Sophie's Handywecker gab einen Ton wie eine Kreissäge von sich. Noch ganz benommen, grapschte sie nach ihrem Handy und drückte hilflos darauf herum, bis sie es endlich geschafft hatte, den Wecker auszustellen. Sie warf das Handy zurück auf die Matratze und drehte sich mit einem tiefen Seufzer auf den Rücken. Das Licht des Handydisplays warf ein schummriges, blaues Licht an die Decke. Sophie beobachtete es eine Weile, bis sie nicht mehr ganz so benommen war. Dann wurde ihr klar, was heute für ein Tag war. Sie würde heute erfahren, ob ihr Jahresvertrag im Labor auslaufen würde, oder ob sie eine unbefristete Festanstellung bekommen würde. Ein unangenehmes Gefühl breitete sich in ihrem Körper aus. Falls sie keinen neuen Vertrag bekommen sollte, würde das bedeuten, dass sie sich einen neuen Job suchen müsste und in eine neue Stadt ziehen müsste. Beides Dinge, auf die Sophie eigentlich keine Lust hatte.
Sie arbeitete in der Pathologie im Labor als Technische Assistentin. Und seit sie ihre Ausbildung abgeschlossen hatte, war sie schon mehrmals umgezogen, da diese Arbeit immer voraussetzte, dass in einem Labor gerade eine freie Stelle vorhanden war. Bei Sophies Glück waren natürlich in der Umgebung nie freie Stellen ausgeschrieben und deswegen musste sie bisher jedes Mal in eine fremde Stadt ziehen. Dabei war es eigentlich ein Wunsch von ihr, endlich mal länger in einer Stadt bleiben zu können, um sich einen Freundeskreis aufbauen zu können.
Sie atmete tief ein und versuchte, ihre Gedanken beiseite zu schieben. Dann gab sie sich einen Ruck und hievte ihre Beine aus dem Bett. Als ihre nackten Füße den kalten Boden berührten, lief ihr ein Schauer über den Rücken. Schnell zog sie sich Socken an und schlurfte ins Badezimmer. Als sie das Licht eingeschaltet hatte, kniff sie die Augen zusammen. Ihre Augen waren noch nicht an das grelle Licht gewöhnt. Sie wartete ein paar Augenblicke, bis sie ihre Augen wieder vollständig öffnete. Dann drehte sie den Wasserhahn auf und wusch sich schnell das Gesicht mit kaltem Wasser, um den restlichen Schlaf davon zu entfernen. Als Sophie in den Spiegel blickte, sah sie ihrem müdem und erschöpftem Selbst in die Augen. Die Anspannung, die sie empfand, wenn sie über ihre mögliche Zukunft nachdachte, schlug sich mittlerweile auch auf ihre Schlafqualität nieder und es machten sich unter ihren Augen dunkle Schatten breit. Beherzt griff Sophie zu ihren Make Up Utensilien, um den Schaden möglichst gering zu halten.
Kurze Zeit später band sich Sophie ihre dunkelblonden Haare zu einem Zopf zusammen und prüfte ihr Aussehen nochmal kurz vor dem Ganzkörperspiegel. Kein Meisterwerk, aber sie war einigermaßen zufrieden. Da ihre Nacht mehr schlecht als recht war, hatte sie sich nur für eine blaue Jeans und einen schwarzen Hoodie entschieden. Im Flur schnappte sie sich ihre Jacke, ihre Tasche, schlüpfte in ihre Turnschuhe und ließ die Wohnungstür hinter sich ins Schloss fallen. Als sie das Wohngebäude verließ, schlug ihr die kühle Luft ins Gesicht und sie drehte sich nach links um. Ihr Auto stand ein Stück die Straße runter am Straßenrand. Mit einem mechanischen Knacken entriegelte sie es und ließ sich auf den Sitz fallen und startete den Motor. Bis zum Krankenhaus, in dem auch die Pathologie ihr Labor eingerichtet hatte, waren es ungefähr zwanzig Minuten. Sie hoffte, dass auf dem Krankenhausparkplatz noch ein freier Platz verfügbar war.
Dort angekommen, machte sich Sophies Magen wieder mit einem Grummeln bemerkbar. Sie hatte keine Ahnung, wann das Gespräch mit ihrer Laborleitung stattfinden sollte. In ihrem Kopf entfalteten sich mehrere mögliche Szenarien, die aber alle nicht sonderlich aufmunternd waren. Mit einem Kopfschütteln versuchte Sophie das Kopfkino zum Schweigen zu bringen, sie straffte ihre Schultern und ging mit großen Schritten durch die Eingangstür.
