24. Kapitel

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„Der Tod ordnet die Welt neu Scheinbar hat sich nichts verändert, und doch ist alles anders geworden." - Unbekannt

In der Notaufnahme herrschte weiterhin reges Treiben. Die verschiedensten Menschen betraten und verliessen das Krankenhaus wieder. Sie waren aus den unterschiedlichsten Gründen hier und verliessen die Notaufnahme mit verschiedenen Ergebnissen wieder.

«Sophia», eine bekannte Stimme riss mich aus meinen Gedankengängen. Es war Jay! Sofort sprang ich von meinem Sitz auf und ging einige Schritte auf ihn zu. «Wie geht es deinem Dad?»

«Er wurde gerade untersucht. Er hat im Rettungswagen über Brustschmerzen geklagt, deshalb machen die Ärzte noch weitere Tests.». Doch wirklich glücklich wirkte er nicht gerade. Seine Stimme klang dumpf.

«Das sind doch erstmal gute Neuigkeiten. Lass uns abwarten, was die Untersuchungen ergeben. Dein Vater ist hier in den besten Händen.», dabei überbrückte ich den Abstand zwischen uns und zog ihn eine feste Umarmung, welche er zögerlich erwiderte.

«Komm, setz dich hin. Ich werde dir einen Kaffee holen.», wollte ich ihm gerade anbieten, als er wieder einige Schritte von mir wegtrat und sich nervös durch die Haare fuhr.

«Nein...nein, i-ich muss an die frische Luft.», stammelte er vor sich hin, bevor er am mir vorbei huschte. Irritiert blickte ich dem Rothaarigen hinterher, welcher gerade durch die grossen Türen verschwand.

Was war das gerade?

«Nimm es ihm nicht übel.», ertönte hinter mir eine weitere Stimme. Als ich mich um umdrehte, konnte ich Will Halstead, Jays Bruder, hinter mir ausmachen. «Unser Vater und er haben sich gerade ziemlich heftig gestritten. Dad hat ihm einige üble Worte gegen den Kopf geworfen.»

«Ich will nur für ihn da sein.»

«Ich weiss das, und er weiss das auch. Gerade braucht er einfach einige Minuten Zeit, um sich zu beruhigen. Dann wird er zurückkommen.»

«Danke, Will.», kurz legte er seine Hand auf meine Schulter, bevor er sich wieder zu den Behandlungsräumen begibt.

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Inzwischen sass ich wieder auf einem der Stühle im Wartezimmer. Die Feuerwehrleute von der Wache 51 hatte ich vor einer Weile nach Hause geschickt. In einigen Stunden fängt die nächste Schicht an. Sylvie und Matt wollten mich zuerst nicht alleine lassen, jedoch gaben doch schliesslich nach. Im Augenwinkel nahm ich wahr, wie sich eine Person neben den freien Stuhl neben mir setzte. Als ich meine Kopf nach rechts drehte, um die Person anzuschauen, erkannte ich, dass es Jay war. Er war zurückgekommen.

Er setzte sich stumm auf den Sitz, lehnte sich zurück und verschränkte seine Hand mit meiner. Sanft erwiderte ich den Druck. Einige Minuten vergingen während wir stumm nebeneinander sassen und keiner von uns etwas sagte. Aber gerade braucht es auch keine Worte.

Plötzlich stürmte Maggie in den Wartebereich und somit zerplatzte die stumme Atmosphere. «Ihr müsst schnell mitkommen! Es geht um Mr. Halstead.». Sofort sprangen wir beide von unseren Sitzen auf und rannten Maggie zum Behandlungsraum hinterher.

Als wir das Behandlungszimmer von Pad Halstead betraten, füllte ein lautes Piepen den Raum. Einige Ärzte waren im Raum verteilt und arbeiteten hektisch um den Patienten. Mr. Halstead war nicht mehr ansprechbar! Scheisse! Vorhin ging es ihm doch noch gut?

Sofort leitete Will die Wiederbelebungsmassnahmen ein und begann seinen Vater zu reanimieren. Jay und ich standen völlig starr in der Ecke.

«Will?», flüsterte Jay leise, jedoch war sein Bruder auf die Wiederbelebung seines Vaters konzentriert.

Erst als auf dem Monitor wieder ein Sinusrhytmus zu erkennen war, konnte ich leicht aufatmen. Noch war Mr. Halstead aber noch nicht über den Berg. Wenn mich mein Zeitgefühl nicht täuschte, dauerte es ungefähr 5 Minuten bis er wieder da war.

