Kapitel 3.

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POV - Alex

Freitags helfe ich meinem Onkel immer im Studio aus. Er führt ein Kickbox Studio, deshalb kann ich hier trainieren, wann immer ich will.

Seit ungefähr 9 Jahren gehe ich hier rein und raus, wie und wann ich will. Ich trainiere mindestens dreimal die Woche. Einerseits, um in Form zu bleiben, darauf stehen die meisten Frauen. Auf der anderen Seite macht es den Kopf frei. Wenn ich das Gefühl habe, dass etwas gerade nicht so läuft, wie es sollte, komme ich hier her. Nach zwei Stunden Schweiß und Schmerz gehe ich mit einem freien Kopf raus, wie ein Neustart.

Mein Kopf ist viel mit kuriosen Gedanken beschäftigt, oft durch meine Vergangenheit ausgelöst. Meine Eltern kamen bei einem Autounfall um, als ich 12 war. Damals habe ich das nicht verstehen wollen. Heute bin ich traurig, weil ich meine Mutter oft sehr vermisse. Aber ich bin gleichzeitig glücklich, weil ich weiß, dass sie nicht mehr leiden muss.

Mein Vater wurde zum Alkoholiker, nachdem er seinen Job verloren hatte. Und zwar nur, weil er während der Arbeitszeit sich mit seiner Kollegin etwas besser verstanden hatte, als am Arbeitsplatz vorgesehen.

Wenn er betrunken war, drehten seine Synapsen durch. Er war leicht reizbar und wenn meine Mutter sich nicht nach seinen Wünschen benommen hatte oder ihre Meinung äußerte, lief sie tagelang mit einem blauen Auge herum. Ich habe sie oft weinen hören, wenn man Vater nicht zu Hause war. Nur ein Mal hatte er versucht auch mir eins auszuwischen und als seine flache Hand gegen meine Wange traf, drehte meine Mutter durch.

Sie stoß ihn von der Treppe und weil er wieder zu viel Alkohol hatte, war er nicht imstande aufzustehen. Dann hatte sie mich zu meinen Großeltern gebracht und seitdem verbrachte ich die meiste Zeit nur noch dort. Ich kam nicht mehr nach Hause zurück. Meine Mutter meinte, sie würde meinen Vater verlassen wollen, aber sie hatte ihm zu viele Chancen gegeben, wenn er mal wieder mit einem billigen Blumenstrauß von der Tankstelle um die Ecke kam.

Ich kann ihr nicht wirklich böse sein. Liebe kann blind machen und irgendwann akzeptieren wir die Fehler anderer einfach, um nicht alleine auf dieser Welt zu sein.

Als sie ihm die letzte Chance gegeben hatte, wussten wahrscheinlich beide nicht, dass es ihr letzter Moment wäre. Meine Oma hatte mir erzählt, dass mein Vater mich wieder nach Hause holen wollte. Er stieg hinters Steuer und meine Mutter wollte ihn nicht alleine auftauchen lassen. Sie hatte mit Oma telefoniert während der Autofahrt, um sie zu informieren, dass sie auf dem Weg sind.

Sie kamen nie bei meinen Großeltern an. Bei der Obduktion kam heraus, dass mein Vater unter Alkoholeinfluss war. Er ist über rot gefahren und ein Lkw hat sie von rechts gerammt. Meine Mutter starb noch auf der Stelle, mein Vater zwei Tage später im Krankenhaus, an inneren Blutungen. Ich habe ihn nicht besucht.

Die nächsten zwei Jahre verbrachte ich bei meinen Großeltern. Doch als beide immer schwächer wurden, hat mein Onkel Tom und seine Frau Lia mich zu sich geholt. Seitdem wohne ich bei denen und die beiden, sowie ihre Tochter Kira und Sohn Niko wurden zu meiner neuen, stabilen Familie.

Ich liebe meine Familie über alles und ich würde alles für Sie tun. Vor allem für meine Nicht und meinen Neffen. Ich bin kein Fan von Kindern, aber die beiden haben mein komplettes Herz eingenommen.

