Tat. Er war selbst mal in einem Krieg mit dabei. Allerdings kein echter Krieg zwischen Ländern, sondern ein Krieg zwischen zwei Gruppen. Er lebte damals in Sizilien und die Einwohner einer kleinen Stadt hatten große Probleme mit der italienischen Mafia genannt auch Cosa Nostra. Er erzählte mir davon, wie die Menschen abgeschlachtet, aufgehängt und gefoltert wurden, ohne Rücksicht auf Frauen und Kinder. Er erzählte mir jedes Detail."
"Zum Beispiel?" fragte Simon.
Ich spürte wie jemand neben mir Platz nahm und schaute kurz zu meiner Linken. Neben mir saß Soldat Nr. 1 von vorhin. Er schaute mich kurz an, ich schämte mich für mein voriges Verhalten, wollte es mir aber nicht anmerken lassen und widmete mich wieder dem anderen Soldaten.
"Mein Vater hatte sich als kleiner Junge in einem kleinen Tunnel an einem Bach versteckt, als wild um sich geschossen wurde. Irgendwann war es still und er traute sich völlig durchnässt aus seinem Versteck heraus. Er sah sich um und sah drei Männer keine zehn Meter von ihm entfernt. Einer von ihnen hatte meinen Vater bemerkt, aber nichts gesagt. Aufgrund bestimmten Tattoos konnte er erkennen, dass zwei der Männer der Mafia angehörten. Mein Vater war erstarrt und hatte Angst. Aus Schock rannte er nicht weg. Der andere Mann, der nicht zur Mafia gehörte, weinte. Er weinte viel, sagte mein Vater. Er sagte: Oh bitte, lasst meine Familie aus dem Spiel, dafür bin nur ich zuständig! Die Männer sahen sich gegenseitig an. Keine Sekunde später zogen sie den anderen Mann komplett aus. Du hast mit meiner Frau geschlafen? schrie der eine und schlug ihm ins Gesicht. Der Mann schrie und bittete um Verzeihung, doch sie ignorierten es."
"Warte mal, wegen einer Fremdgeherei gab es gleich Stress zwischen zwei großen Gruppen?" fragte Halil, der immer noch nicht überzeugt von der Geschichte war.
"Nein! Es gab noch mehr Fälle, das ist nur ein Einzelfall! Die Mafia hat darauf gewartet und alles geplant, wie sie die Gemeinde vernichten."
"Erzähl die Geschichte weiter!" sagte ich und zoomte an seinem Gesicht. Mittlerweile haben sich noch mehr Soldaten um uns herum versammelt.
"Der Mann war nackt und kurzerhand schmückte der andere ein Messer heraus. Der andere Mafiose hielt in fest und der mit dem Messer schnitt ihm einfach die Hoden ab."
"Deswegen habt ihr alle Sizilianer keine Eier!" Lachte ein Soldat.
"Halts Maul, du Wichser!" Er stand kurz auf, schaute ihn leicht aggressiv an, beruhigte sich schnell wieder und nahm Platz.
"Mein Vater war einfach unter Schock um wegzuschauen oder wegzurennen. Die Mafia schoss dem Mann drei Mal ins Gesicht. Zuerst in das linke Auge, dann in das Rechte und zu guter Letzt in den Mund. Von dem Laut der Schüsse kam mein Vater zur Realität zurück und lief weg. Er rannte um sein Leben." der Soldat nahm tief Luft. "Deshalb hält er nichts von Kriegen. Er sagte zu mir, wenn ein Mensch zu sowas in der Lage ist, will er sich nicht vorstellen, zu was mehrere Menschen in der Lage sind." er machte eine kleine Pause. "Er hält nichts von Gewalt, und somit nichts vom Retten der Menschenleben. Irgendwann muss doch jeder sterben. Ob ihm die Hoden abgeschnitten werden oder er wegen einer Krankheit stirbt. Das macht keinen Unterschied. Am Ende sterben alle. Und deshalb bringt es nicht Menschenleben zu retten, weil das nicht ewig hält. Das hatte mein Vater immer wieder gesagt." Der Soldat lachte leicht. "Aber ich bin trotzdem hier um Menschenleben zu retten. Mein Vater ist aufgrund Krebs gestorben und ja, er hatte Recht. Es macht keinen Unterschied ob man wegen einer Krankheit oder etwas anderem stirbt,"
"Am Ende sterben wir alle, egal wie." vervollständigte ich in meinem Kopf gleichzeitig mit ihm seine Worte.
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Nicht ohne Dich
RomanceWünsche sind unerwünscht. Du bist wie eine Marionette geführt von den Menschen, die deine Entscheidung nicht akzeptieren. Du folgst deinem Herzen und möchtest an die bevorstehenden Probleme erst gar nicht denken. Doch kaum gehst du deinen Weg, steh...