20 | Hoffnung

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"Bleib ganz ruhig! Wir holen dich da raus", rief Toni durch die geschlossene Tür des Geräteschuppens. Von innen war ein leises, aber ängstliches Fiepen zu hören.

Sophie hatte in der Nacht wieder einen Traum gehabt. Dieses Mal hatte sie gesehen, wie eine Katze von Menschen in einem Geräteschuppen in einem Schrebergarten eingesperrt wurde. Die Katze war vor lauter Panik wild umher gelaufen und versuchte über eine Werkbank ein Fenster zu erreichen, um von dort fliehen zu können. Mit dem Schwanz blieb die Katze jedoch an einem Hammer hängen, der an der Wand befestigt war, und traf sie tödlich.

Als Sophie keuchend aus ihrem Traum erwachte, weckte sie auch Toni damit. Verschlafen fragte er sie, was los sei. Schnell berichtete Sophie, was sie in ihrem Traum gesehen hatte, und Toni wusste sofort, um welche Schrebergärten es sich handeln musste. Er führte Sophie dorthin und schnell liefen sie von Garten zu Garten, um den Geräteschuppen aus Sophies Traum ausfindig zu machen.

"Wir müssen das Fenster einschlagen, das ist unsere einzige Möglichkeit, wie wir in diesen Schuppen kommen", wandte sich Toni energisch an Sophie. Diese nickte und blickte sich suchend um. Als sie fand, wonach sie gesucht hatte, rannte sie los, schnappte sich einen dünnen, aber stabilen Ast und lief zu Toni zurück.

Mit zusammengebissenen Zähnen sagte sie: "Mit dem hier müsste es klappen." Sophie und Toni sprangen auf den Deckel einer Regenwassertonne, die glücklicherweise direkt unter dem Fenster stand, das sie mit dem Ast einschlagen wollte. Sie trat ein paar Schritte zurück, bis sie mit ihren Hinterpfoten den Rand der Tonne fühlte. Dann drehte Sophie den Kopf so, dass das spitze Ende des Astes direkt auf das Fenster gerichtet war. Sie holte tief Luft und nahm dann so viel Anlauf wie sie konnte und rannte auf das Fenster zu. Kurz vor dem Aufprall schloss sie zum Schutz ihre Augen. Keine Sekunde zu früh, denn mit einem lauten Knall zersprang das Glas in unzählige Splitter und regnete auf ihr Fell herab.

Sophie schüttelte ihren goldenen Pelz und sie und Toni schauten durch das kaputte Fenster. Am Boden der Werkbank konnte Sophie eine rot-getigerte Katze erkennen, die sich ängstlich in den Schatten duckte. Als sie ihre Retter erkannte, trat sie zaghaft aus dem Schatten hervor, sprang auf die Werkbank und von dort aus dem zerschlagenen Fenster zu Toni und Sophie auf die Regenwassertonne.

Mit noch immer schreck geweiteten Augen sah die Katze zwischen Toni und Sophie hin und her und sagte dann: "Danke euch beiden. Vielen Dank. Ihr habt mir das Leben gerettet."

"Keine Ursache. Wir sind froh, dass dir nichts zugestoßen ist", antwortete Toni.

"Diese furchtbaren Menschen!", fing die Katze an zu erzählen. "Sie haben mich mit etwas zu fressen angelockt und mich dann in den Schuppen gesperrt. Dann sind sie lachend weggelaufen. Wenn ihr nicht gekommen wärt, dann wäre ich in diesem Schuppen wahrscheinlich verhungert."

Die orange Tigerkatze verabschiedete sich noch und lief dann in die Dunkelheit davon. Toni sah Sophie an und sagte: "Das war ganz schön knapp. Der Fremde hätte jederzeit auf die Werkbank springen können und den Hammer von der Wand reißen können. Wir sind gerade rechtzeitig gekommen. So wie damals bei Fiodora."

Die beiden sahen sich an und jeder wusste vom anderen, dass sie gerade genau dasselbe dachten. "Toni", begann Sophie. "Was ist, wenn an der Geschichte für die kleinen Kätzchen, von der Bo erzählt hat, doch etwas dran ist? Was ist, wenn es eine Möglichkeit gibt, diese Träume zu beenden?"

"Es wäre möglich, Sophie. Aber es kann auch wirklich bloß eine Geschichte sein, die man Kätzchen erzählt."

"Ich weiß", Sophie atmete hörbar aus. "Aber wenn es auch nur eine winzig kleine Möglichkeit gibt, diese Träume loszuwerden, dann muss ich es probieren. Verstehst du das?"

Toni nickte: "Ja, das verstehe ich. Und ich werde dir dabei helfen, egal was dabei rauskommt. Aber du musst das nicht alleine machen."