«Kann jemand bitte Dr. Abrams anpiepen?», bittet Will eine der Schwestern im Raum. Soweit ich informiert bin, ist Dr. Abrams Leiter der Neurochirurgie im Chicago MED. Somit beschlich mich das Gefühl, dass Will dieselbe Befürchtung hatte wie ich. Mit einem kurzen, wissenden Blick zu dem Arzt bestätigte sich meine Vermutung.

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«Wie lange bis der Sinusrhytmus wieder da war?», fragte Dr. Abrams während er auf die Monitore des EEG's schaute.

«Er war ungefähr 5 Minuten weg.», antworte Will.

«Das stimmt mit dem überein, was ich hier sehe. Es sind fast keine EEG-Wellen zu erkennen.»

Ich hatte wirklich gehofft, dass meine Befürchtung nicht eintreffen würde.

«Was heisst das?», fragte nun auch Jay.

«Sagen Sie es ihm?», dabei wandte sich Dr. Abrams wieder zu Will. Dieser atmete nochmals tief ein bevor er anfing zu sprechen.

«Wir sehen keine Hirnaktivität.», und zeigte dabei auf den Monitor vor uns.

«Artefakte, Verzerrung, Interferenzen....nichts von Bedeutung.», ergänzte der Neurologe, bis er von Jay unterbrochen wurde.

«Entschuldigung, aber was heisst das?»

«Ihr Vater ist hirntot.»

«Er wird nicht mehr aufwachen? Wollen Sie sagen, dass er keine Chance mehr hat?»

«Wenn ich ehrlich bin, steht die Chance 1000:1.»

Und zum zweiten Mal an diesem Tag stürmte Jay wortlos aus dem Raum und liess Will und mich alleine zurück. Es blieb still und wir beide suchten nach den richtigen Worten. Aber gab es die überhaupt? In einer solchen Situation?

«Will, es tut mir so unglaublich leid.»

Schicksalsschläge betreffen uns alle. Die Angehörigen werden oftmals mit den 5-Phasen der Trauer begleitet. Während der ersten Phase wird einem mitgeteilt, dass ein Familienmitglied gestorben ist. Man kann es nicht glauben, dass jemand wirklich nicht mehr unter den Lebenden sein sollte. Die trauernden Angehörige möchten sich dieser Tatsache nicht stellen. Diese Phase nennt man «Leugnen».

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«Ich kann den Typen nicht leiden.», wir hatten Jay in einem der Krankenhausgänge gefunden und wollte über die nächsten Schritte sprechen. «Ich will eine zweite Meinung.»

«Er ist unser bester Neurochirurg.».

Die beiden Brüder sahen sich dabei nicht an. Ich hielt mich weiterhin im Hintergrund. Während der zweiten Phasen der Trauer rücken die Gefühle in den Vordergrund. Der Schmerz des Verlustes wandelt sich in Zorn und Wut. Man versucht einen Schuldigen für das Geschehene zu finden.

«All deine Abschlüsse, das ganze Geld, die lange Studienzeit – und das ist das Beste was du tun kannst?», Jays Stimme war scharf. Er war wütend und traurig zugleich, aber konnte oder wollte es nicht offen zeigen. Sondern schlug dabei lieber um sich.

«Jay, Dad wäre vor zwei Jahren fast gestorben. Jeder zusätzliche Tag war ein Geschenk.», versuchte Will zu erklären, als sich Jay vor uns aufbaute.

«Dr. Abrams hat nicht gesagt, dass er keine Chance hat!»

Nun trat ich einen Schritt vor und lenkte somit die Aufmerksamkeit auf mich. «Jay, 1000:1 ist keine Chance. Das EEG hat keinerlei Gehirnaktivität angezeigt. Euer Vater ist nicht mehr da», versucht ich ihn vorsichtig zu besänftigen. Vielleicht würde er ja auf mich hören.

«Ach, und was hast du hier zu melden?! Du bist keine Ärztin – nur eine Sanitäterin! Es ist nicht deine Angelegenheit! Und du, Will? Du willst einfach aufgeben?! Es geht hier um Dad!», fuhr er uns an. «Die Geräte bleiben an! Diskussion beendet!»

Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass mich Jays Worte nicht verletzt hätten – den das haben sie.

Es blieb für einige Sekunden still zwischen uns. Noch bevor Jay erneut ansetzen konnte, stiess Gwen Garrett, die Betriebsleiter des Krankenhauses zu uns und bekundete den beiden Brüdern ihr Beileid. Diesen Moment nutzte ich, um mich auszuklinken und mit schnellen Schritten aus dem Krankenhaus zu verschwinden.

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