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Es verging kein Tag, an dem ich nicht voll Schmerzen an meinem Körper aufwachte. Es verging kein Tag, an dem ich nicht mit Tränen in den Augen einschlief. Es verging kein Tag, an dem ich nicht an meinen geliebten Denian dachte. Ich wollte hier weg. Ich fing an, mich selbst verrückt zu machen. Nein, ich war schon total verrückt. Mein Körper machte nicht mehr mit mir mit. Ich fühlte mich zehn Jahre älter.
Drei Monate waren vergangen und mein Funke Hoffnung an Dorentina, Denian, gar Halil, starb vollkommen. Ich hatte keinen Sinn mehr in meinem Leben, ich wollte nicht mehr leben. Ich hatte doch nicht einmal ein Leben!
Eines Tages war ich wieder im Zentrum einkaufen und hatte mein Gewand an. Neuerdings musste ich es sogar Zuhause anbehalten. Aber an diesem Tag sprach mich jemand aus dem Dorf an. Es war ein Mann, er fragte mich woher ich kam. Ich war kurz davor ihn um Hilfe zu beten, aber die Angst vor Mohammed war viel zu groß. Es gab nicht einen Tag, an dem er mich nicht schlug, und wenn nicht, vergewaltigte er mich. Ich konnte nichts tun. Ich konnte mich nicht wehren. Wenn ich mich wehrte, wurde er nur noch mehr aggressiver, zu meinem Nachteil. Ich ließ einfach mit mir machen und nach jedem Schlag, nach jeder Vergewaltigung, starb ein Teil in mir mit.
"Das ist keine Strafe, das ist wie eine Belohnung." sagte Mohammed immer wieder zu mir, als er mich vergewaltigte. Doch ich wusste nicht, was das für eine Belohnung sein sollte. Ein zehn Jahre älterer Mann zwang mich zum Sex, der mehr als gewaltsam war. Mir tat alles weh. Doch ihm interessierte es nicht. Nach jeder Vergewaltigung musste ich mich übergeben. Ich ekelte mich zu sehr vor Mohammed, aber am meisten ekelte ich mich vor mir selbst. Mein Körper war nicht mehr meins, ich war dünn, aß wenig. Ich kam mir vor wie ein Klappergestell und für diesen Moment an, wollte ich meinen alten Körper zurück, auch wenn ich mich etwas molliger fand. Es war schöner.
Ich fiel oft am Tag vor Hitze um, nur ein Mal wurde ich ins Krankenhaus gebracht. Die Ärzte wollten mich untersuchen, doch Mohammed wurde aggressiv, er lies mich nicht mein Gewand ausziehn. Wir gingen also nach Hause, wo er mich wieder schlug. Seine Handfläche zielte genau vier Mal in mein Gesicht. "Du bist nicht krank." sagte er immer nach einem Schlag, er hörte erst auf, bis ich sagte: "Du hast recht. Ich bin nicht krank."

"Komm mit", sagte Mohammed, als ich gerade auf der Couch saß. Ich wusste was kam. Ich folgte ihm ins Schlafzimmer, in dem ich seit mehreren Monaten schon zusammen mit ihm schlief. Ich wollte es nicht, ich wehrte mich mit Händen und Füßen, doch er schlug mich. Als er die Tür hinter sich schloss, fing ich schon mal an mich auszuziehen. Meine Augen wurden feucht und ich schniefte leise. Langsam zog ich mein Gewand aus, doch Mohammed gefiel das nicht. Er kam mit schnellen Schritten zu mir und riss es mir vom Leib. Ich presste meine Lippen zusammen, als er mich küsste. Mir wurde am ganzen Körper heiß und ich wollte nur noch das alles schnell vorüber ging. So wehrte ich mich nicht. "Schenk mir ein Kind!" Ich lag auf dem Bett und der zehn Jahre ältere Mohammed keuchte wie ein Schwein über mir. Als er fertig war, ging er aus dem Zimmer und ließ mich allein. Ich weinte. Ich wusste nicht, ob er ahnte, dass ich jedes Mal weinte. Aber wenn doch, schien es ihm nicht zu interessieren.
Ich ging ins Bad und nahm schnell eine Dusche. Als ich mich in dem halbkaputten Spiegel betrachtete, erkannte ich mich nicht wieder. Wie lang war es her, als ich mich zuletzt im Spiegel anschaute? Ich wollte mich nicht betrachten. Ich wollte nicht, dass man mir die Schmerzen ansah. Ich hatte Angst davor mir selbst in die Augen zu schauen.
