10. Kapitel

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"Ich wünsche mir aus tiefstem Herzen einen Engel für dich, der deine Seele liebevoll behandelt, deine Tränen aufnimmt und dir Kraft gibt." - Cindy Grotte

Mein Wecker schrillte meiner Meinung nach viel zu früh. Weder mein Körper noch mein Geist fanden nach den gestrigen Ereignissen Ruhe. Mit Vorsicht drehe ich mich um und finde eine leere Bettseite vor. Unbewusst bemerke ich, dass ich die Luft angehalten hatte, bis ich automatisch tief ausatme.

Ryan hat mir wehgetan. Diesen Mann kenne ich überhaupt nicht und wollte ich ehrlichgesagt auch nie. Was ist nur mit ihm passiert? War das der Stress mit der neuen Kanzlei? Heute Abend findet die Eröffnungsfeier statt...und da sollte ich eigentlich mit Ryan hingehen.

Soll ich den Vorfall ansprechen? Ganz bestimmt, aber ich kann nicht - noch nicht. Sylvie und Stella würden mir bestimmt zuhören und weiterhelfen, doch irgendwie ist es mir...peinlich darüber zureden.

Die Feier beginnt erst um 18.00 Uhr und ich würde Ryan direkt vor Ort treffen, da er davor noch viel zu erledigen hatte. Also habe ich noch reichlich Zeit, um mir den Kopf zu zerbrechen. Reiss dich zusammen, Sophia! Fest entschlossen mich nicht runterziehen zu lassen, schmeisse ich mich in die Sportsachen und fahre ins nächste Fitnessstudio. Beim Sport kann ich meine Gedanken abschalten und mich auspowern.

Nach dem Sport kaufe ich noch schnell einige Lebensmittel ein, als ich an einem kleinen Schmuckladen vorbeigehe. Im Schaufenster stiehlt ein silbernes Armkettchen mit kleinen blauen Steinen meine Aufmerksamkeit. Es ist sehr dezent, aber wunderschön. Warum sollte ich mir nicht einmal etwas gönnen? Also kaufe ich mir kurzerhand das Armband.

Als ich die Tür hinter mir schloss, lehne ich mich kurz dagegen. Je näher der Abend rückte, desto nervöser werde ich innerlich. Langsam wird es aber Zeit, um mich umzuziehen. Schnell hüpfte ich also unter die Dusche.

Das blaue Kleid, welches schulterfrei war und die Ärmel aus Spitzenstoff bestand, hatte ich vor einigen Wochen gemeinsam mit Stella und Sylvie gekauft. Oben lag das Kleid enganliegend und fiel unten lockerer aus. Seither hing es an der Tür zum Schlafzimmer und funkelte mich an. Zuvor locke ich meine Haare, schminke mich dezent und ziehe anschliessend das Kleid an.

Als ich aus dem Taxi aussteige, haben sich schon viele Menschen vor dem Eingang versammelt. Ein wenig nervös sehe ich mich nach bekannten Gesichtern um, kann jedoch keines ausmachen. Ryan meinte doch, dass er direkt beim Eingang warten würde. Wo war er bloss? Ich kämpfe mich langsam durch die Menschenmasse, damit ich mit dem Aufzug in das Stockwerk der Kanzlei fahren kann.

"Sophia! Warte! Sophia!", höre ich plötzlich. Hastig suche ich nach der Person, welche nach mir rief und kann schliesslich Ryan in der Menge ausmachen. Flüchtig gebe ich ihm einen Kuss, die Stimmung war angespannt. "Komm, ich möchte dir einige Kollegen vorstellen", und schon zog Ryan mich quer durch den Raum.

Nach verschiedenen Gesprächen wendet sich Ryan zu mir: "Es ist bald 20.00 Uhr, dann beginnt die offizielle Begrüssung durch die Kanzleipartner". Kaum hat er die letzten Worte ausgesprochen, ist er in der Menge verschwunden. Toll - jetzt lässt er mich hier alleine stehen. Langsam meldet sich mein  Bauch, also suche ich nach dem Buffet.

