7 | Nachtsicht

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Irgendwo in der Nähe von Sophies Schlafzimmerfenster hupte ein Auto. Sie kniff die Augen fest zusammen, sie wollte noch nicht aufwachen. Mit geschlossenen Augen versuchte sie sich zu erinnern, was passiert war. Wieso lag sie in ihrem Bett? Da fiel es ihr wieder ein. Sie hatte ihre Arbeit in der Pathologie vorzeitig beendet, weil sie einen heftigen Migräneanfall hatte. Sophie konnte sich dunkel erinnern, wie sie wie in Trance den Weg zu ihrer Wohnung gefunden hatte, alle Vorhänge im Schlafzimmer zugezogen hatte und erschöpft ins Bett fiel. Aber wann war das gewesen? Vor einigen Stunden oder Minuten? Wie lange hatte sie geschlafen? Sophie hatte jegliches Zeitgefühl verloren.

Die Augen weiterhin geschlossen, legte Sophie sich eine Hand auf den Kopf. Er fühlte sich normal an, sie konnte auch keinen dröhnenden Schmerz wahrnehmen. Sie tastete vorsichtig nach ihrem Handy, um einen Blick auf die Uhr zu werfen. Doch ihre Hand griff ins Leere. Sie musste das Handy im Schlaf von der Matratze gestoßen haben. Mit einem Seufzer öffnete Sophie nun doch die Augen. Da bist du ja, dachte sie sich, als sie ihr Handy auf dem Boden vor ihrem Bett liegen sah. Sophie stutzte. Sie drehte ihren Kopf in Richtung Fenster. Die Vorhänge waren weiterhin geschlossen und es drang kein Licht von draußen herein. Die Uhr ihres Handys zeigte 02:30 Uhr nachts an. Wieso zur Hölle, konnte Sophie ihr Handy im Dunklen problemlos erkennen?

Sie ließ ihren Blick weiter durch ihr Schlafzimmer schweifen. Sie konnte die weiße Kommode gegenüber von ihrem Bett erkennen. Zu ihrer Rechten stand der Kleiderschrank. Ihre Schlafzimmertür war leicht angelehnt. Sophie stand auf, ihre nackten Füße berührten den Boden, doch sie nahm die Kühle nicht wahr. Sie konnte ihren Herzschlag spüren, als sie die Hand ausstreckte, um die Schlafzimmertür komplett zu öffnen. Sie stand nun mitten im Wohnbereich. Langsam ließ sie ihren Blick von links nach rechts gleiten. Ihre Augen tasteten alles ab, jedes Möbelstück, jede Dekoration, alles was es zu sehen gab. Im völligen Dunkeln.

Als ihr Blick in Richtung Wohnzimmer schweifte, sah sie, dass sie die Vorhänge vom Balkon nicht zugezogen hatte. Sie erkannte ihr Sofa, das an der Wand stand, den kleinen Couchtisch direkt davor. Plötzlich fiel ein gleißend helles Licht durch die großen Fenster im Wohnzimmer. Ein Auto fuhr vorbei. Sophie riss sich sofort die Hände vors Gesicht. Das Licht war derart hell und blendend, dass sie das Gefühl hatte, ihre Augäpfel würden gleich explodieren. Als das Auto wieder weg war, wartete sie noch einen Moment, bis sie sich traute, die schützenden Hände von ihren Augen zu nehmen. Sofort gewöhnten sich ihre Augen wieder an die Dunkelheit und sie konnte wieder alles erkennen. Was zur Hölle war hier los? Träumte sie noch? War sie vielleicht gar nicht wach?

Sophie zwickte sich ein paar Mal in den Arm, um sicherzugehen, dass sie nicht doch träumte. Aber es war kein Traum. Es war die Realität. Ihre Kehle schnürte sich zu und sie bekam Angst. Tränen schossen ihr in die Augen. Was war hier bloß los? Sie konnte es sich nicht erklären. Und als ihr klar wurde, dass sie auch mit niemandem darüber sprechen konnte, wurde ihre Panik nur noch größer. Alle würden sie für verrückt halten. Wer würde ihr so eine Geschichte glauben? Sie würde es ja selbst nicht tun, wenn sie es gerade nicht leibhaftig erleben würde.

