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Am zweiten Tag unseren Projektes gingen wir erneut während der Ess- und Freizeiten zur Kaserne der Bundeswehr.
"WIE KONNTE EUCH DAS PASSIEREN?" schrie der Kommandant eine Gruppe mit 15 Mann an. Darunter auch die vier Soldaten vom gestrigen Tag, die sich über das Thema Held lustig gemacht hatten.
"VOR ALLEM DIR?!" er zeigte auf Soldat Nr. 3. "DU WARST DER ANFÜHRER DIESER GRUPPE, WIE KANN DIR DAS PASSIEREN? WEIßT DU WAS, ICH WILL KEINE ERKLÄRUNG! ZUR STRAFE RENNT IHR ALLE NOCH EINMAL HIN!"
Ich schaute zu Halil und Simon, ob sie die momentane Lage verstanden. Aber sie schauten mich ahnunglos und achselzuckend an. Als die 15 Soldaten wieder antraten, und anfingen zu rennen, schrie der Kommandant: "UND DIESMAL SCHAFFT IHR DAS IN 20 MINUTEN UND NICHT IN 30! DASS WIR UNS VERSTANDEN HABEN, JA!"
Wir trauten uns gar nicht mehr zum Kommandanten hinzugehen, doch als er uns sah, sprach er uns an. "Tut mir leid für das Geschreie. Wir fahren zum Treffpunkt hin, kommt ihr mit?" Wir nickten und folgtem dem Kommandanten auf einem offenen Militärgeländewagen und saßen mit ihm auf der Ladefläche. Wir nutzten die Chance und interviewten ihn.
"Was war denn gerade los?" fragte ich und hob meine Kamera einsatzbereit seine Antwort aufzunehmen.
"Die Jungs haben einen ihrer Kameraden hinten hängen lassen, als sie einen 30 Minütigen Marsch hintersich bringen sollten. In der Bundeswehr lernt man den Zusammenhalt der Kameradenschaft und da sie ihn nicht beachtet haben, müssen sie noch ein Mal laufen." antwortete er mir.
"Wie weit müssen sie laufen?" fragte Halil.
"8 km in einer halben Stunde, aber da sie es nun verpatzt haben, sollten sie es in 20 Minuten schaffen."
"Das ist nicht machbar!" sagte ich sofort und nahm die Kamera runter. Simon nahm sie mir aus der Hand um weiter zu filmen.
"Natürlich ist das machbar, ich schaffe in einer halben Stunde 10 km." sagte der Kommandant.
"Vielleicht Sie alleine, aber als Gruppe werden sie das nicht schaffen! Einer ist immer langsamer als der andere, also müssen sie sich dem Tempo des Langsamsten anpassen! Wie sollen sie 8 km in 20 Minuten schaffen!"
"Im Endeffekt ist mir das egal. Es geht nur darum, dass sie das Prinzip der Kameradenschaft verstehen."
Als wir ankamen, warteten wir auf die Soldaten. Halil und Simon redeten noch mit dem Kommandanten. Ich saß auf der Ladefläche und hielt Ausschau auf die Jungs. Nach fünf Minuten sah ich sie vom weitem her laufen. "Sie kommen." sagte ich und sprang von der Ladefläche und ging zu Halil. "Die tun mir Leid." sagte ich zu ihm. Ich wusste aus eigener Leistung wie anstrengend es war zu rennen. Ich hasste rennen. Ich hatte keine Ausdauer.
Keine zwei Minuten kamen die Soldaten total außer Atem an. Ich war sofort der Meinung, dass wir sie heute in Ruhe lassen sollten, doch Simon sah das natürlich ganz anders.
"Wo ist Dodo?" fragte der Kommandant. Doch keiner der Soldaten antworteten. "WO IST DODO, ROBERT?"