Meine Augen schienen so leer und glanzlos. Das grau kam mir vor wie ein tiefes schwarz. Mein Gesicht hatte Wunden, davon wusste ich gar nichts. Von meinem rechten Ohr hinab zu meiner Wange war eine frische Schnittwunde.
Mohammed hatte das Messer um die Küche geworfen als ich nicht genug zu essen gemacht hatte. "Bring das elende Stück um!" schrie seine Mutter und ich rannte aus der Küche. Mohammed verfolgte mich und als er mich packte und ich mich wegreisen wollte, spürte ich schon das Messer an meiner Wange streifen. Von da her kam die Wunde.
Ich schloss meine Augen, sank mein Kopf und öffnete sie daraufhin wieder. Mein Körper war versehrt von blauen und roten Flecken. Ich schaute wieder in den Spiegel und das erste was mir in die Augen fiel, war mein Hals. Es war blaugelb.
Mohammed wollte mich eines Tages erwürgen, als ich mich weigerte, weil er mit mir schlafen wollte. Ich hielt es nicht mehr aus und schlug ihn. Ich schlug auf ihn ein, bis er mich am Hals packte, gegen die Wand drückte, mich erwürgte und vergewaltigte.
Ich biss mir auf die Lippen um ein Weinen zu unterdrücken. Schnell zog ich mich an und ging ins Wohnzimmer, wo mir Mohammed entgegen kam. "Du musst einkaufen gehen." sagte er. Er gab mir eine alte durchlöcherte Stofftüte und das Geld. "Kaufe viel, wir bekommen Besuch!" er gab mir umgerechnet 100€. Für die Verhältnisse in meiner Heimat war das viel Geld. "Ich habe es nicht kleiner, den Rest bringst du mir wieder zurück, hast du mich verstanden?" Ich nickte und nahm das Geld an. Bevor ich hinaus ging, ging ich noch einmal ins Schlafzimmer. Ich zog mir unter mein Gewand eine kurze Hose an und fand ein leichtes Tshirt, dass ich zwischen meinem Hosenbund und meiner Hüfte einklemmte. Das Geld steckte ich in die Hose und dann beeilte ich mich hinaus zugehen. Die schwüle Juniluft brachte mich um meinen Verstand. Die Hitze der prallen Sonne verfing sich in meinem schwarzen Stoff und ich fing an zu schwitzen. Ich bekam kaum Luft. Ich schaute hinter mir auf das Haus, in dem ich gefangen war, dann wieder vor mir, die lange Straße entlang, die meine Freiheit bedeutete. Und ohne groß nachzudenken rannte ich. Ich rannte um mein Leben ins Zentrum. Dort angekommen rannte ich weiter die Hauptstraße entlang. Kein Auto war unterwegs. Nur der Kieselweg, der Müll an den Seiten und die hungernden Tiere. Ich schaute hinter mir, stoppte kurz und zog mein Gewand aus. Ich nahm mein Tshirt und zog es mir über. Ich schmiss das Gewand in einem Busch und rannte wieder. Ich rannte und rannte und dachte nicht daran zu stoppen. Noch nie in meinem Leben hatte ich es geschafft so viel zu rennen, dazu noch in dieser Hitze. Denian wäre sicher stolz auf mich gewesen. Der Gedanke an Denian zwang mich nicht aufzuhören. So rannte ich bis ich in einem Dorf ankam. Keine Sau war draußen. War ja auch klar bei dieser Hitze.
Ich lief mit schnellen Schritten durch das Dorf und studierte es. Aber es war immer noch fremd. Ich kannte es nicht. Ich war noch nie hier gewesen. Ich hörte ein Traktor und drehte mich um. Ein junger Mann saß darauf mit dem Blick stur gerade aus. "HEY!" schrie ich und winkte. Er entdeckte mich und hielt an. "Was gibts, Mädchen?" fragte er mich auf albanisch.
"Wo fährst du hin?"
Er schaute mich an. Er hatte einen Hund mit dabei, der hächelnd seine Zunge raustreckte.
"In die Stadt." er schaltete den Motor aus, damit wir nicht mehr schreien mussten.
"In die Stadt?" fragte ich und kam ein Schritt auf ihn zu.
Er nickte.
"Willst du mit?" fragte der junge Mann.
"Ja! Kann ich?"
Er lachte. "Natürlich! Steig auf!"