Gleich darauf betreten die Kanzleipartner auf die Bühne und es folgt eine Rede über die Gesichte der Kanzlei. Ryans Part bezieht sich auf die Neueröffnung in Seattle. Dem Rest kann ich nur halbwegs folgen, meine Gedanken verlieren sich immer wieder. Kurz darauf löst sich die Menge wieder auf und die Menschen vertiefen sich in ihren eigenen Gesprächen.

"Sophia, hi! Schön dich hier anzutreffen!", spricht mich plötzlich eine bekannte Stimme an. Überrascht drehe ich mich um die eigene Achse, als ich einen lächelnden Matt hinter mir entdecke. "Matt?", gebe ich sichtlich erstaunt von mir. "Was tust du den hier?"

 "Ob du's glaubst oder nicht, ich war vor einiger Zeit Stadtrat. Ab und zu bekomme ich noch einige Einladungen für solche Anlässe", erklärt Matt. Seine linke Hand hat er lässig in die Hosentasche gesteckt, während er ein Glas Wein in der anderem Hand hält. Der graue Anzug steht ihm aussergewöhnlich gut....

"Ryan ist also Partner hier? Wo ist er denn?", reisst er mich aus meinen Gedanken.

"Was? Ehm ja...ist er", stammle ich ertappt zurück. Unsicher streiche ich eine lose Strähne hinter mein linkes Ohr. Hat Matt etwas bemerkt, dass ich ihn angestarrt habe? "Er ist bestimmt hier irgendwo und redet mit wichtigen Geschäftspartner." Ein wenig traurig war ich schon, dass Ryan mich alleine gelassen hat. Sieht er mich überhaupt noch? Meine Laune sinkt in den Keller.

"Ich...ich sollte wohl nachhause gehen. Morgen wartet ja wieder eine Schicht auf mich", ich stelle mein noch fast volles Glas auf einen Tisch und will gerade an Matt vorbeigehen, als er mich aufhält. Sofort blitz mir der Vorfall mit Ryan vor meinem inneren Auge auf. Doch der Griff von Matt war anders, er war...sanft. Wir stehen dicht aneinander. "Warte, ich begleite dich", und zieht mich hinter sich her. Erst vor dem Lift bleibt er stehen.

"Du kannst ruhig bleiben, ich kann auch alleine nachhause gehen", finde ich meine Stimme schliesslich wieder. "Passt schon, solche Anlässe sind nicht unbedingt mein Ding", antwortet er nur lächelnd. Schweigend treten wir in den Aufzug und warten bis die Türen geschlossen sind. 

Wir beide sind in unseren eigenen Gedanken versunken, bis uns ein grobes Ruckeln wachrüttelt.

"Was ist den jetzt los?", frage ich.

"Der Fahrstuhl ist steckengeblieben", stellt Matt das Offensichtliche fest. Na toll, konnte der Abend noch schlimmer werden? "Eigentlich hat die Situation ja etwas lustiges an sich."

Verwirrt schaue ich Matt an. Was ist daran den lustig?

"Wir arbeiten beide bei der Feuerwehr und befreien Menschen aus Aufzügen, die steckengeblieben sind und nun sitzen wir selber fest", erklärt er mir lachend. Nun huscht auch mir ein Lächeln über die Lippen.

Während Matt den Notfall betätigt, lehne ich mich an die Rückwand.

"Bist du glücklich in Chicago?", fragt Matt nach einigen Minuten der Stille. Bin ich glücklich in Chicago?

Ich schweige kurz, bevor ich antworte: "Ja. Ja, ich bin glücklich. Ich habe mein Leben in Seattle geliebt, aber irgendetwas hatte dort gefehlt. Auf der Wache 51 fühle ich mich gut aufgehoben", gebe ich offen zu. "Mein altes Team war toll, aber hier fühlt es sich nach...Familie an."

"Wir sind froh, dass zu bei uns bist." Matt und ich stehen uns ziemlich nah gegenüber und sehen uns tief in die Augen. Mein Verstand sagt mir, dass das nicht korrekt ist, aber mein Körper folgt nicht.

Das erneute Ruckeln des Aufzuges rüttelt mich schliesslich wach und ich trete einige Schritte von Matt weg. Als sich die Türen öffnen, schlüpfe ich schnell dazwischen durch und steige in das nächste Taxi ein.

Was ist gerade passiert?


Flames of LoveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt