Am nächsten Morgen zog Toni los, um für sie drei etwas zu fressen zu finden. Währenddessen blieb Sophie bei Fiodora. Toni hatte Sophie erzählt, dass er eine befreundete Katze hatte, die sich sicherlich gerne um Fiodora kümmern würde. Das kleine Kätzchen war noch viel zu jung und unerfahren, um allein auf der Straße überleben zu können. Sophie wusste, dass es das Beste für Fiodora war. Dennoch musste sie zugeben, dass sie das kleine Katzenmädchen sofort in ihr Herz geschlossen hatte. Es tat ihr so unendlich Leid, was sie in ihrem jungen Katzenleben bereits erleben musste. Und zum ersten Mal wurde Sophie bewusst, dass es nicht immer nur die Menschen waren, die unter den Katzen leiden mussten.
Nachdem sie sich alle gestärkt hatten, machten sie sich auf den Weg zu Tonis Freundin. Fiodora lief zwischen Sophie und Toni, so war sie am Besten geschützt. Sophie hatte Mitleid mit ihr. Dass das kleine Kätzchen fast ertrunken wäre, musste viel mit ihr gemacht haben. Fiodora schien Sophies Blick auf sich zu spüren und sie blickte mit ihren großen Kulleraugen hoch zu Sophie. Sie blinzelte der kleinen Katze aufmunternd zu und rückte ein Stück näher an sie heran.
"Hier ist es", sagte Toni, nachdem sie eine Weile durch den Park und dann durch mehrere Seitenstraßen gelaufen waren. Sophie blickte sich um. Sie befanden sich auf einem Bauernhof. Sie wusste nicht genau, was sie erwartet hatte, aber einen Bauernhof sicher nicht. Das war doch kein geeigneter und sicherer Ort für eine kleine Katze.
"Bist du dir sicher, Toni?", flüsterte Sophie Toni zu, damit Fiodora es nicht mitbekam. Sie wollte die Kleine nicht verunsichern. "Das scheint mir nicht gerade ein sicherer Ort für sie zu sein."
"Vertrau mir, Sophie. Du wirst schon sehen. Ah, da ist sie ja!", rief Toni und lief mit senkrecht in die Höhe gestrecktem Schwanz auf eine pechschwarze Katze zu. Sophie blieb erst einmal zögerlich stehen und Fiodora versteckte sich hinter ihr. Toni und die fremde Katze wechselten ein paar Worte miteinander, dann kamen beide auf sie zu.
Die schwarze Katze hatte gepflegtes Fell, aber trotzdem konnte man erkennen, dass sie hier auf dem Bauernhof lebte und nicht in der Wohnung der Menschen wohnte. Ihre gras-grünen Augen blickten freundlich erst Sophie und dann die kleine Fiodora an. Dann sagte sie: "Hallo, mein Name ist Mona, ich wohne hier gemeinsam mit meinen vier Kindern auf diesem Hof. Und ich habe gehört, dass es hier ein kleines Kätzchen gibt, das sich uns gerne anschließen würde."
Sophies Anspannung fiel sofort von ihr ab. Mona war also Mutter. Sie kannte sich mit kleinen Kätzchen aus. Und während sie diesen Gedanken zu Ende dachte, wuselten vier kleine schwarze Kugeln aus der angrenzenden Scheune hervor. Stolpernd kamen sie neben ihrer Mutter zum Stehen. Mit großen Augen wurden die Fremden ausgiebig begutachtet.
"Kinder, darf ich vorstellen, das ist Toni. Ein sehr alter und immer gern gesehener Freund von mir. Und das ist Sophie, seine Wegbegleiterin. Und hier steht Fiodora. Fiodora, Liebes, du darfst ruhig rauskommen. Hier wird dir nichts passieren."
Zögernd machte Fiodora ein paar Schritte hinter Sophie vor und blickte die vielen fremden Katzen schüchtern an. Mona sah ihre Kitten mit strengem Blick an und sagte: "Was ist los mit euch? Habt ihr eure guten Manieren im Heu vergessen? Stellt euch vor!"
Nacheinander stellten sich die vier Katzenkinder vor. Milli, Suki, Rollo und Blacky. Sophie spürte, wie die Anspannung von Fiodoras Körper nach und nach abfiel. Sie waren ungefähr im gleichen Alter.
"Mama, dürfen wir Fiodora den Heuboden zeigen?", Rollo blickte mit großen Augen seine Mutter an. Diese warf Toni einen fragenden Blick zu und Toni nickte Mona aufmunternd zu. Sophie hatte einen kleinen Kloß im Hals. Sie hasste Abschiede. Und dies war einer. Sie und Toni verabschiedeten sich von Fiodora und ehe sie sich versah, verschwanden die vier Kätzchen mit Fiodora in der angrenzenden Scheune. Mach's gut, Kleine, dachte Sophie und plötzlich wusste sie, dass dieser Ort perfekt für Fiodora sein würde.
