17 | Das falsche Weihnachtsgeschenk

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Sophies pochendes Herz wollte sich gar nicht beruhigen. Sie versuchte wieder einzuschlafen und sich einzureden, dass es bloß ein Albtraum gewesen war. Doch sie konnte nicht mehr einschlafen. Die ängstliche Stimme des Kätzchens aus ihrem Traum hallte wieder in ihrem Kopf. Nach einer Weile beschloss sie, den Fuchsbau zu verlassen und ein bisschen frische Luft zu schnappen. Vielleicht konnte Sophie so ihre Gedanken etwas beruhigen und wurde wieder schläfrig.

Vorsichtig und leise, darauf bedacht Toni nicht zu wecken, zwängte sie sich durch die Öffnung des Fuchsbaus und stand im Freien. Sophie blickte in den Himmel. Aber er war Wolkenverhangen, sie konnte keine Sterne erkennen. Außerdem war es extrem windig geworden und Sophie fröstelte es. Die Baumkronen wogen sich im Wind. Sophie überkam ein ungutes Gefühl. Nein, bitte nicht, dachte sie. War das hier dieselbe Situation wie gestern, als sie die alte Katze aus ihrem Traum tot an der Straße fand?

Sophie wollte schon umdrehen und sich wieder im Fuchsbau verkriechen, da blieb sie wie angewurzelt stehen. Als sie letzte Nacht den Traum mit der alten Katze hatte, war sie einfach liegen geblieben und hatte weiter geschlafen. Sie hatte nichts unternommen, um der alten Katze zu helfen. Jetzt aber war es mitten in der Nacht, genau so, wie in Sophies Traum mit dem kleinen Kätzchen. Was, wenn es dieses Mal noch nicht zu spät war und sie das Kätzchen retten konnte?

Schlagartig drehte Sophie um und rannte so schnell sie konnte zum Flussufer. Schlitternd kam sie am Ufer zum Stehen. Sie blickte in alle Richtungen, aber sie konnte sich nicht mehr an die genaue Stelle aus ihrem Traum erinnern, an der sie den Karton auf dem Wasser hatte treiben sehen. Aber die Szenerie stimmte. Es war windig und der Fluss war zu einer reißenden Gefahr geworden. Sie suchte das Wasser mit ihren Augen ab und rief: "Hallo? Kleines Kätzchen, bist du hier irgendwo?"

Da! In einiger Entfernung konnte sie einen dunklen Gegenstand auf dem Wasser erkennen. Sie spitzte die Ohren und tatsächlich! Sie konnte ein leises Piepsen hören. Der Karton war noch ein Stück entfernt, schnell sah sich Sophie am Ufer um, ob sie etwas fand, mit dem sie das Kätzchen retten konnte. Und sie hatte Glück. Durch den Sturm war ein Ast von einem Baum in der Nähe abgebrochen. Wenn sie es schaffte, mit dem Ast den Karton in Ufernähe zu bekommen, könnte das Kätzchen vielleicht an Land hüpfen.

Sie nahm den Ast mit den Zähnen auf, er war ganz schön schwer, aber Sophie biss umso heftiger zu. Sie eilte ans Flussufer zurück und suchte den Karton auf dem Wasser. Als sie ihn gefunden hatte, wartete sie, bis der Karton ungefähr auf ihrer Höhe war und versuchte dann mit Hilfe des Astes, den Karton zu erreichen. Das Kätzchen hatte mittlerweile den Kopf über den Rand des Kartons gestreckt und blickte ängstlich umher.

Immer und immer wieder versuchte Sophie mit dem Ast den Karton zu erreichen, aber sie schaffte es nicht, ohne selbst ins Wasser zu fallen. Da kam ihr eine Idee. Eine riskante Idee, aber vielleicht die einzige, um das Kätzchen zu retten. Sie legte den Ast für einen kurzen Moment neben sich auf die Wiese und rief dem Kätzchen zu: "Hör zu, ich schaffe es nicht, den Karton ans Ufer zu ziehen. Du musst springen! Ich werde den Ast so nah wie möglich an den Karton schieben und dann musst du auf den Ast springen und ich ziehe dich dann ans Ufer. Hast du verstanden?"

Das Kätzchen blickte ängstlich zu Sophie und erwiderte: "Das schaffe ich nicht! Das ist viel zu weit!"

"Wir haben keine andere Möglichkeit, der Karton wird bald durchweichen und sinken! Du schaffst das, ich weiß es. Ich glaube an dich. Bist du bereit? Wir haben nicht mehr viel Zeit."

Das Kätzchen hatte immer noch angsterfüllte Augen, aber es nickte Sophie zu. Sophie betete zu allen möglichen Göttern, dass es gut gehen würde. Sie nahm den Ast wieder mit den Zähnen auf und streckte ihn so nah wie möglich an den Karton. Das Kätzchen müsste trotzdem einen guten Sprung machen, um das Ende des Astes zu erreichen. Wenn es den Ast verfehlte, würde es untergehen. "Jetzt!", schrie Sophie mit zusammengebissenen Zähnen.

