In Stuttgart angekommen hatte mir die Stewardessin einen Taxi bestellt, den sie selbst bezahlt hatte. Ich hatte ihr von meinem Schicksal berichtet und wie es aussah, hatte sie stets Mitleid mit mir. Aber ich wollte kein Mitleid, ich wollte nur eine kleine Hilfe und die gab sie mir auch. Ihr Name war Melina und sie war 27 Jahre alt. Sie gab mir ihre Nummer und Adresse, damit ich mich bei ihr melden sollte, wenn was geschah oder ich einfach nur jemanden brauchte. Ich steckte den kleinen Zettel in meine kurze Hose und wusste schon zu diesem Zeitpunkt, dass ich mich nie bei ihr melden würde. Ich bedankte mich nur bei ihr herzlich und stieg auch schon ins Taxi ein. Ich wollte keine neuen Freundschaften schließen, Arben war eine Ausnahme.
Als der Taxifahrer in meinem alten Viertel meines Elternhauses einbog, bekam ich schreckliche Herzrasen. Ich wollte meinen Eltern nur wegen einem Grund besuchen. Der Taxifahrer hielt an und ich stieg aus. Ein mulmiges Gefühl machte sich in mir breit. Ich sollte meine Eltern gleich wieder sehen, nachdem sie mir all das angetan hatten. Als ich an der Haustüre stand, wollte ich es doch nicht wagen. Doch nach gefühlten Stunden traute ich mich endlich. Ich klingelte und wartete. Doch keiner machte auf. Meine Hände waren feuchtnass und ich schaute nach rechts, ob ich vielleicht meinen Nachbarn Shaban sah, oder irgendeinen anderen Nachbarn.
Urplötzlich kam mir die Gegend so fremd vor. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass ich dort aufgewachsen war. Genau so wenig konnte ich mir vorstellen, dass meine Eltern mich nicht mehr haben wollten. Als ich lautes Gelächter hörte und dies vom Nachbarn Shaban kam, lief ich um das Haus herum. Tatsächlich saß er mit seinem Sohn und seiner Frau und meinen Eltern auf der Terasse. Sie entdeckten mich noch nicht, so ging ich zu ihnen. Mein Herz raste wie verrückt, als ich meinen Vater und meine Mutter sah. Sie sahen so glücklich aus. Ohne mich. Ich war kurz davor loszuheulen, doch schaffte es mich zusammenzureißen. Meine Mutter stand auf und ging kurz nach drinnen, doch in dieser Zwischenzeit entdeckte mich Shaban. "Ah, Tereza!"
Mein Vater drehte sich sofort um und blickte in mein Gesicht. Ich wusste nicht, ob er in mir blicken konnte, aber ich hoffte nicht. Ich schluckte schwer.
"Schön, dass du deine Eltern auch wieder mal besuchen kommst!" sagte Shaban.
Ich hatte kein Bedürfnis mit ihm zu reden. So ignorierte ich ihn. Ich schaute meinem Vater in die Augen und sah kein Mitleid, keine Widersehensfreude, einfach gar nichts. Seine Augen waren leer.
Ich hatte einen so großen Hass auf ihn, aber gleichzeitig auch das Bedürfnis ihn zu umarmen.
Meine Mutter kam wieder raus auf die Terasse und entdeckte mich. Sie war starr wie eine Statue. Ich lief nun vollkommen zu ihnen.
"Schön, dass ich meine Eltern besuchen komme?" fragte ich Shaban ohne Emotionen. Er grinste mich breit an. Er ahnte wohl nichts. "Wenn du wüsstest was sie mit mir angestellt hatten!" schrie ich nun. Ich hatte mich nicht mehr unter Kontrolle. Ich konnte nicht mehr.
Shaban schaute mich nun fassungslos an. "Was ist denn?" fragte mich seine Frau.
Die Wut vermischt mit Trauer kochte in mir. Ich widmete mich meinem Vater. "Ist dir klar, was mir angerichtet wurde?" fragte ich ihn zornig und versuchte nicht loszuheulen.
"Ist dir verdammt noch mal klar, was du mir angetan hast?"
"Tereza", fing mein Vater an, doch ich unterbrach ihn: "Gott verdammt, sprich mich nie wieder mehr an. Ich möchte nur, dass du mir zuhörst."