Ich schaute noch einmal hinter mir, ich hatte Angst Mohammed würde mich verfolgen. Ich war schon seit einer halben Stunde unterwegs. Ich hatte nochmal eine halbe Stunde Zeit wieder zu Mohammed zu gehen, bis er bemerken würde, dass etwas nicht stimmte. Und es stimmte ja auch nichts. Ich war auf der Flucht.
Ich stieg auf das Traktor und setzte mich genau neben dem Hund. Er fing an an mir zu schnuppern und einen Moment lang dachte ich, er könnte mein Schicksal erriechen können. "Na, mein kleiner Freund."
"Das war aber nicht albanisch!" sagte der Junge und fuhr wieder los, die Straße entlang.
"Nein, das war deutsch. Ich komme aus Deutschland."
"Ich wusste, du bist nicht von hier. Habe dich hier noch nie gesehen."
"Ich war auch noch nie hier." sagte ich und streichelte den Hund.
"Was suchst du dann hier?" fragte er mich und schaute kurz zu mir. Mein Blick hing auf der Straße.
"Ich wurde zwangsverheiratet und möchte jetzt abhauen."
Er lachte. "Du wurdest hier her zwangsverheiratet, obwohl es einem in Deutschland besser geht?"
"Es diente zur Strafe." sagte ich. Ich musste kein bisschen lachen und er hielt auch weiterhin die Klappe, wahrscheinlich glaubte er mir nicht.
Als wir seit einer Stunde schon unterwegs waren, hielt er an einem Haus in einem Dorf an. "Wir müssen nun mit einem Auto weiterfahren." sagte er und stieg ab. Der Hund kam sofort hinterher und ich machte es ihm nach. Wir stiegen in einen alten Geländewagen, der Hund ging ins Haus.
"Wohnst du hier?" fragte ich und schaute es mir an. Es war nicht angemalt, wie viele Häuser.
"Nein, mein Vater. Aber ich bin auch oft hier."
Ich nickte.
"Wie heißt du eigentlich?"
"Tereza." ich blickte zu ihm. "Und du?"
"Arben." er lächelte mich breit an.
"Du bist jung." sagte ich und schaute wieder nach vorne.
"Siebzehn Jahre alt", auch wenn er erst 17 war, viele fuhren schon mit 14 Auto. "Aber du bist auch nicht gerade alt oder?" fragte er mich.
"Ich bin letzten Monat 21 geworden."
"Dass du die 100 erreichst!" schrie er und gab Gas. Ich musste lachen. Die 100 wollte ich nun wirklich nicht erreichen.
Irgendwann war es still. Nach paar Minuten, fing er wieder an zu reden. Er konnte nicht aufhören zu reden. Arben redete die ganze Zeit pausenlos ohne Komma. Ich war aber nicht genervt, im Gegenteil, seine offene und fröhliche Art machte mich auch gleich glücklicher. Er erzählte mir von seinen Großeltern, die ihm immer die Hölle heiß gemacht hatten, weil er die Schafe ausbücksen lies, da er nicht wollte, dass sie geschlachtet wurden. Er erzählte mir von seinem Vater, der immer und immer wieder einen neuen Hund mit nach Hause brachte und ihn jedes Mal verkaufte, nur um einen anderen zu holen. "In einer Woche wird Dingo auch weg sein", lachte er und meinte dabei seinen Hund, der vorher mit uns mit war. Er erzählte mir seine Geschichten mit seinen unzähligen Geschwistern. Wie er mit seinem Bruder, seine Schwestern immer hinters Haus geführt hatte und sein anderer Bruder sie dort erschreckte, in dem er mit einer Sense ihnen hinterher lief.
"Was ist mit deiner Mutter?" fragte ich.
"Ach", seine Stimme wurde etwas leiser. "Sie ist tot."
Ich schluckte. "Das tut mir leid."
"Aber das Leben geht trotzdem weiter, nicht wahr?" er strahlte mich wieder mit seinen ganzen Zähnen an, woraufhin ich auch wieder lachen musste.
"Du bist so fröhlich", sagte ich irgendwann im nachhinein.
"Du doch auch. Du lachst ständig!" er blickte zu mir.
"Ich war mal glücklich."
"Die Zwangsheirat ist vorbei, du fliehst doch jetzt." sagte er und blickte wieder auf die Straße.
"Ich weiß aber nicht wie."
"Ich helfe dir!"
"Du kannst mir nicht helfen."
