11 | Ein neues Leben

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Sophie schlug die Augen auf. Vor ihren Augen erkannte sie Gras. Lag sie immer noch auf der Wiese? War sie tot? Oder hatte sie doch nur das Bewusstsein verloren? Der höllische Schmerz in ihrem Körper war verschwunden, aber sie konnte ihren Körper auch nicht mehr spüren. War sie so erschöpft von den Krämpfen? Oder vielleicht doch tot? Sophie schloss ihre Augen wieder und dämmerte erneut weg.

Als sie das nächste Mal erwachte und ihre Augen öffnete, ging gerade die Sonne auf. Alles lag in einem orange-roten Schimmer. Die Vögel zwitscherten auch bereits munter drauf los. Sophie ließ ihren Blick schweifen. Ja, sie musste auf der Wiese ohnmächtig geworden sein und hatte dort die ganze Nacht geschlafen. Sophie versuchte aufzustehen, aber ihre Beine fühlten sich ganz komisch an. Als sie an sich herunter blickte, traf sie fast der Schlag und sie wurde beinahe wieder ohnmächtig.

Anstatt ihrer zwei Beine, sah sie vier Beine inklusive der flauschigen Pfoten einer Katze. Zusätzlich zuckte im Gras von links nach rechts und von rechts nach links ein pelziger Schwanz aufgeregt hin und her. Sophie sah an sich herunter. Ihr gesamter Körper war nun der Körper einer Katze. Ihr Fell war flauschig und schimmerte golden. Sie hatte dunkle Flecken auf ihrem Pelz, was ihr das Aussehen eines Leopards gab - eine Bengalkatze.

Sophie stockte der Atmen. Eine Bengalkatze. Sie hatte plötzlich ein schreckliches Bild vor ihrem inneren Auge. Die Katze, die sie vor ein paar Wochen angefahren hatte, die ihrem Vater entlaufen war. Und die, die sie verletzt zurückgelassen hatte. Diese Katze war ebenfalls eine Bengalkatze gewesen. Konnte das ein Zufall sein? Was ist hier bloß los? Sophie verstand die Welt nicht mehr. Das konnte einfach nur ein Traum sein, eine andere Möglichkeit gab es nicht.

Da fiel ihr das Flussufer direkt in ihrer Nähe ein. Wenn sie einen Blick in das Wasser werfen könnte, würde sich vielleicht ihr menschliches Spiegelbild im Wasser spiegeln. Sophie brauchte vier Versuche, bis sie es schaffte, ihre vier Beine und den langen Schwanz so zu koordinieren, dass sie damit gehen konnte. Auf ihren wackeligen vier Beinen, stakste sie steif in Richtung Flussufer. Ihre empfindlichen Ohren drehten sich wild in alle möglichen Richtungen. Und sie spürte, wie auch ihre Schnurrhaare überfordert von den ganzen neuen Reizen aufgeregt vibrierten.

Die Geräusche und auch die Gerüche waren nichts Neues für Sophie. Bereits in den letzten Wochen hatte sie gelernt, damit umzugehen und sie hatte ein Gespür dafür entwickelt, welche Geräusche bedrohlich waren und welche nicht. Was ihr jedoch Sorgen bereitete, waren ihre neuen Beine. So ungefähr mussten sich Kleinkinder fühlen, die gerade das Laufen lernten. Und sie wusste, dass Kleinkinder nicht dazu in der Lage waren, selbständig vor Gefahren wegzurennen und sich in Sicherheit zu bringen. Aber wenn das hier ein Traum war, würde sie dann aufwachen, wenn sie im Traum sterben würde? Oder war das hier einer dieser Träume, in denen man im echten Leben stirbt, sobald man im Traum stirbt?

Je näher Sophie dem Flussufer kam, desto matschiger wurde der Untergrund. Was nicht gerade hilfreich war mit ihren vier neuen Beinen. Sie drehte sich um und stellte resigniert fest, dass sie nur ein paar Meter entfernt vom Flussufer ohnmächtig geworden war. Eine platt gelegene Stelle im Gras war zu erkennen. Und obwohl Sophie nur ein paar Meter vorwärts gekommen war, war sie bereits so erschöpft, als wäre sie kilometerweit durch den Wald gelaufen. Aber dann erreichte sie endlich das Flussufer. Das Wasser plätscherte sanft an den Rand, der mit langen Grashalmen bewachsen war.

Sophie hielt die Luft an und reckte den Hals, um ihr Spiegelbild im Wasser sehen zu können. Ihr blickten braun-grüne Augen entgegen. Ihre Augenfarbe, die sie auch als Mensch hatte. Aber der Rest des Spiegelbildes war alles andere als ein Mensch. Ein kleiner, runder Kopf mit zwei spitzen Ohren saß auf ihrem schlanken, goldenen Hals. Sophie kniff die Augen zusammen. Ein Versuch noch. Der letzte Versuch, um aus ihrem Traum aufzuwachen.

Doch als sie die Augen wieder öffnete, blickte ihr eigenes Spiegelbild in Form einer Katze sie immer noch an. Sie wollte weinen, aber sie konnte nicht. Konnten Katzen überhaupt weinen? Die Trauer und Angst umschlang sie wie eine Würgeschlange, ein klägliches Miauen entwich ihrem Maul. Panik machte sich in Sophies neuem Körper breit. Was sollte sie bloß tun? Sie war im Körper einer Katze gefangen. Wie konnte sie es schaffen, sich wieder in einen Menschen zu verwandeln? Und noch viel wichtiger, wie sollte sie in diesem Körper jemals überleben?

Völlig überfordert mit ihrer Situation, sammelte Sophie ihre vier Beine und blickte sich um. In einiger Entfernung konnte sie ein paar Büsche erkennen, die ihr Schutz geben konnten. Mit unsicheren Schritten ging sie auf die Büsche zu. Ihre Schritte waren noch etwas wackelig und rennen konnte sie mit diesen Pfoten sicher noch nicht, aber sie hatte den Eindruck, als würde ihr das Laufen bereits etwas leichter fallen. Dennoch war sie völlig erschöpft, als sie sich durch die mit Blätter behangenen Zweige zwängte und sich im Schatten in der trockenen Erde niederließ.

Die Zweige der Büsche reichten bis auf den Boden und sollten Sophie vor neugierigen Blicken schützen. Hier könnte sie erstmal überlegen, wie sie weiter vorgehen sollte. Aber bevor sie auch nur anfangen konnte, darüber nachzudenken, fielen ihr bereits die Augen zu und Sophie schlief ein.

Der Fluch der KhepriWo Geschichten leben. Entdecke jetzt