Einstellungstest

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Mairi hatte alles andere als gut geschlafen. Sie hasste es, irgendwo anders zu sein, wo sie nicht hingehörte. Nichts in ihrer Wohnung war irgendwie vertraut oder gab ihr das Gefühl, zu Hause zu sein. Sie hatte keine persönlichen Gegenstände, wie Fotos mitnehmen dürfen, um bei einer Durchsuchung der Wohnung durch Byrnes Schergen diese nicht auf ihr wahres Leben und ihre Angehörigen aufmerksam zu machen.

Sie hatte bereits am späten Morgen, als sie aufgewacht war, gewusst, dass sie es hier keine Woche aushalten würde, ohne nicht wenigstens mal nach Hause zurückzugehen. Allein der Gedanke, wochenlang nicht ihre Eltern zu sehen, war ihr unerträglich. Auch das Telefonat, dass sie nach Mittag mit ihrer Mutter über das Zweithandy geführt hatte, das sie ansonsten unter einem losen Dielenbrett unter der Couch versteckte, hatte wenig geholfen, ihre Laune zu verbessern.

CC Miller hatte sie direkt danach angerufen und ihm berichtet, was sie so weit herausgefunden hatte - das nach ihrem Geschmack viel zu wenig war. Miller dagegen war begeistert zu hören, dass sie es wirklich geschafft hatte, gleich am ersten Abend die Aussicht auf einen Job in dem Nachtclub zu haben und wünschte ihr viel Erfolg.

Sie machte sich etwas zu essen mit dem, was der karg eingerichtete Kühlschrank hergab und ging anschließend einkaufen, um etwas mehr Auswahl zu haben, als das, was irgendwelche Kollegen ihr bereitgestellt hatten, die sie nicht kannten. Sie hatten zwar an alles gedacht, aber Kleinigkeiten fehlten ihr dennoch, wie ihr Lieblings Joghurt, frisches Obst oder ihr Müsli, das sie morgens immer aß.

Als das auch erledigt und der Einkauf verstaut war, schaute sie sich in der Wohnung um, fügte sich resignierend in ihr Schicksal und räumte die Schränke ein. 2 Stunden später hatte sie ihre 4 Taschen ausgepackt, 3 Schubladen repariert, die ineinander gefallen waren, als sie sie aus den Kommoden ziehen wollte und 2 Türen wieder befestigt, deren Scharniere sich gelöst hatten. Zum mindestens fünften Mal, nur an diesem Tag, verfluchte sie ihre neue Identität, während sie dankbar dafür war, dass ihre Eltern ihr das Heimwerken beigebracht hatten. Sie hatte ja auch unbedingt die Geschichte einer vor ihrem Ex Hals über Kopf geflohenen Frau zu der ihren machen müssen! Sie selbst hatte vorgeschlagen, eine emanzipierte Frau zu spielen, die ins Drogengeschäft einsteigen wollte, aber CC Miller hatte abgelehnt, aus Sorge, dass sie sich zu schnell verraten würde, weil sie keinerlei Erfahrung auf diesem Gebiet hatte. Sie hatte ihm widerwillig Recht geben müssen, nachdem ein Kollege der Einheit, der sie jetzt zugeteilt worden war, ihr erzählt hatte, wie diese Übergaben und Geschäfte tatsächlich abliefern und er hatte ihr nur einen Bruchteil der Codewörter genannt, die dabei benutzt wurden, was ihren Kopf aber bereits genug zum Schwirren gebracht hatte, um einsichtig zu sein, dass sie diese Fassade niemals lange hätte aufrechterhalten können.

Um 15:30 machte sie sich fertig und verließ ihre Wohnung, um in den Nachtclub zu gehen, den sie eine viertel Stunde später erreichte. Alle Türen waren zu und nichts deutete darauf hin, dass schon irgendetwas darin los war. Sie ging durch eine schmale Gasse, in der ein Müllcontainer am anderen stand, zur Rückseite des Gebäudes und entdeckte eine Tür, die sicher die sein musste, die Finlay ihr von innen gezeigt hatte. Also klopfte sie und schrak zurück, als die Tür auch schon sofort nach außen aufgerissen wurde und sie beinahe umgehauen hätte.

"Was willst du?", knurrte sie der stämmige Typ an, der die Tür so abrupt geöffnet hatte und sie erinnerte sich daran, dass er es gewesen war, der gestern Abend den sommersprossigen Jugendlichen nicht hatte herein lassen wollen. Jetzt im Licht betrachtet, sah er beinahe noch furchteinflößender aus. Er erinnerte sie irgendwie an einen Gorilla - lauernd und jederzeit bereit, sein Revier zu verteidigen.

"Finlay erwartet mich. Ich sollte um 16 Uhr wegen eines Jobs hier sein", erwiderte sie ihm dennoch gelassen. Nur keine Angst zeigen! Das hatte sie von ihren Eltern gelernt, wenn sie einem wilden Tier begegnete. Mit solchen Kerlen war das nichts anderes. Andererseits hatten ihre Eltern ihr auch beigebracht, sich bei einer Begegnung mit einem Tier dann langsam zurückzuziehen, aber das würde sie bei keinem Kerl tun, denn das würde eine Schwäche zeigen, die sie nicht bereit war zu offenbaren. Mairi Jones ließ sich niemals von einem Kerl einschüchtern!

Ties that bind us - GermanWo Geschichten leben. Entdecke jetzt