Erwischt

16 0 0
                                    

Mairi klingelte am Freitag um 13.15 Uhr an der großen Eingangstür zum Haupthaus und warf einen Blick zum Eingang zu Chesters Wohnung hinüber, während sie wartete, dass jemand aufmachte. Sie hatte zu Hause noch schnell kontrolliert, dass ihr niemand einen Peilsender ans oder unters Auto geheftet hatte und auf der Fahrt darüber nachgedacht, ob sie erst Josh oder Chester abholen sollte, sich dann aber für Josh entschieden. Unter den derzeitigen Umständen wollte sie es lieber erst einmal vermeiden, zu viel mit Chester allein zu sein und Gefahr zu laufen, sich bei ihm zu verplappern. Er würde am Ende genau so im Knast landen, wie Byrne. Sie war sich nicht sicher, ob er dort dann nicht ohnehin schon verrückt werden würde. Zu wissen, was er vor den Gefängnismauern verpasste, würde ihn sicherlich umbringen.

Die schwere Eingangstür öffnete sich und dahinter erschien ein in die Jahre gekommener Mann im Smoking, bei dessen Anblick sie sich augenblicklich fragte, warum er nicht seinen seit mindestens 10 Jahren wohlverdienten Ruhestand genoss.

"Wen darf ich melden?", fragte der offensichtliche Butler, was Mairi verwirrte. So etwas kannte sie nur aus irgendwelchen Filmen und Büchern über englische Lords vor 200 Jahren. Sie hätte nicht gedacht, dass es sowas heute noch gab und fragte sich unwillkürlich, ob Byrne einem alten Adelsgeschlecht entstammte oder einfach nur mit seinem Geld um sich warf.

"Mairi ...Taylor. Ich wollte Josh abholen. Für seinen Kletterkurs", antwortete sie ihm knapp, sich im letzten Moment noch davon abhaltend, ihren richtigen Nachnamen zu benutzen. Es gab Dinge, an die würde sie sich niemals gewöhnen können und das war in erster Linie ihre neue Identität. Wie gut, dass sie das Thema je zu heiraten, insgeheim schon längst abgehakt hatte. Wenn sie nicht heiratete, musste sie sich auch keinen anderen Namen merken.

"Einen Moment, bitte." Er bat sie mit einer Geste herein und bedeutete ihr, im Eingangsbereich zu warten. Dieser war riesig, aber was überraschte sie daran, wenn man bedachte, wie riesig das ganze Hause war?

Der Butler verschwand die Treppe hinauf, während sie in dem karg eingerichteten Eingangsbereich auf seine Rückkehr wartete. Er kam keine 2 Minuten später wieder zurück.

"Master Josh sitzt noch an einer Klassenarbeit. Er wird noch 25 Minuten brauchen. Miss Wicket tut die Verzögerung leid, aber sie ist einem Streich von Josh geschuldet, der einen Eimer Wasser auf der Türkante abgestellt hatte", erklärte der in die Tage gekommen Mann ihr wenig amüsiert, während sie sich ausmalte, wie sich ein Eimer Wasser über eine alte, hakennasige Lehrerin ergoss, und musste sich schwer beherrschen, nicht zu grinsen."Sie können hier warten, wenn sie möchten. Ich gehe derweil Mr. Lawson Bescheid geben, dass sie da sind. Master Byrne hat mir vor seinem Aufbruch in die Stadt bereits mitgeteilt, dass er Master Josh und sie begleiten wird." Er bot ihr mit einer Handbewegung an, auf einer gepolsterten Bank an der Wand Platz zu nehmen, bevor er etwas davon murmelte, dass er wahrscheinlich diesen faulen Anwalt erst noch aus dem Bett würde werfen müssen. Grinsend folgte Mairi seiner Aufforderung und setzte sich, aber schon nach einer Minute wurde sie ungeduldig.

Was, wenn dass hier ihre Chance war? Byrne war nicht zu Hause. Ob sie wohl auf die schnelle, dessen Arbeitszimmer und mögliche Beweise finden konnte? Laut dem Butler hatte sie noch wenigstens 20 Minuten Zeit, bis Josh mit dem Unterricht fertig war und wenn er Chester wirklich erst noch aus dem Bett werfen musste, hatte sie mindestens 10 Minuten, bis der Butler zurückkommen würde. Das sollte doch reichen, um sich zumindest ein bisschen umzusehen, mit dem Alibi, eine Toilette zu suchen...

Nachdem sie die Treppe hinaufgegangen war, konnte sie ihr Glück kaum fassen, als die dritte Tür, an die sie leise klopfte, ein Arbeitszimmer mit Aktenschränken und einem Schreibtisch preis gab.

Sie schaute sich noch einmal schnell im Gang um und schlüpfte hinein, um die Tür so leise wie möglich hinter ihr zu verschließen. Schnell ging sie zu dem Schreibtisch hinüber und begutachtete die Aktenschränke, die alle verschlossen zu sein schienen. Der massive Schreibtisch sah aus, als stamme er wenigstens aus dem vorigen Jahrhundert, jedoch steckte in dessen Schublade unter der Tischplatte der Schlüssel. Vorsichtig drehte sie den schweren eisernen Schlüssel im Schloss und zuckte zusammen, als das Schloss sich mit einem Klack öffnete. Sie wusste, ihre Angst, dass jemand es gehört haben könnte, war fehl am Platz. Sie war allein hier drin und sie bezweifelte, dass jemand draußen am Flur darauf aufmerksam werden konnte, zumal sie auch dort weder Schritte noch Stimmen zu sich herein schallen hörte.

Ties that bind us - GermanWo Geschichten leben. Entdecke jetzt