Mit zwei voll bepackten Taschen machte sich Sophie wieder auf den Heimweg zu ihrer Wohnung. Sie hatte extra so viel eingekauft, dass ihre Vorräte für die nächsten Tage reichen würden. Obwohl man es von außen nicht sehen konnte, dass Sophie eigentlich Veganerin war, schämte sie sich immer noch dafür, wenn sie Milch und Fisch kaufte. Aber sie hatte es mittlerweile oft genug versucht, wieder andere Lebensmittel zu essen oder zu trinken. Nichts schmeckte ihr. Alles roch faulig und schmeckte modrig, sodass Sophie alles wieder ausspucken musste.
Sophie kam an einer Spielstraße vorbei. Diese musste sie durchqueren, um in die Straße zu ihrer eigenen Wohnung zu gelangen. Mittlerweile hatte sich der Tag zu einem schönen, sonnigen Morgen entwickelt. Und die Sonne wärmte Sophies Gesicht. Ohne darüber nachzudenken, atmete sie tief ein, schloss dabei ihre Augen und streckte ihr Gesicht der Sonne entgegen. Es war das erste Mal, dass sie ihrem empfindlichen Geruchssinn etwas Positives abgewinnen konnte.
Irgendwo in der Nähe hatte jemand den Rasen gemäht und es roch nach frisch gemähtem Gras, sie liebte diesen Geruch. Sie konnte auch die Blüten an den Sträuchern und Bäumen riechen. Sie war sich sicher, wenn sie die Gehörschutzstöpsel aus ihren Ohren nahm, dass sie dann auch das Summen der Bienen hören konnte, die sich an dem Nektar der Blumen bedienten. Plötzlich nahm sie den köstlichen Duft von frisch gegrilltem Fleisch wahr. Ihr Magen machte sich sofort bemerkbar, aber Sophie ließ sich dieses Mal nicht davon aus der Ruhe bringen. Sie genoss diesen kurzen Augenblick, in dem ihr Leben keine Vollkatastrophe war.
Während Sophie weiter die Straße entlang ging, sah sie in einiger Entfernung zwei Kinder, die miteinander Federball spielten. Jedes Kind stand auf einer Seite des Gehweges, die Straße als imaginäres Netz. Sophie konnte das leise Pong wahrnehmen, wenn der Federball auf dem Netz der Schläger aufprallte. Fasziniert blieb Sophie stehen und sie spürte, wie sich jeder Muskel in ihrem Körper anspannte. Sie konnte den Blick nicht vom Federball abwenden, der immer hin und her, hin und her geschossen wurde. Sie spürte, wie ihr Kopf sich ruckartig ebenfalls hin und her und hin und her bewegte. Sie musste sich zusammenreißen, um nicht los zu rennen. Irgendwas in ihr wollte diesen Federball unbedingt fangen und sie spürte, dass sie das sogar schaffen würde.
Mit einem dumpfen Klatschen fiel der Federball zu Boden und das Spiel der zwei Kinder war vorerst unterbrochen und somit auch Sophies tranceähnlicher Zustand. Sie schüttelte kurz den Kopf und machte sich weiter auf den Weg nach Hause. Als sie in ihre Straße einbog, hörte sie jemanden rufen: "Hey, pass doch auf! Ich steh doch ganz woanders, du Blöd Kopf!" Sophie drehte den Kopf und nahm einen dunklen, runden Schatten wahr, der sich auf der gegenüberliegenden Gehwegseite am Boden abzeichnete. Sie blickte nach oben, ein Fußball segelte in rasantem Tempo direkt auf ein Fenster zu. Sophie ließ ihre Taschen fallen und rannte los. Ohne zu prüfen, ob von irgendeiner Seite ein Auto kam, rannte sie über die Straße, setzte zum Sprung an und bekam den Fußball rechtzeitig und mit beiden Händen zu fassen, bevor dieser in das Fenster krachte.
Leichtfüßig landete Sophie wieder auf ihren zwei Beinen und drehte sich um. Sie stand zwei Jungs gegenüber, die nicht älter als elf Jahre sein dürften. Beide standen mit geöffneten Mündern und erstaunten Blicken da, bis einer von beiden Sophie fragte: "Wie hast du denn das gemacht? Der Ball war viel zu schnell und viel zu hoch. Das war unmöglich, ihn zu fangen!"
Sophie wollte schon lässig abwinken und warf einen Blick zu dem Fenster, das sie vor dem sicheren Zerspringen bewahrt hatte. Erst da fiel Sophie auf, in welcher Höhe sich das Fenster befand. Der Junge hatte Recht. Es war unmöglich, diese Höhe vom Gehweg aus zu erreichen. Sie sah die zwei Jungs irritiert an, rang sich dann aber ein Lächeln ab und erwiderte: "Ach, das ist bloß Übung." Sie warf den Fußball den Jungs zu und machte sich schnell auf den Weg zu ihren Einkaufstaschen, um dann ganz schnell in ihre Wohnung zu flüchten.