Sophie eilte zurück in ihr Schlafzimmer und verkroch sich unter ihrer Bettdecke, wo sie hemmungslos anfing zu weinen. Irgendwann schlief sie vor Erschöpfung ein.

Das laute Hupen eines Autos irgendwo in der Nähe, ließ Sophie aus ihrem Schlaf hochschrecken. Schnell schaute sie auf ihr Handy, es war 08:47 Uhr. Hektisch blickte sie sich in ihrem Zimmer um. Aber alles sah normal aus. Auch ihre Augen fühlten sich normal an. War es vielleicht doch nur ein Traum gewesen?

Mit einem lauten Knurren machte sich ihr Magen bemerkbar. Da fiel Sophie ein, dass sie seit gestern Morgen nichts mehr gegessen hatte. Sie wusste, dass sie nun schnell etwas zu sich nehmen musste, bevor dieser unerträgliche Heißhunger sie überkam. Schnell krabbelte sie aus ihrem Bett und machte sich auf den Weg in die Küche, um den Kühlschrank zu inspizieren. Doch als sie die Tür öffnete, sank ihr Herz eine Etage tiefer.

Der Kühlschrank war nahezu leer. Sie musste vergessen haben, einkaufen zu gehen. Sie trank noch den letzten Schluck Milch leer und kratzte die übrig gebliebenen Fetzen Forellenfilets aus der Packung. Dann warf sie sich schnell ihre Klamotten vom Vortag über und machte sich mit zwei Taschen bewaffnet auf den Weg zum nächsten Supermarkt.

Bereits als sie den ersten Schritt vor die Haustür gesetzt hatte, bereute es Sophie bereits ihre Wohnung verlassen zu haben. Die Geräusche um sie herum erschlugen sie fast. Sie blickte nach links ans Ende der Straße, dort polterte langsam aber laut ein Müllwagen am Straßenrand entlang und gabelte die vollen Mülltonnen auf. Wenn der Greifarm die Tonnen vor und zurück schwang um auch den letzten Rest Müll aus den Tonnen zu schleudern, dröhnten Sophies Ohren wie verrückt. Irgendwo in der Nähe schrie ein Baby wie am Spieß, weil ein anderer Nachbar bei geöffnetem Fenster lautstark Techno Musik hörte. Und zu guter Letzt fuhren im Eiltempo noch zwei Polizeiautos inklusive Krankenwagen mit Sirene in der Nähe von Sophie's Straße vorbei. Sie hatte das Gefühl, als würden ihre Trommelfelle gleich reißen. Sie machte auf dem Absatz kehrt und schloss so schnell wie möglich wieder die Tür zu ihrer Wohnung auf.

Mit Schweißperlen auf der Stirn verbarrikadierte sich Sophie wieder in ihrer Wohnung. Das würde sie niemals schaffen, bei diesem Lärm zum Supermarkt und wieder zurückzukommen, ohne dass ihre Ohren explodieren würden. Da hatte sie eine Idee. Sophie eilte ins Badezimmer und zog eine Schublade nach der anderen auf und wühlte darin herum. In Gedanken verfluchte sie sich dabei selbst, dass sie es nicht schaffte Ordnung in ihren Schubladen zu halten und einfach alles immer wahllos hineinzuwerfen. Dann erblickte sie in der Schublade direkt unter dem Waschbecken, in der rechten oberen Ecke, was sie suchte.

Triumphierend hielt sie die neongelben Gehörschutzstöpsel in die Höhe. Schnell fummelte sie die zwei aus der Verpackung und stopfte sie sich in die Ohren. Sofort legte sich eine wohlige Stille um Sophie. Sie atmete erleichtert aus. Ja, damit könnte es funktionieren, dachte sie sich.

Mit einem gedämpften Klicken, schloss die Haustür sich hinter Sophie. Sie blieb eine Weile stehen, nahm die Geräusche in ihrer Umgebung wahr und ließ sie auf sich wirken. Sophie konnte weiterhin alles hören, allerdings war alles gedämpfter und weniger schrill. Sie atmete erleichtert aus und machte sich so auf den Weg zum Supermarkt.

Der Fluch der KhepriWo Geschichten leben. Entdecke jetzt