"Ich weiß es nicht." sagte er mit einem schnellen Atemzug. Ich ging davon aus, dass sie wieder einen Kameraden hängen gelassen haben und tatsächlich, kam einer völlig erschöpft an. Doch der Kommandant schrie nicht Dodo, sondern Robert an. "Was habe ich dir gesagt? Stellt euch vor das passiert euch im Krieg! Ihr verliert einen Kameraden! Das sollte euch nicht passieren! ÜBERLEG DIR GEFÄLLIGST EINE STRATEGIE, SONST KANNST DU DIR DAS ALLES ABSCHMINKEN! NOCH EINMAL ZURÜCK! ALLE ZURÜCKLAUFEN IN 20 MINUTEN UND WEHE AM ANDEREN ENDE SEHE ICH WIEDER WIE DU EINEN ZURÜCKGELASSEN HAST! HABEN WIR UNS VERSTANDEN?"
"Ja!"
"ICH HÖRE EUCH NICHT!"
"JAAA!"
"ABMARSCH!"
Ich sah zu Halil. Ich fand das nicht mehr menschlich. Sie rannten berechnet schon eine Stunde lang und sollten nun fortsetzen.
Der Kommandant wies uns auf die Ladefläche zu steigen, doch dann hielt er inne. "Moment!" schrie er zu den Soldaten und sie stoppten und kamen zurück.
"Ihr drei!" der Kommandant zeigte auf Halil, Simon und mich. "Ihr rennt mit!"
"Nein, ganz sicher nicht!" sagte ich und lachte leicht. "Ich habe keine Kondition."
"Das ist mir egal, wenn ihr weiter euer Projekt machen wollt, dann solltet ihr am eigenen Leib spüren, wie es ist ein Soldat zu sein."
"Ich bin ein Mädchen." sagte ich nun ernst.
"Spielt das eine Rolle?"
"Komm schon, Tereza, wir helfen dir alle." meinte Halil, der nun die Kamera hob.
"Ja, das wird sich gut machen in unserem Film." meinte Simon.
Ich wollte es wieder verweigern, doch der Kommandant fuhr schon weg und da standen wir. Fünfzehn Soldaten, drei angehende Journalisten, darunter ich. Und die Kamera.
"Ich renne nicht." sagte ich nocheinmal und lief vorraus. "Ich tu mir das nicht an, ich renne nicht."
"Wenn du nicht rennst, müssen wir alle noch einmal." sagte einer der Soldaten zu mir.
"Ja, denkst du wir haben Bock das nocheinmal zu machen? Das wird unsere dritte Runde." meinte Soldat Nr. 2
Mir taten sie alle leid, deshalb beschloss ich auch mitzurennen, doch bevor wir losrannten, stoppte ich sie.
"Wenn wir alle drauf los rennen, wird wieder einer verloren gehen." sagte ich. "Ich denke die Schwachen sollten nach vorne gehen und das Tempo bestimmen, darunter noch Stärkere, die sie etwas motivieren und hinten soll auf jeden Fall kein Schwacher laufen."
Die Jungs stimmten mir zu und teilten nun auf, wer in welcher Position rannte. Ich war vorne mit Dodo und zwei weiteren Soldaten. "Denian, du läufst ebenfalls vorne, um sie zu motivieren." Soldat Nr.1 vom gestrigen Tag stellte sich zwischen mich und Dodo. Er lächelte mich an. Ich lächelte zurück. Warum lächelte ich zurück? 
Wir rannten los, als wir nur noch eine viertel Stunde hatten. 
Nach paar Minuten versagte schon meine Lunge und ich bekam Seitenstechen. Ich atmete unregelmäßig und schaute kurz nach hinten zu Simon und Halil. Beiden ging es gut. Dodo und den anderen zwei schwachen Soldaten ging es ebenfalls soweit gut. "Alles okay?" fragte mich Denian, der mich anschaute. Ich nickte nur, da ich nicht reden konnte. "Sollen wir eine Pause machen?"
Nur keine Pause! Wenn ich jetzt anhielt, konnte ich gar nicht mehr weiterrennen. Ich schüttelte also den Kopf.