Ich schielte zu meiner Mutter: "Und du?" fragte ich. "Bist du stolz auf deine Wehrleistung. Bist du stolz darauf?"
Sie blickte mir ebenfalls wütend ins Gesicht.
"Soll ich dir sagen was los ist?" die Frage ging an Shabans Frau. "Soll ich euch sagen, was sie mir angerichtet haben?" ich zeigte auf meine Eltern und schaute dabei zu Shaban und seinem Sohn.
"Sie haben mich verkauft!" schrie ich und kurzerhand stand mein Vater auf.
"Schrei nicht so!"
"Ist das dein Ernst?" schrie ich trotzdem. "Das ist ja wohl das Mindeste, was ich euch antun kann!"
"Beruhig dich ein bisschen!" sagte Shaban, stand auf und berührte meinen Arm. Aus Reflex schlug ich sie weg.
"Ihr habt mich verkauft? Ihr habt mich verkauft, weil ich einen Deutschen liebe? Ist euch klar, was ihr mir angetan habt?" Nun kamen mir langsam die Tränen in den Augen. Ich weinte wirklich. Ich war aber auch gleichzeitig voller Hass in mir drin. "Er hat mich geschlagen!" schrie ich.
"Hat er gut gemacht!" sagte meine Mutter, woraufhin ich zu ihr blickte.
"Hat er gut gemacht?" fragte ich sie lachend. "Warum? Weil ich jemanden liebte, der euch nicht passt? Weil ich meine Gefühle nicht unter Kontrolle hatte?"
Sie sagte nichts.
"Tereza, ich denke -"
"Halt den Mund!" schrie ich Shaban an. "Ich kann es nicht ertragen! Ich habe Monate gelitten! Jeden Tag wurde mir das Reden weggenommen, jeden Tag wachte ich unter Schmerzen und Tränen auf! Jeder Tag war ein verlorener Tag für mich! Mir wurde alles weggenommen! Alles! Meine Seele und mein Körper! Ja, hör zu, Papa! Du hast mir gesagt ich benehme mich wie eine Hure, weil ich Denian liebe? Aber soll ich dir was sagen? Ich war eine Hure als du mich verkauftest! Ich wurde vergewaltigt, verdammte scheiße!" Nun fing ich richtig an zu weinen. Jeder erstarrte. Keiner sprach auch nur ein Wort. Keiner. "Ihr seid keine Menschen! Ihr seid verdammt noch mal keine Menschen!" schrie ich meine Eltern an. "Ihr wolltet mich nie mehr wieder sehen? Gut, kein Problem. Ich gehe auch! Denn nun will ICH euch nie mehr wieder sehen. Ich möchte nie mehr was von euch hören. Ich möchte nie wieder etwas mehr mit euch zu tun haben. Für mich seid ihr gestorben!"
Jemand berührte meine Schulter. "Fass mich nicht an!" schrie ich und schaute hinter mir. Shabans Sohn schreckte auf.
"Seht an was ihr mit mir getan habt! Bei jeder Berührung reagiere ich über! Ich ertrage keine Männer in meiner Nähe! Ich habe zu viel Angst, dass mir jemand zu nahe kommt. Sagt mir, war das euer Ziel? War es euer Ziel, mich so kaputt zu machen?" Mein Vater stand auf und ich sah wie seine Augen glänzten. Ihm stand das wohl nahe. Doch ich lachte nur bitter darüber. "Tereza, es tut mir leid." er streckte seine Hand nach mir und ich spuckte drauf. Es war respektlos, mehr als respektlos. Aber ich hatte ein zu großen Hass ihm gegenüber. Unter anderem, dass niemand davon wusste. Shaban und seine Familie wussten rein gar nichts davon.
"Ihr habt mein Leben zerstört." sagte ich. "Ich hasse euch!" Ich ging rein ins Haus. Ich suchte meine Autoschlüssel und fand sie tatsächlich in dem kleinen Schlüsselkasten. Als ich es in der Hand hielt, fiel mir auf, dass meine Autoschlüssel gar nicht dran hingen. Haben sie etwa mein Auto verkauft? "Tereza, können wir reden?" hörte ich Shabans Sohn sagen.
"Rede mit meinen Eltern, Blerim." sagte ich zu ihm. Blerim war nur drei Jahre älter als ich, wir hatten wirklich nie viel miteinander zu tun. Hin und wieder mal ein Hallo, mehr war da auch nicht.
