Kapitel 13.

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POV - Emily

Mein ganzes Wochenende habe ich damit verbracht, diese Nacht aus meinem Kopf zu streichen. Ich habe so sehr versucht mich zurückzuhalten und dann nutze ich den nächst besten Moment, bei dem Alex etwas über Sex erwähnt und ich falle über sie her. Es war ein Fehler.

Verdammt, sie hat mit einer anderen geschlafen und dabei an mich gedacht. Was soll ich mit dieser Information überhaupt anfangen?

Mein Handy klingelt, als ich an einer roten Ampel halte. Es ist Oliver.

"Na, vermisst du mich?", drücke ich amüsiert auf den Annahmeknopf am Lenker.

"Natürlich Schwesterchen, immer", lacht er am Telefon und meine Laune steigt. "Nächsten Freitag will ich meinen Geburtstag feiern. Ich weiß, der ist erst am Samstag, aber Raphael entführt mich für das Wochenende ans Meer."

"Das klingt wundervoll, man wird ja nur einmal 33", strahle ich auf das Display, wo der Name meines Bruders steht. "Ich werde da sein."

Ich muss heftig in die Bremsen drücken und auf die Hupe schlagen, als mir ein silberner SUV die Vorfahrt nimmt. "Blöder Wichser!", brülle ich heraus.

"Wooow, na wohin bist du noch so spät unterwegs?", höre ich Oliver nun amüsiert.

"Spät? Es ist 20 Uhr an einem Sonntag und mein Unterricht startet morgen erst um 09:30", verdrehe ich meine Augen. Bei der nächsten Kreuzung kann ich schon das Schild des Studios sehen. Ich bin gleich da. "Hey Oliver, ich muss auflegen. Ich rufe dich die Tage an."

"Alles gut, ich soll dich noch von Raphael grüßen", sagt er.

"Grüß ihn zurück. Bis dann", antworte ich und beende das Gespräch.

Der Parkplatz ist leer, als ich hineinfahre. Nur ein schwarzer Truck in meinem Rückspiegel.

Alles klar, vorhin am Telefon meinte Alex, ich muss zur blauen Hintertür, sie lässt sie für mich offen. Du schaffst das, Emily, spaziere da einfach herein und beende das Ganze. Besser später als nie. Sie wird das verstehen, sie ist clever – es sind die Umstände, die einfach zu kompliziert sind.

Ich greife nach ihrem Pulli vom Beifahrersitz, atme einmal tief durch und steige aus dem Auto. Das Gebäude ist nicht allzu groß und die Hintertür befindet sich direkt auf der anderen Seite zum Haupteingang. Ich gehe hinein und schließe die Tür hinter mir, dann gehe ich durch das Lager zu dem kleinen Nebenflur. Das Studio ist kaum beleuchtet und ich höre schweres Atmen, als ich den Flur heruntergehe bis zum Hauptraum.

Das Studio ist groß, als ich mich herumschaue, aber nur eine Ecke ist leicht mit warmem Licht beleuchtet und ich laufe langsam näher. Je näher ich komme, desto lauter wird der Atem, schneller und heftiger. An der Wand kann ich ihren Schatten sehen, wie sie immer wieder und wieder zuschlägt. Ich schaue hinter den Boxsack und sehe, wie sie mit dem Rücken zu mir gerichtet ist. Sie schlägt immer wieder gegen die Luft und ich beobachte sie für einen kurzen Augenblick.

Um sie nicht zu erschrecken, räuspere ich mich etwas "Hey".

Ihre Bewegungen kommen abrupt zum Stehen und sie dreht sich langsam um. Ihre Brust bebt und ihr Mund ist etwas offen; sie atmet schwer, als wäre sie eben einen Marathon gelaufen.

"Hey", sagt sie und wischt sich mit dem Arm über die Stirn und Haare "wie lange stehst du da?"

Mein Blick wandert an ihr runter, von ihren Lippen, durch die noch eben eine Frage in meine Richtung erklang, runter an ihrem BH zu ihren Bauchmuskeln. Ein paar Schweißtropfen glänzen ihren Bauch entlang und ich merke, wie mir die Luft wegbleibt. Ich hätte nicht gedacht, dass sie noch attraktiver aussehen kann. "Noch nicht lange, ich bin soeben erst rein."

"Gut", sagt sie und geht zu ihrer Sporttasche. Sie holt ihr Wasser und als sie es an ihre Lippen ansetzt, fallen ein paar Tropfen auf ihren Körper und nun spüre ich, wie ich sie wieder anstarre. Bevor sie es merken kann, schaue ich wieder weg.

"Ich habe deinen Hoodie mit", sage ich und nähere mich ihr, halte diesen ihr entgegen. Sie greift danach und lässt ihn wieder zu Boden fallen. "Was hast du da eben gemacht?", frage ich und zeige auf die Bandage um ihre Hände.

Sie schaut auf ihre Hände, "Schattenboxen." Antwortet sie nur.

Sie spricht oft nicht so viel, antwortet nur kurz und knapp. Immer präzise genug, um eine Antwort zu geben, aber nicht mehr. "Schattenboxen? Und warum nicht am Boxsack oder am Spiegel?", frage ich nach.