Dadurch, dass der Karton immer weiter flussabwärts getrieben wurde, musste auch Sophie sich mit dem Tempo des Kartons anpassen. Das Kätzchen kletterte auf den Rand des Kartons, machte sich zum Sprung bereit und kam direkt auf dem Ast zum Stehen. Sophie atmete erleichtert auf und fing an, rückwärts zu laufen, um den Ast an Land zu ziehen.

Doch plötzlich rammte der Ast einen Stein im Wasser und das Kätzchen verlor das Gleichgewicht, bevor es in Ufernähe war. Mit einem Platschen fiel es ins Wasser. Sophie ließ entsetzt den Ast fallen und trat an den Rand des Ufers. Sie konnte das Kätzchen nirgends entdecken, da tauchte ein Stückchen weiter vorne im Fluss ein kleiner Kopf an der Wasseroberfläche auf. Sophie wollte schon losrennen, da flitzte ein heller Fleck an ihr vorbei und sprang ohne zu zögern ins Wasser. Sie brauchte einen Moment, um zu verstehen, dass es sich dabei um Toni handelte.

Toni erreichte das Kätzchen schnell und packte es mit seinen Zähnen im Nackenfell. Mit schnellen und starken Paddelbewegungen, strampelte Toni wieder zurück ans Ufer. Sophie eilte zu den beiden hin und nahm ihm das kleine Fellbündel ab und legte es auf die Wiese. Toni grub seine Krallen in die Erde am Ufer und zog sich aus dem Wasser. Nachdem er sich das überschüssige Wasser aus dem Fell geschüttelt hatte, kam er zu Sophie und dem kleinen Kätzchen, das zitternd im Gras lag.

"Toni", rief Sophie. "Ich weiß gar nicht, wie ich dir danken soll. Woher wusstest du, wo wir sind?"

"Ich bin aufgewacht und habe bemerkt, dass du nicht mehr im Fuchsbau bist. Ich wollte nach dir sehen, ob alles ok ist. Dann habe ich dich rufen hören und bin deiner Stimme gefolgt. Zum Glück gerade noch rechtzeitig."

Sophie blickte Toni dankbar an. Dann wandte sie sich dem kleinen Kätzchen zu und fragte: "Ich bin froh, dass du hier bist, du warst wirklich sehr tapfer. Aber wie um Himmels willen, bist du in diesem Karton auf dem Fluss gelandet?"

Das kleine Kätzchen antwortete zitternd: "Danke. Danke, dass ihr mich gerettet habt. Ich hatte solche Angst. Mein Name ist Fiodora. Zumindest haben mich immer so die Menschen gerufen, bei denen ich gewohnt habe, bevor sie mich ausgesetzt haben."

Sophie stellte sich und Toni schnell vor, bevor sie antwortete: "Die Menschen haben dich ausgesetzt?"

"Ja, ich kann mich noch erinnern, wie ich von meiner Mama weggenommen wurde und in eine Kiste mit Löchern gesteckt wurde. Dort musste ich eine Ewigkeit warten. Und dann hat einer der Menschen die Kiste geöffnet und sich sehr gefreut, mich zu sehen."

Fiodora erzählte Sophie und Toni die ganze Geschichte. Sophie war schockiert, als das kleine Kätzchen mit seiner Erzählung fertig war. Fiodora war ein Weihnachtsgeschenk für die Kinder der Familie gewesen. Doch als der erste Familienurlaub immer näher rückte, stellten sie fest, dass Fiodora sie daran hinderte, unbefangen in den Urlaub zu gehen. Also haben sie Fiodora in einen Karton gesetzt und ihn an einer Stelle im Park platziert, von der sie ausgingen, dass Spaziergänger das kleine Kätzchen finden mussten. Als Fiodora versuchte, sich aus dem Karton zu befreien, musste dieser ins Wasser gerutscht sein.

Sophie war entsetzt von der Grausamkeit dieser Familie. Erst adoptierten sie ein kleines, unschuldiges Kätzchen und sobald sie merkten, dass ein Haustier auch Verpflichtungen und Verantwortung mit sich brachte, entsorgten sie es wie Sperrmüll an der Straße.

Toni und Sophie nahmen Fiodora mit in den Fuchsbau. Sie alle drei mussten sich erstmal wieder aufwärmen. Und mitten in der Nacht, bei diesem Sturm, machte es sowieso keinen Sinn irgendwo anders hinzugehen. Im Fuchsbau angekommen, kuschelten sich alle drei Katzen eng aneinander, um sich gegenseitig zu wärmen. Die Körperwärme der anderen beruhigte Sophie und ihr fiel auf, wie erschöpft sie eigentlich war. Sie drehte sich noch schnell zu Toni und Fiodora um. Die beiden wirkten ebenfalls sehr erschöpft und Fiodora war bereits eingeschlafen. Nicht lange und auch Sophie fielen die Augen zu.

Der Fluch der KhepriWo Geschichten leben. Entdecke jetzt