Nachdem Toni und Sophie den Bauernhof verlassen hatten, machten sie sich gemeinsam auf den Weg zu dem Restaurant, zu dem Toni sie an ihrem ersten Tag als Katze gebracht hatte. Und Sophie musste zugeben, die aufregende Nacht lag ihr immer noch in den Knochen und sie hatte großen Hunger. Und sie spürte eine große Dankbarkeit Toni gegenüber, dass er sie nicht mit unangenehmen Fragen löcherte, auf die sie selbst keine Antwort wusste. Und dass er, ohne es zu kommentieren, für selbstverständlich sah, dass sie ihn weiterhin begleiten würde - egal wohin sie der Weg führte.
Als sie eine Weile schweigend nebeneinander hergelaufen waren, brach Toni die Stille und fragte: "Sophie, dass du heute Nacht, ganz zufällig, dort draußen am Fluss warst um Fiodora zu helfen, war das wirklich ein Zufall?"
Sophie wusste, worauf Toni hinaus wollte. Als sie ihm von ihrem ersten Traum erzählt hatte, hatte er ihr nicht geglaubt. Aber er war nicht doof und er konnte Eins und Eins zusammenzählen. Wie groß war die Wahrscheinlichkeit, dass Sophie genau zu dem Zeitpunkt aus dem Schlaf aufwachte, den Fuchsbau verließ und genau an die Stelle des Flusses lief, an der Fiodora um ihr Leben kämpfte.
"Hast du wieder so einen Traum gehabt?", fragte Toni vorsichtig.
Sophie nickte und dann sprudelte alles aus ihr heraus. Sie erzählte von ihrem Traum und dass alles genauso passiert war wie in ihrem Traum. Bis auf den Unterschied, dass sie Fiodora tatsächlich retten konnten. Als Sophie mit ihrer Erzählung fertig war, lief Toni eine Weile schweigend neben ihr her. Sie konnte beinahe hören, wie er am Grübeln war. Wie er versuchte, dem Ganzen einen logischen Sinn zu geben.
Nach einer Weile sah Toni ihr in die Augen und sagte: "Ich weiß, dass sich das jetzt vermutlich ziemlich verrückt anhört. Aber ich glaube, du hast diese Träume nicht umsonst. Ich habe mich geirrt, ich bin mir ziemlich sicher, dass sie etwas zu bedeuten haben."
"Aber was? Das sind nur Träume. Wie können Träume eine Bedeutung haben oder die Zukunft vorhersehen?", erwiderte Sophie.
"Ich weiß es ehrlich gesagt auch nicht. Aber ich habe noch nie von einer Katze gehört, die derartige Träume hatte. Und ich habe während meiner Zeit auf der Straße schon viele Katzen getroffen."
"Glaubst du, ich werde verrückt, Toni?"
"Nein, ich glaube, dass du eine ganz besondere Fähigkeit besitzt, mit der du wirklich Großes bewirken kannst."
Sophie und Toni hatten das Restaurant erreicht. Als sie den Hinterhof betraten, blieb Sophie wie angewurzelt stehen. Erschrocken stellte sie fest, dass sie heute nicht die einzigen Katzen waren, die auf übrig gebliebenes Essen aus dem Restaurant hofften. Eine Hand voll Katzen hatte sich bereits vor der Hintertür zum Restaurant versammelt.
"Keine Angst, Sophie. Die tun dir nichts. Das sind alles Straßenkatzen, die einfach nur ein bisschen was zu Fressen haben wollen. Die werden uns gar nicht beachten", flüsterte Toni ihr zu, der offenbar gemerkt hatte, wie angespannt sie plötzlich war.
In dem Moment öffnete sich die Hintertür und der junge Mann kam wieder aus dem Restaurant. Die Hände voll bepackt mit Tellern, die teilweise noch bis über die Hälfte voll mit Essen waren. Sophie konnte alles mögliche auf den Tellern erkennen: Hühnchen, Rind, Schwein, sogar Ente, jede erdenkliche Gemüsesorte. Und alles roch so verführerisch, dass sich ihr Magen sofort bemerkbar machte.
Die Katzen machten sich über die Teller her und im Hinterhof war nur noch ein zufriedenes Schmatzen zu hören.
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Der Fluch der Khepri
FantasySophie wuchs unter keinen guten Bedingungen auf. Ihre Mutter war noch eine Schülerin, als sie Sophie direkt nach der Geburt vor der Haustür ihres Vaters absetzte und sich aus dem Staub machte. Ihr Vater war selbst fast noch ein Teenager. Er hatte di...