Ich nahm die Autoschlüssel von meinen Eltern.
"Ich möchte aber mit dir reden." sagte Blerim. Er ließ nicht locker.
"Geh aus meinem Haus!" hörte ich meine Mutter schreien. Ich verdrehte die Augen. Die Frau war eindeutig von Satan überfallen.
Ich öffnete die Haustüre und begab mich mit schnellen Schritten Richtung Garage. Ich hörte Blerim hinter mir. Doch auch keine Sekunde später hörte ich die Stimmen meiner Eltern. "Tereza bleib da!" schrie mein Vater mich an. Ich ignorierte es. Ich stieg in den blauen Audi meiner Eltern und machte den Motor an. "Die klaut unser Auto!" meine Mutter wollte dem Auto hinterherrennen, doch ich sah im Rückspiegel, wie mein Vater sie zurückhielt.
Ich fuhr auf die Autobahn und gab Gas. Ich muss aus Stuttgart raus. Zurück nach Düsseldorf. Zurück zu Denian!
Die ganze Autofahrt lang, versuchte ich mein Weinen zu unterdrücken. Albanische Musik dröhnte aus den Autoboxen. Ich stellte es ab. "Scheiß Musik."In Düsseldorf angekommen war es bereits Mittag. Auch in Deutschland war es heiß. Ich fuhr direkt zu Denians Haus. Ich wollte ihm endlich in die Arme springen. Ich wollte ihn endlich wieder sehen, nach einer so langen Zeit. Die Widersehensfreude war viel zu groß. Umso mehr wurde ich enttäuscht.
An der Haustüre klingelte ich und keine Sekunde später machte mir Denians Schwester Sarah auf. Ich freute mich sogar sie zu sehen, sie sich aber nicht. "Was willst du hier?" fragte sie schroff.
"Ist Denian da?" ich blickte nach innen und entdeckte Onkel Bobby. Er sah mich auch und kam zur Türe.
"Tereza, es ist besser wenn du gehst."
"Ich will wissen, ob Denian da ist." sagte ich noch einmal.
"Geh, Tereza!" sagte Bobby.
"Ich muss wissen ob Denian da ist! Ich muss ihn sehen!" sagte ich fast schon verzweifelt. "Bitte!"
"Wer ist da?" hörte ich Heike schreien. Sie kam zur Türe und als sie mich sah, rannte sie auf mich los. "Du elendes Miststück!" sie wollte auf mich losgehen, doch Bobby hielt sie zurück.
"Geh, Tereza!" sagte Bobby noch einmal.
"Du hast Unheil in unsere Familie gerichtet!" schrie Heike und versuchte sich von Bobby loszumachen.
Schockiert lief ich einen Schritt zurück.
"Tot! Tot! Du sollstest sterben!"
Heike schaffte es sich von Bobby loszureisen und ging mit schnellen Schritten auf mich zu. Sie gab mir eine Ohrfeige, wobei mein Gesicht aufgrund der Kraft nach rechts ging. Langsam schaute ich in ihr Gesicht. Heikes Augen waren zornig, ihre Haare hatte sie schon lang nicht mehr gefärbt. Graue einzelne Haare waren zu sehen. Sie atmete schwer. "Geh, bevor ich noch schlimmeres tue." Was kann mir schon Schlimmeres passieren? Dachte ich. "Geh!" schrie sie und ich ging. Ich schaute noch einmal zu Bobby und entdeckte seine traurige Miene. Ich schaute noch einmal zu Sarah, die mit den Armen verschränkt an der Haustüre lehnte. Ich sah zu Heike, deren Blick mir Angst einjaggte. Und ich ging. Ich stieg ins Auto ein und fuhr zu meiner Wohnung. Ich wollte mit niemanden mehr für heute reden. Morgen würde ich Halil oder Dorentina aufsuchen. Ein Wunder, dass sie nicht auf der Suche nach mir waren. Ich schluckte schwer und dachte an Denian.
Was haben sie mit Denian angestellt? War ihm schlimmes angerichtet worden? Was war mit ihm? Wo war Denian?
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Nicht ohne Dich
RomanceWünsche sind unerwünscht. Du bist wie eine Marionette geführt von den Menschen, die deine Entscheidung nicht akzeptieren. Du folgst deinem Herzen und möchtest an die bevorstehenden Probleme erst gar nicht denken. Doch kaum gehst du deinen Weg, steh...