Dort angekommen, räumte sie ihre Einkäufe in den Kühlschrank und ließ bloß ein paar Würstchen auf der Anrichte liegen und goss sich ein großes Glas Milch ein. Hungrig verzehrte sie ihre Mahlzeit und dachte nochmal über ihren massiven Sprung nach. Aber ihr fiel einfach keine Erklärung ein. Sie schloss das Thema ab, indem sie sich einredete, dass sie sich im Fenster geirrt hatte. Bestimmt flog der Fußball gar nicht so hoch und die Fenster sahen sich bloß ähnlich.
Der Rest vom Tag war relativ unspektakulär. Sophie beschloss, dass sie aufgrund der jüngsten Ereignisse lieber zu Hause blieb. Sie verbrachte den ganzen Tag auf dem Sofa vor dem Fernseher und schaute sich ihre Lieblingsserie an. Zwischendrin stand sie auf, um sich ein neues Glas Milch einzugießen oder ein Würstchen aus dem Kühlschrank zu holen. Als es Zeit war, schlafen zu gehen, schlüpfte Sophie in ihren kuscheligen Pyjama und zog sich die Decke bis ans Kinn. Sofort fiel sie in einen tiefen Schlaf.
Ihr Handy riss sie aus einem traumlosen Schlaf. Benommen grapschte sie danach und schaltete den Wecker aus. Nachdem Sophie noch ein paar Minuten im Bett liegen geblieben war und verschiedene Posts auf den Social Media Kanälen abgeklappert hatte, schwang sie ihre Beine aus dem Bett und machte sich auf den Weg ins Badezimmer, um heiß zu duschen. Das heiße Wasser tat unglaublich gut auf ihrer Haut und sie stand länger als notwendig unter der Dusche, einfach um zu genießen.
Dann drehte Sophie das Wasser ab und griff nach ihrem Handtuch, dass sie sich dann um ihren Körper wickelte. Sie zog den Duschvorhang auf die Seite und staunte. Sie musste wirklich sehr heiß geduscht haben. Das komplette Badezimmer war beschlagen, ihr Spiegelbild konnte sie nicht erkennen. Mit einer Hand wischte sie über den Spiegel, um sich sehen zu können, und fing wie am Spieß an zu schreien und taumelte entsetzt ein paar Schritte zurück.
Sophies Herz pochte laut und schnell gegen ihre Brust, Panik schnürte ihr die Kehle zu. Ihre Augen weiteten sich entsetzt. Das konnte nicht sein, das durfte nicht sein. Was passierte bloß mit ihr? Verlor sie ihren Verstand? Langsam und mit keuchendem Atem machte sie wieder zwei Schritte auf den Spiegel zu. Entsetzt schlug sie sich die freie Hand vor den Mund. Was sie dort sah, erschütterte sie zutiefst.
Zu beiden Seiten ihres Oberkopfes lugten zwei Katzenohren hervor. Ihr Haar teilte sich an den Stellen, an denen ihr die Ohren aus ihrem Kopf traten. Zwei spitze, goldfarbene Ohren. Sophie traten die Tränen in die Augen und sie fing hemmungslos an zu weinen. Sie ließ sich auf den Boden sinken und ihr Körper erzitterte vor lauter Schluchzen.
Sophie hörte erst auf zu weinen, als sie keine Tränen mehr übrig hatte und ihr ganzer Körper vor Anspannung schmerzte. Mit zitternden Fingern befühlte sie ihre neuen Ohren. Die Ohrmuscheln waren ganz dünn und weich. Wenn sie noch mehr Tränen übrig gehabt hätte, hätte sie sofort wieder zu weinen angefangen. Aber mehr als ein verzweifeltes Krächzen brachte sie nicht heraus. Mit wackeligen Beinen zog sie sich am Waschbecken hoch. Ihre Haare waren schon fast komplett getrocknet, so lange musste sie geweint haben. Niemals würde sie so vor die Tür gehen können. Die Leute würden sich über sie lustig machen, sie vielleicht sogar für verrückt erklären. Schnell griff Sophie nach ihrer Haarbürste und zwei Haargummis. Glücklicherweise hatte sie schönes, volles Haar und war nicht komplett unbegabt, was verschiedene Frisuren betraf.
Sie teilte ihre Haare in der Mitte ab und wickelte sich die Haarsträhnen jeweils um die Katzenohren und befestigte alles bombenfest mit Haargummis und Haarklammern. Als Sophie fertig war, begutachtete sie ihre Space Buns im Spiegel. Die Katzenohren waren nicht mehr zu erkennen, sie schüttelte den Kopf ein paar Mal heftig hin und her. Die Buns blieben genau so, wie sie sein sollten. Verzweifelt und zufrieden, atmete Sophie aus. Mit dieser Frisur konnte sie die Wohnung verlassen, ohne dass jemand ihre Abartigkeit sehen konnte. Währenddessen konnte sich Sophie Gedanken machen, wie sie diese Katzenohren wieder loswerden konnte.
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Der Fluch der Khepri
FantasíaSophie wuchs unter keinen guten Bedingungen auf. Ihre Mutter war noch eine Schülerin, als sie Sophie direkt nach der Geburt vor der Haustür ihres Vaters absetzte und sich aus dem Staub machte. Ihr Vater war selbst fast noch ein Teenager. Er hatte di...