"Hey Alex" höre ich Tom von der Seite. "Holl Luft, bevor du wieder den nächsten Sack kaputt schlägst" er hält den Boxsack fest und gibt mir ein freundliches Lächeln.

Die nächsten 15 Minuten trainiert er mit mir, gibt mir Anweisungen und verbessert meine Tritte und Schläge. "Okay Kiddo, spring unter die Dusche, ich mache in einer halben Stunde zu", sagt er und geht wieder in Richtung von seinem Büro.

Ich greife meine Sachen und gehe zu meinem Schließfach. Der Schweiß läuft an jeder Stelle meines Körpers und ich weiß, dass ich wieder mein Bestes gegeben habe. In den Momenten bin ich ziemlich stolz auf mich, auch wenn ich jetzt die Müdigkeit meiner Muskeln spüre. Heute werde ich gut schlafen.

Ich setze mich auf die Bank vor den Duschen und schaue auf mein Handy.

Eric
Morgen 19 Uhr Vortrinken bei mir, dann Club? Tino und Ness sind auch dabei.

Ich
Bringe Bier mit - 19 passt.

Das klingt doch nach einem guten Plan für einen Samstag. Wird auch Zeit, sich wieder unter die Leute zu mischen.

Letzte Woche hatte ich noch Sex mit einer Fremden, die sich als meine Lehrerin herausstellte. Ich weiß nicht wieso, aber ich habe das Gefühl, dass wir uns bei jeder Gelegenheit in die Augen schauen und irgendetwas in ihren Augen bringt mich dazu, nicht wegschauen zu können. Aber ich kann mich davon nicht leiten lassen, es ist besser, wenn niemand davon erfährt.

Mal schauen, was dieses Wochenende bringt. Auf jeden Fall will ich nicht alleine schlafen und wenn es wieder mit Vanessa sein sollte.

Ich hüpfe unter die Dusche und nach 10 Minuten bin ich wieder frisch. Ich ziehe mich an und obwohl es Sommer ist, ziehe ich mir einen schwarzen Hoodie an und die Kapuze über meinen Kopf. Bevor ich aus dem Studio gehe, spricht mich Tom nochmal an "Sag mal, würdest du für 150 € mehr im Monat den freitags Kurs übernehmen? Nur den mit den Kids von 18 bis 19:30 Uhr. Um 20 Uhr machen wir ja eh zu."

"150 mehr? Na klar, soll ich dann auch alles abschließen?", frage ich ihn, das sollte kein Problem sein, freitags bin ich eh immer hier. Neben dem Service und der Kundenbetreuung würde ein eigener Kurs nicht schaden.

"Ja, du hast ja eh den Zweitschlüssel und es wäre schön freitagabends mal mit den Kids und Lia zu verbringen", sagt er mit einem Lächeln und ich höre an seiner Stimme, wie viel es ihm bedeuten würde.

"Tom, du kannst dich auf mich verlassen, das ist wirklich kein Problem für mich. Wir können das zu Hause gleich direkt erzählen, Kira und Niko werden sich freuen", sage ich ihm und schlage ihm leicht gegen seine Schulter.

Er lacht und nimmt mich in den Arm. Seine Umarmungen fühlen sich immer an, als würde mich eine Wolke umhüllen. Ich habe mich immer sicher bei Tom gefühlt, schon als Kind hat er mich behandelt, als wäre seine Tochter. Er war immer da für mich und jetzt bin ich da für ihn.

"Fahr vorsichtig, wir sehen uns gleich zu Hause", sagt er und lässt mich wieder los. Ich nicke ihm zu, während ich aus dem Studio gehe.

Ich steige in meinen Truck und drehe die Musik auf. Es könnte aktuell nicht besser laufen. Meine Familie ist immer an meiner Seite, ich habe den besten Freundeskreis, auf den ich mich immer verlassen kann. Um meine Zukunft mache ich mir keine Sorgen, meine Noten sind gut und auch dieses Jahr werde ich das beibehalten. Und obwohl alles gerade richtig scheint, habe ich das Gefühl, dass irgendetwas fehlt. Ich weiß nur noch nicht was, aber das will ich gerade auch gar nicht herausfinden.

Man sieht sichWo Geschichten leben. Entdecke jetzt