Sie schaut etwas herum, trinkt wieder einen Schluck und schaut dann zu der Wand, wo jetzt beide unsere Schatten gegenüber stehen und zeigt drauf. "Die Bewegungen sind klar zu sehen. Am Boxsack sind meine Hörsinne durch den Schlag mehr beansprucht, was ich brauche sind aber meine Augen. Am Spiegel gibt es zu viel, dass von der Bewegung ablenkt. Deshalb mein eigener Schatten, der kennt meine Bewegungen am besten."

"Interessant, wieder etwas dazugelernt", sage ich und ein Lächeln bildet sich auf meinen Lippen. Das war wohl bis jetzt das meiste, was sie je gesagt hatte, am Stück.

Sie verdreht ihre Augen und ich sehe, wie ihr ein Grinsen entweichen will, sie hält es aber auf "Willst du es versuchen?", fragt sie stattdessen und ich reagiere etwas perplex, schaue an mir herunter, ob ich überhaupt das richtige anhabe fürs Boxen.

"Keine Sorge, deine Hose wird schon nicht reißen, du brauchst nur die Arme", sagt sie und unsere Blicke treffen sich. Sie fordert mich heraus und ich bin froh, diese Herausforderung anzunehmen.

"Na gut", sage ich und gehe ein Schritt zurück. Ich ziehe mein Sweatshirt aus und richte mein Top wieder, währenddessen holt Alex Handschuhe aus ihrer Tasche heraus und signalisiert mir, dass ich zu ihr kommen soll.

Sie zieht mir die Handschuhe über die Hände, auf den Verschlüssen befinden sich zwei verschiedene Daten; es sieht aus, als wären das ihre persönlichen Handschuhe. Meine Neugier überkommt mich. "Wofür stehen die Daten?", frage ich sie und ihr Blick springt von meinen Händen zu meinen Augen, hin und zurück.

Sie antwortet nicht direkt, schaut mich für einen Moment still an, als würde sie noch überlegen, dann legt sich ihr Fokus wieder auf die Handschuhe "Der Geburtstag meiner Nichte und meines Neffen", sagt sie schließlich und bevor ich antworten kann, fährt sie fort.

"So fertig. Stell dich an den Boxsack, eine Armlänge entfernt", sagt sie bestimmend und ich folge ihrer Anweisung. Ich strecke meinen linken Arm aus und messe meine optimale Entfernung.

"Du bist Linkshänder?", höre ich Alex von der Seite fragend und ihre Frage überrascht mich.

Ich nehme meinen Arm wieder runter und drehe mich leicht zu ihr "Ja, wieso? Macht es das schwieriger?"

"Nein, leichter, ich bin auch Linkshänder", antwortet sie und schenkt mir ein halbes Lächeln, welches wahrscheinlich ungewollt ist, da es sofort wieder verschwindet. "Beine schulterbreit, dein rechtes Bein einen halben Schritt vor das andere."

Sobald ich mich genau so hinstelle, wie sie es beschreibt, stellt sie sich mir gegenüber. Na ja, mehr neben dem Boxsack, sie lehnt sich an ihn und gibt mir weitere Anweisungen "Heb die Arme, deine linke Hand nah an deiner Wange, die Rechte etwas weiter vorne, als Führhand. Verteile dein Gewicht auf beiden Beinen, gehe etwas in die Knie und bleib locker."

"Ganz schön viele Schritte für den Anfang", zwinkere ich ihr zu. Shit. Das ist definitiv Flirten und das sollte ich nicht machen, aber die Art und Weise wie sie mir die Anweisungen gibt und ich einfach darauf eingehe, macht meinen Kopf so leer. Ich folge einfach ihrer Stimme, ohne dass es mich stört.

Sie verdreht ihre Augen und lehnt sich stärker in den Boxsack, aber nicht zu stark. "Versuch jetzt mit den Augen die Mitte auf Schlaghöhe zu finden und dann holst du mit links aus, denk dabei an dein Gleichgewicht", kommandiert sie, ihre Stimme nun tief und ernst. Ich folge genau dem, was sie sagt, und als ich so weit bin, landet meine linke Faust genau in der Mitte des Boxsacks. Alex rührt sich kein bisschen, schaut mich nur verblüfft an, als hätte sie das nicht erwartet.

"Gut und jetzt versuche, dass ich meine Stabilität verliere", sagt sie und ich weiß nicht direkt, was sie damit meint, also schaue ich sie nur fragend an.

"Holle mit rechts aus und setzte mit links nach", erklärt sie "und zwar so, dass ich nicht mehr imstande bin, mich gegen den Sack zu lehnen. Bring mich zu Boden", ihre Augen schauen tief in meine und sie verschränkt ihre Arme, fordernd.

Ich versuche mich zu konzentrieren, bringe mich in die Position, die Alex von mir erwartet, und schlage einfach darauf los, mittig auf den Sack. Immer wieder, erst mit dem rechten Arm, dann mit dem linken. Sie rührt sich kein Stück, schaut mich an, als würde es sie gar nicht interessieren und das macht mich komischerweise nervös. Für einen Moment verliere ich meinen Fokus, vergesse, was ich mache und schlage gegen die Seite des Boxsacks. Ich verliere meinen Halt und rutsche ab, direkt in Alex Richtung.

Man sieht sichWo Geschichten leben. Entdecke jetzt