2 | Sophies Vater

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Sophie verließ wie in Trance das Gebäude. Den Umschlag mit ihrem neuen Arbeitsvertrag fest umklammert. Sie sah nur auf den Boden vor sich und nahm die Geräusche um sie herum kaum wahr. Personen, die sie beim Vorbeigehen grüßten, hörte sie nur gedämpft. Erst als sie draußen an der frischen Luft war und der Wind ihr um die Nase wehte, kehrte langsam ihr Verstand zurück und sie begriff, was sie da gerade in ihren Händen hielt. Plötzlich fing sie an zu grinsen, sie konnte ihre Freude nun kaum zurückhalten. Sie hatte es tatsächlich geschafft! All die Überstunden und die Mühe, die sie in ihre Arbeit gesteckt hatte, hatten sich nun endlich ausgezahlt! Sophie hatte einen unbefristeten Arbeitsvertrag bekommen. Die ständige Umzieherei in fremde Städte hatte endlich ein Ende. Und noch viel wichtiger, sie konnte endlich in derselben Stadt wie ihr Vater wohnen. Sie hatte jetzt Zeit, sich um ihn zu kümmern. Vielleicht konnte sie ihn so aus seinen dubiosen Geschäften ziehen.

Sophie machte sich auf den Weg zu ihrem Auto, das sie am Morgen auf dem Parkplatz des Krankenhauses abgestellt hatte. Plötzlich blitzte eine Idee in ihrem Kopf auf und nahm Gestalt an. Anstatt in ihre eigene Wohnung zurückzukehren, würde sie ihren Vater besuchen und ihm die freudige Nachricht persönlich überbringen. Das war eine wunderbare Idee, sie beschleunigte ihre Schritte und als sie bei ihrem Auto ankam, platzierte sie ihre Tasche auf dem Beifahrersitz und fuhr los in Richtung des Hauses ihres Vaters.

Als sie an einer roten Ampel zum Stehen kam, gingen ihr viele Gedanken durch den Kopf. Eigentlich würde sie ihrer Mutter auch gerne von ihrem neuen Arbeitsverhältnis berichten. Aber Sophie kannte ihre Mutter nicht. Und auch ihr Vater sprach kaum über sie. Das einzige, was Sophie über ihre Mutter wusste, war, dass sie mit 17 Jahren schwanger wurde. Sophies Vater und ihre Mutter waren kein Paar. Sie lernten sich auf einer Party kennen. Er war ein Schulabbrecher, ein Rebell. Und ihre Mutter ging noch zur Schule. Auf dieser Party wurde auch Sophie gezeugt und ihre Mutter und ihr Vater sahen sich danach nie wieder. Und so erfuhr Sophies Vater auch erst von seiner Tochter, als es plötzlich an seiner Haustür klingelte und ein kleines Baby in einem Wäschekorb davor lag. Ihre Mutter hatte Sophie kurz nach der Geburt in ein paar Handtücher gewickelt, hatte eine kurze Notiz auf einen Zettel gekritzelt und diesen mitsamt dem Baby einfach zurückgelassen. Weder sie noch ihr Vater hatten jemals wieder etwas von ihr gehört.

Und plötzlich stand ihr Vater, damals 22 Jahre alt, mit einem kleinen Baby da. Und die damaligen Umstände im Leben ihres Vaters erlaubten es nicht, dass er seinen Eltern oder der Polizei von diesem Baby erzählte. Zu seinen Eltern hatte Sophies Vater kein gutes Verhältnis, denn nachdem er die Schule abgebrochen hatte, war er auf die schiefe Bahn geraten. Zuerst hatte er es mit Drogen versucht, um so an Geld zu kommen. Als allerdings ein paar seiner Freunde von der Polizei festgenommen wurden, wurde ihm das zu riskant. Durch einen Zufall kam er dann zum illegalen Katzenhandel. Damit konnte man auch Geld verdienen und es war nicht ganz so riskant wie der Deal mit Drogen.

Sophies Vater baute sich einen Namen auf. Er war quasi das Mittelstück des Katzenhandels. Er nahm die Katzen aus dem Ausland bei sich zu Hause auf und verteilte sie von dort an Händler, die die Katzen wiederum im Internet für viel Geld verkauften. Es handelte sich überwiegend um sehr teure Rassekatzen, weswegen Sophies Vater sein zu Hause auch wie eine kleine Burg abgeriegelt hatte.

