9 | Das Flussufer

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Sophie hatte sich für ein paar Tage krank gemeldet in der Pathologie. Zu groß war ihre Angst, dass jemand ihre Katzenohren entdecken könnte. Anfangs hätte sie bestimmt mit einem schlechten Scherz argumentieren können, dass die Dinger sowieso nicht echt seien. Aber was, wenn sie jemand dazu aufforderte, die Ohren abzunehmen? Sie konnte ja schlecht sagen, dass sie die Ohren mit Sekundenkleber an ihrem Kopf befestigt hatte. Und zu ihrem großen Entsetzen stellte sie fest, dass ihre Ohren sogar auf Geräusche reagierten. Nahmen sie ein Geräusch wahr, zuckten die Ohren oder drehten sich in die Richtung, aus der das Geräusch kam. Wie sollte sie im Notfall dieses Verhalten erklären? Gab es künstliche Katzenohren mit kleinen, verbauten Motoren, die die Bewegungen von echten Katzenohren nachahmten? Wohl kaum.

Sophie machte sich auch viele Gedanken darüber, wie sie diese Ohren wieder loswerden konnte. Aber die einzige Möglichkeit, die ihr einfiel, war ein chirurgischer Eingriff. Und dazu müsste sie die Ohren wiederum jemandem zeigen. Und die Ärzte würden sie wahrscheinlich eher für verrückt halten anstatt sie zu operieren. Und so band Sophie sich jeden Morgen, direkt nach dem Aufstehen, ihre Haare zu Space Buns zusammen. Je weniger sie die Ohren sah, desto besser konnte sie sich einreden, dass alles ok war. Aber sie konnte sich nicht für immer krankmelden. Und nachdem sich die Space Buns als eine sehr gute Frisur entpuppt hatten, beschloss Sophie wieder zur Arbeit zu gehen.

Am nächsten Morgen sorgte Sophie dafür, dass ihre Space Buns extra fest saßen. Sie sprühte sogar zusätzlich noch Haarspray auf die Kugeln aus Haaren, damit auf jeden Fall alles an seinem Platz blieb. Sie war nervös. Hoffentlich ging alles gut. Sie hatte ihre neue Frisur nun mehrere Tage ausprobiert und nie waren ihre neuen Katzenohren zu sehen. Aber man konnte nie sicher gehen, dass alles gut ging. Sophie schaute sich ernst im Spiegel an und sagte zu sich selbst: "Du schaffst das!" Dann verließ sie ihre Wohnung und machte sich auf den Weg zur Arbeit.

Als Sophie aus ihrem Auto stieg und über den Parkplatz vor dem Krankenhaus lief, hatte sie das Gefühl, dass jeder sie anstarrte. Sie blickte fest auf den Boden vor sich und versuchte, die Blicke der anderen zu ignorieren. Starrten sie sie überhaupt an? Mit nervösen Händen befühlte sie ihren Kopf, aber die Space Buns saßen nach wie vor bombenfest. Sie atmete erleichtert aus, sie bildete sich die Blicke der anderen also nur ein.

Sophie eilte durch die Gänge und schlüpfte leise in den Umkleideraum. Dort wechselte sie vorsichtig ihre Kleidung und achtete penibel darauf, dass ihre Oberteile auf keinen Fall an den Haarkugeln hängen blieben und diese lockerten. Nachdem sie ein letztes Mal ihre Frisur überprüft hatte, betrat sie das Labor und machte sich an die Arbeit. Sie versuchte sich so gut es ging auf die Arbeit zu konzentrieren und ihre Kollegen auszublenden. Als plötzlich jemand eine Hand auf ihre Schulter legte, zuckte sie erschrocken zusammen.

"Hey Sophie, sorry, ich wollte dich nicht so erschrecken. Ich wollte eigentlich bloß fragen, ob alles ok ist. Du bist heute so still", wurde sie von ihrem Kollegen Lukas angesprochen.

Sophie versuchte nicht genervt zu seufzen. Sie setzte ein gekünsteltes, lächelndes Gesicht auf und antwortete: "Oh hi, ich war so vertieft, ich habe dich gar nicht kommen hören. Klar, alles ok, mir geht's super."

"Bist du dir sicher?", fragte Lukas. "Du weißt ja, du kannst jederzeit mit mir sprechen, wenn dich irgendwas bedrückt. Wir sind nicht nur Kollegen. Wir sind auch füreinander da."

Sophie blickte in Lukas grüne Augen, die ruhig auf ihrem Gesicht ruhten. "Nein, alles ok. Wie ich bereits sagte, mir geht's super."

Lukas Gesicht hellte sich wieder auf, als er erwiderte: "Ok, cool. Du hast da übrigens was im Gesicht." Sein Zeigefinger und sein Daumen bildeten eine Zange und er näherte sich Sophies Nase. Sie erstarrte und versuchte, sich ihre Panik nicht anmerken zu lassen. Als Lukas Finger das Etwas in Sophies Gesicht ergriffen und er seine Hand ruckartig zurückzog, hatte Sophie das Gefühl, als hätte ihr jemand die Haut vom Gesicht abgezogen.

Der Fluch der KhepriWo Geschichten leben. Entdecke jetzt