"Hey Sophie, was geht ab? Die Laborleitung war gerade da. Du sollst nach Feierabend in ihr Büro kommen. Ist alles ok?", Lukas, ein Kollege von Sophie, blickte kurz von seiner Arbeit auf und musterte sie.
Sophie nickte knapp und murmelte beim vorbeigehen:" Hey, ja alles ok, danke." Dann machte sie sich auf den Weg zu ihrem Spind, um sich ihre Laborkleidung anzuziehen. Sie tauschte ihre blaue Jeans und ihre schwarzen Turnschuhe gegen eine weiße Hose mit dazu passenden weißen Turnschuhen. Zum Schluss zog sie sich ihren weinroten Kasack über den Kopf und zupfte ihren Zopf ein letztes Mal zurecht. Sophie atmete nochmal tief durch und drehte sich dann zur Tür um.
Der Arbeitstag schien nicht enden zu wollen. Sophie war mit ihren Gedanken nur halbherzig bei der Sache. Ständig drifteten ihre Gedanken zu ihrem bevorstehenden Gespräch mit der Laborleitung. Und dann war es soweit. Sie faltete ihre Laborkleidung wieder zusammen, legte sie in ihren Spind und schloss die Tür. Mit schwitzigen und zittrigen Händen machte sie sich auf den Weg ins Büro der Laborleitung. Dort angekommen, klopfte sie vorsichtig an und wartete auf das Zeichen, dass sie eintreten konnte.
Das Büro ihrer Vorgesetzten, Nicole Niederberger, war nicht unbedingt freundlich eingerichtet. Zwar hatten der Boden und die Wände unterschiedliche Grautöne, besonders warmherzig war es dennoch nicht. Im hinteren Teil des Raumes stand ein Schreibtisch, der übersät war mit Akten und Unterlagen. Dazwischen stand ein Computermonitor, hinter dem eine blonde Frau mit einer Bobfrisur saß. Sie blickte Sophie in die Augen und wies lächelnd auf den Stuhl vor dem Schreibtisch. Sophie rang sich ein Lächeln ab und nahm nervös auf dem Stuhl platz.
"Hallo Sophie", sagte Nicole Niederberger und legte ihren Kugelschreiber auf dem Schreibtisch ab. "Schön, dass du es einrichten konntest. Wie geht es dir?"
"Gut, danke. Etwas nervös."
"Schön", wiederholte Nicole noch einmal. "Wie du ja sicher weißt, läuft dein Vertrag bei uns bald aus und es ist an der Zeit, darüber zu reden, wie es weitergeht."
Sophie fing an, nervös auf ihrem Stuhl herum zu rutschen.
"Erzähl mir doch mal, wie es dir bei uns im Labor gefällt. Macht dir die Arbeit Spaß? Kommst du mit deinen Kollegen gut aus?" Nicole sah sie fragend an.
Sophie holte tief Luft und versuchte, ihre Stimme zu kontrollieren, damit sie nicht so zittrig klang. "Die Arbeit ist super. Es ist viel zu tun, aber es macht Spaß. Auch die Kollegen sind nett."
"Das freut mich sehr. Ich habe natürlich auch mit dem Rest des Teams gesprochen, wie die Zusammenarbeit unter euch läuft. Denn dir ist sicher klar, dass ich ein gutes Team brauche, dass dem Alltagsstress standhalten kann. Dass sich gegenseitig unter die Arme greift, wenn die Hütte brennt. Und das Feedback des Teams war ebenfalls sehr positiv, was mich natürlich sehr freut. Und auch ich bin mit deiner Leistungsentwicklung sehr zufrieden. Deine Techniken und deine Schnelligkeit haben sich wirklich gut entwickelt. Und du gehst mit neuen Aufgaben oder Stresssituationen sehr gut um", Nicole Niederberger fing an, in einer Mappe auf ihrem Schreibtisch zu wühlen. Als sie anscheinend gefunden hatte, wonach sie gesucht hatte, sah sie Sophie direkt in die Augen und sagte:"Und aus diesem Grund möchten wir dir gerne ein unbefristetes Arbeitsverhältnis anbieten."
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Der Fluch der Khepri
FantastikSophie wuchs unter keinen guten Bedingungen auf. Ihre Mutter war noch eine Schülerin, als sie Sophie direkt nach der Geburt vor der Haustür ihres Vaters absetzte und sich aus dem Staub machte. Ihr Vater war selbst fast noch ein Teenager. Er hatte di...