"Ich heiße Denian." meinte Denian.
"Ich weiß." sagte ich schnell und nahm wieder Luft.
"Das war eine Andeutung darauf, dass du mir auch deinen Namen verraten solltest." lachte er.
"War das also auch eine Andeutung für einen Flirt?" lachte ich keuchend.
Er lachte. "Ich will nur deinen Namen wissen."
Ich schwieg, ich konnte nicht reden, ich war völlig außer Atem. Denian sagte weiterhin nichts mehr.
Irgendwann kamen wir auch an. Wir hatten zwar 40 Minuten gebraucht, aber wir hatten es geschafft, als vollständige Gruppe anzukommen. Der Kommandant war zwar nicht zufrieden, schickte die Jungs aber zum Duschen und schließlich zum Essen. Wir gingen hinterher.
"Willst du ein anderes Tshirt anziehen?" ich drehte mich um und entdeckte Denian.
"Wäre vorteilhaft." sagte ich.
"Komm mit."
Ich sah Simon und rief ihm zu, dass ich gleich wieder komme.
Ich folgte Denian auf sein Zimmer, dass er mit zwei weiteren teilte. Doch nur wir waren hier. "Hier!" er schmiss mir ein Khakifarbiges Oberteil zu. Ich wollte gerade mein Shirt ausziehen, als ich realisierte, dass ja ein fremder Soldat im Zimmer anwesend war. "Kannst du rausgehen?" fragte ich Denian.
"Ich schaue weg!" er drehte sich um.
"Nein, geh raus." sagte ich.
"Ich schaue wirklich nicht."
"Weil du schwul bist?"
Er drehte sich wieder um. "Ich bin zu 100% hetero."
"Freut mich." sagte ich.
"Weshalb? Weil du nun Chancen bei mir hättest?"
"Bitte, geh einfach kurz raus." sagte ich und er ging. Ich zog schnell mein Shirt aus und das andere an. Dann kam Denian auch schon wieder rein. "Fertig?"
"Fertig." Ich wollte gerade rauslaufen, um zu den Soldaten zu gehen, als er mich aufhielt.
"Ich kenne deinen Namen immer noch nicht." sagte er und schaute mir tief in die Augen. Seine Augen waren blau. Ein helles Himmelblau.
"Tereza." sagte ich wie vernommen und drückte mich dann an ihm vorbei. Er lief mir hinteher. "Tereza?"
Ich drehte mich zu ihm um und wartete bis er bei mir ankam. "Schöner Name." sagte er.
"Danke für das Tshirt." sagte ich. "Bist du deutsch?"
"Ja. Warte mal, wie kommst du darauf?" er schaute mich verwundert an.
"Deine Augen haben mich an Hitlers arischen Ansprüche erinnert."
Er lachte auf. "Interessant." 

"Ich bin Albanerin." Weshalb ich das erwähnte, obwohl er nicht mal danach fragte, kann ich mir nicht ganz genau erklären. Ich bin mir nicht sicher, ob ich ihm das sagte, um ihm zu verdeutlichen, dass wir nicht zusammen passten. Ob ich eine Grenze hier ziehen wollte. Denn ja, es kann sein, dass seine Augen mich kurz in einen Bann der Schwärmereien zogen und ich mir dachte, dass das als ein gefährliches Spiel ausarten könnte. Denn im Endeffekt hatte ich nicht unrecht. Er und ich waren ein gefährliches Spiel. Aber ihm war meine Herkunft völlig egal. Und genau das, beeindruckte mich so sehr. "Deine Taktik fürs Rennen vorhin, war sehr schlau." sagte Denian. 

"Dankeschön, Kamerad." Ich salutierte und er fing an zu lachen.
"Darf ich dir was sagen?" fragte er.
Ich schaute kurz zu ihm auf und nickte leicht mit dem Kopf.
"Ich finde dich mehr als nur attraktiv, Tereza."

Nicht ohne DichWo Geschichten leben. Entdecke jetzt