Die Katzen bewegten sich frei in der Wohnung und Sophie war mit diesem Zustand aufgewachsen. Sie kannte es nicht anders. Ihr Vater war immer liebevoll zu ihr. Trotz der schlechten Startbedingungen zwischen ihnen, hatte er immer versucht, dass es Sophie an nichts fehlte. Aber eines hatte er nie verstanden. Nicht immer lässt sich das Gefühl, dass etwas fehlt, durch ein teures Geschenk ersetzen. Durch den Katzenhandel hatte Sophies Vater wenig Zeit für seine Tochter und das war etwas, was sie sich sehr wünschte. Zeit mit ihrem Vater zu verbringen. So war es nicht verwunderlich, dass Sophie mit der Zeit anfing, eine Abneigung gegen Katzen zu entwickeln. Immerhin waren diese Tiere Schuld daran, dass ihr Vater nie Zeit für seine einzige Tochter hatte. Und zwischen den beiden kam es immer wieder zum Streit und so beschloss Sophie, dass sie, sobald sie 18 Jahre alt war, sich ihre eigene Wohnung suchen würde.

Seit Sophie ausgezogen war, hatte sich das Verhältnis zu ihrem Vater wieder gebessert und sie besuchte ihn regelmäßig. Und so war es nur logisch, dass sie sich sofort auf den Weg zu ihm machen wollte, um ihm von ihrem neuen Arbeitsvertrag erzählen zu wollen. Lautes Gehupe riss Sophie aus ihren Gedanken. Sie blickte zur Ampel und sah, dass diese schon längst auf Grün umgeschaltet hatte. Sophie war so versunken in ihren Gedanken gewesen, dass sie das nicht bemerkt hatte. Schnell drückte sie aufs Gas und fuhr weiter, bevor die Autofahrer hinter ihr noch länger warten mussten.

Als Sophie in die Straße einbog, in der das Haus ihres Vaters stand, stellte sie sich vor, wie er reagieren würde. Würde er zur Feier des Tages eine Flasche Sekt öffnen und sie stießen gemeinsam darauf an? Oder würde er sie zu ihrem Lieblingsgriechen zum Essen einladen? Vielleicht würden sie auch gemeinsam ins Kino gehen. Sophie war es eigentlich völlig egal, was sie unternehmen würden, sie war so glücklich, nichts könnte dieses Glück an diesem Tag trüben.

Sie parkte ihr Auto auf der Einfahrt des Hauses und stieg aus. Sophies Vater wohnte in einem kleinen, heruntergekommenen Haus. Die Fenster waren vom wechselhaften Wetter der letzten Jahrzehnte schon lange trüb. Und selbst wenn man sich die Mühe machte und versuchte, durch die Fenster zu schauen, hatte Sophies Vater vorgesorgt und alle Fenster mit dichten, schweren Vorhängen versehen. So konnte er sicherstellen, dass niemand die vielen wertvollen Katzen sehen konnte.

Mit einem freudigen Bauchkribbeln legte Sophie ihren Zeigefinger auf die Klingel und drückte. Nach nicht allzu langer Zeit ertönte das wohlbekannte Summen des Türöffners. Sie drückte gegen die Tür, die daraufhin nachgab. Mit besonderer Vorsicht achtete sie darauf, die Tür nicht allzu weit zu öffnen. Nur gerade so weit, dass sie sich durch den Spalt hindurch schieben konnte. Das war eine der wichtigsten Regeln im Haus ihres Vaters. Jede Tür, die in die Freiheit führte, durfte nur so kurz wie möglich offen sein, damit auf keinen Fall eine der wertvollen Katzen entwischen konnte.

Sophie befand sich in einer Art Vorzimmer, welches das restliche Haus von der Haustür abtrennte. Dies war das einzige Zimmer, in dem sich niemals eine Katze aufhielt. Das Zimmer war spärlich eingerichtet. Der Holzboden war mittlerweile sehr in die Jahre gekommen und knarrte bei jedem Schritt. Und auch die Tapeten an den Wänden hatten schon bessere Zeiten erlebt. Links von der Haustür stand eine kleine Garderobe, an der Sophie ihre Jacke und ihre Tasche aufhängen konnte. Als Sophie ihre Tasche von der Schulter streifen wollte, blieb sie damit am Türgriff der Haustür hängen. Schnell vergewisserte sie sich, ob sich die Tür geöffnet hatte. Aber sie sah immer noch fest verschlossen aus. Sophie drehte sich um, nahm die Türklinke der Tür in die Hand, die in das restliche Haus führte und drückte sie nach unten. Gleichzeitig rief sie nach ihrem Vater:"Papa! Ich bin's! Kannst du mal kommen? Ich muss dir was sehr Wichtiges erzählen."

Sophie trat durch die geöffnete Tür und merkte nicht, wie sich durch den Luftstoß die scheinbar geschlossene Haustür wieder öffnete.

Der Fluch der KhepriWo Geschichten leben. Entdecke jetzt