Sophie sah Toni dankbar an. Er tippte ihr mit der Schwanzspitze auf die Schulter und sagte: "Na dann los. Suchen wir Bo. Er kann uns sicher weiterhelfen."

Die beiden beschlossen, sich wieder auf den Weg zurück zum Restaurant zu machen. Der Hinterhof des Restaurants war ein beliebter Treffpunkt für alle Straßenkatzen, da der Hunger immer groß war und das Restaurant immer Reste der Mahlzeiten übrig hatte.

Und sie hatten Glück. Sie hatten den Hinterhof noch nicht betreten, da hörten sie bereits das zufriedene Schmatzen der Katzen, die sich gerade über die Teller hermachten. Jetzt musste nur noch Bo selbst unter diesen Katzen sein. Toni hatte erzählt, dass er Bo nur von dem Treffpunkt im Hinterhof kannte. Er wusste weder wo die Nacktkatze wohnte oder sich tagsüber rumtrieb, noch mit wem sie sonst befreundet war. Das Restaurant war also ihre einzige Chance nochmal mit Bo zu sprechen.

Sophie ließ ihren Blick über den Hinterhof schweifen. Vor lauter Anspannung hatte sie selbst gar keinen Appetit und auch der köstliche Duft, der von den Tellern ausging, konnte ihr nichts anhaben. Weiter hinten im Hof, konnte sie den felllosen Körper von Bo erkennen, der über einen Teller mit den Resten eines halben Hähnchens gebeugt war. "Sieh nur Toni", Sophie nickte in Richtung der Nacktkatze. "Da ist er."

Toni und Sophie liefen in Richtung Bo, als dieser sie bemerkte, hob er den Kopf und sah in ihre Richtung: "Heee, ihr Zwei. Schön euch zu sehen, das ging ja schnell."

Die drei Katzen begrüßten sich und Sophie beschloss, dass sie gleich zum Punkt kommen würde und nicht lange um den heißen Brei herumreden würde. "Bo", begann sie. "Kannst du dich noch daran erinnern, dass wir beim letzten Mal über meine Träume gesprochen haben? Und du meintest, dass das keine Träume wären, sondern Vorhersagen."

"Klar kann ich mich noch daran erinnern", nickte Bo. "Und wenn mich nicht alles täuscht, hast du mir damals nicht geglaubt."

Sophie blickte beschämt zu Boden und gab mit knirschenden Zähnen zu: "Ja, das ist richtig. Es tut mir Leid. Es ist nämlich so, dass ich schon wieder einen dieser Träume hatte. Toni und ich konnten im letzten Moment eine Katze davor retten, von einem Hammer erschlagen zu werden. Menschen hatten sie in einem Geräteschuppen eingesperrt. Sie war völlig verängstigt."

Bo seufzte. "Immer diese Menschen. Sie verstehen einfach nicht, dass wir Katzen auch Gefühle haben, wie Schmerz, Angst, Trauer. Ich hoffe, der Katze geht es besser."

"Ja, sie ist wieder in ihr Zuhause zurückgekehrt. Und, ich, nun ja, ich glaube jetzt auch, dass es sich bei diesen Träumen um mehr als nur normale Träume handelt. Deswegen bitte, Bo, kannst du uns helfen? Kannst du uns alles, was du weißt, über diese Träume erzählen?"

Bos Augen wurden traurig, als er antwortete: "Tut mir Leid, kleine Sophie. Ich habe auch nur Gerüchte über diese Vorhersagungen gehört. Noch nie ist mir eine Katze begegnet, die diese Fähigkeit tatsächlich besaß."

Resigniert blickte Sophie zu Boden. Das war es dann wohl. Ihre letzte Hoffnung hatte sich gerade zerschlagen.

"Aber möglicherweise, kenne ich eine Katze, die euch weiterhelfen kann", redete Bo weiter.

"Wer? Welche Katze ist es?", voller Hoffnung und mit großen Augen sah Sophie Bo an.

"Es ist ein Kater, Freddie. Ich kenne ihn von früher. Er hat mittlerweile ein Zuhause in einem Haus bei den Menschen gefunden. Aber vielleicht habt ihr Glück und könnt kurz mit ihm sprechen. Freddie kennt die halbe Welt und es würde mich nicht wundern, wenn er euch weiterhelfen kann."

Da Katzen nicht lesen konnten, konnte Bo ihnen keine Adresse im Sinne eines Straßennamens mit einer Hausnummer geben. Doch er beschrieb den Weg zu diesem Haus und das Haus selbst so ausführlich, dass Toni zu wissen glaubte, wo sie hin mussten. Die beiden verabschiedeten sich ausführlich von Bo und machten sich dann auf den Weg zu diesem unbekannten Kater namens Freddie.

Bo rief ihnen noch hinterher: "Viel Glück, kleine Sophie!"

Der Fluch der KhepriWo Geschichten leben. Entdecke jetzt