"Natürlich. Wir werden einen Bus oder einen Flug für dich finden und ich werde dir das Geld dafür besorgen. Du wirst wieder nach Hause gehen dürfen. Jeder hat das Recht auf ein schönes Leben. Ich verstehe nicht, wieso du es nicht hast. Du bist wunderschön, Tereza. Du verdienst es."
"Anscheinend ja nicht", sagte ich. "Sonst hätten mich meine Eltern nicht hier her gebracht."
Ich fasste in meine Hosentasche. Nur im sicher zu gehen, dass ich meinen Pass dabei hatte. Ich hatte es meinem Vater unbemerkt aus der Tasche geholt als er mich hier her brachte.
"Darf ich dich was fragen?"
Ich nickte.
"Wieso haben sie es getan? Wieso haben sie dich verschenkt? Ich versteh das nicht."
"Weil ich einen Deutschen geliebt habe und keinen Albaner, deswegen."
Arben sagte nichts mehr und starrte die Straße entlang. "Das ist kein Grund. Wenn man jemanden liebt, dann ist es halt so. Ob einen Deutschen oder Albaner, macht keinen Unterschied. Mensch ist Mensch."
"So sehe ich das auch", sagte ich. "Doch meine Eltern nicht."
"Du kannst ihnen nicht verzeihen oder?"
Ich blickte zu Arben. "Weißt du, all die Jahre habe ich mit den Worten 'Wenn Allah jeden verzeiht, wo nimmst du dir das Recht nicht zu verzeihen' gelebt, doch nun bin ich in einer schlimmen Situation, in der ich wirklich keinem verzeihen kann. Egal wer es ist. Ob jemand Fremdes oder meine Eltern. Du hast Recht, Arben. Ich kann ihnen nicht verzeihen und ich will ihnen nicht verzeihen."
"Ja, auch verständlich. Also ich denke auch, dass wenn meine Eltern mir das angetan hätten, dass ich ihnen auch nicht verziehen hätte. Aber wer war dieser Typ an dem du verheiratet wurdest?"
"Es ist ja nicht nur die Heirat. Es ist ja auch, dass ich misshandelt und vergewaltigt wurde."
Abruppt blieb das Auto stehen, ich hielt mich am Amaturenbrett fest und starrte vor uns, doch dort war kein Auto.
"Misshandelt und vergewaltigt?" Arben schaute mich fassungslos an. Wenn ich könnte, hätte ich diesem Moment geweint, aber es kam nichts, so nickte ich nur.
"Wer war dieser Mistkerl?" er umklammerte das Lenkrad so sehr, dass seine Knöchel weiß wurden.
"Ich kenne das Dorf nicht, aber er ist strengmuslimisch und sein Name ist Mohammed."
Arben schlug auf das Lenkrad. Er schlug noch einmal und ich zuckte zusammen. Ich wollte hier raus.
"Den kennt ja jeder!" schrie Arben. "Weisst du was das für ein Psycho ist?" Arben schaute mir direkt wütend ins Gesicht. "Er bringt dich um, wenn er dich findet!" er schrie so laut, dass ich zusammenzuckte.
"Du musst hier weg." sagte er. "So schnell wie möglich."
Er fuhr wieder los, diesmal schneller als sonst. Ich traute mir gar nichts mehr zu sagen. Wenn Mohammed so ein kranker Mensch doch ist, bin nicht nur ich in Gefahr, wenn er mich findet, sondern auch Arben! Und das wollte ich ihm nicht antun, ich wollte nicht, dass jemand leiden müsste, nur weil er mir geholfen hatte. "Er darf uns nicht finden." sagte ich. Und Arben nickte kräftig. "Wenn du weg bist, kümmern sich meine Leute um ihn." sagte er und umklammerte das Lenkrad noch fester. "Er ist bekannt für seine Misshandlungen. Er hatte mal eine Frau mitten auf der Straße vergewaltigt. Ein kleines Mädchen hatte das gesehen und als Mohammed sie bemerkte, rannte er ihr hinter her und schmiss sie in den Fluss. Sie konnte nicht schwimmen und ertrank. Mohammed ist kein Mensch, er ist ein Tier!"
Ich wusste, dass Mohammed zu sowas fähig war, aber dass er ein kleines Mädchen umbrachte? Das war die Krönung. "Wenn er uns findet, sind wir alle tot." sagte ich leise.

Nicht ohne DichWo Geschichten leben. Entdecke jetzt