∆Silverster∆

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31.12
Auch bekannt als Silvester, ist gefühlt der Weltuntergang in unserer Siedlung. Da Polenböller, da brennende Autos, da Schreckschusspistolen oder auch echte Waffen – einfach alles. Und trotzdem ist es einer der schönsten Tage des Jahres.

ILAYAS POV:

Ich machte mich fertig. Wir planten heute, gemeinsam Silvester zu feiern. Wir wollten uns bei Jamal treffen. Daher schminkte ich mich gerade. Hira war wieder bei mir, gefühlt wie bei jeder Sache. Seitdem sie weggezogen ist, schläft sie oft bei mir, da wir oft Dinge einfach später taten und die Fahrt zurück nach Mannheim einfach zu riskant wäre als Frau.

„Boah, das wird zu Lachkick", sagte Hira, die sich gerade Steine ins Gesicht klebte. Ich nickte. Wir trugen beide heute seidenen Abayas. Hira hatte ihre braunen Haare mit blonden Strähnen gelockt über ihren Kopf gelegt, während ich ein weißes Kopftuch trug.

Irgendwann waren wir fertig. Ich zog High Heels mit kleinen Absätzen an, die man schnell ausziehen konnte, wenn man rennen müsste. Denn Silvester war nicht Silvester, ohne von der Polizei wegzurennen. Allgemein war Silvester der einzige Tag im Jahr, den ich mit Safraouis Freunden verbracht hatte. Und das nur, weil Alim nicht wollte, dass Hasina alleine in der Siedlung herumrennt um diese Uhrzeit.

Irgendwann waren wir fertig und machten uns auf den Weg zu Jamal. Entweder man fährt zwei Stationen mit dem Bus oder geht 20 Minuten zu Fuß. Da wir noch Zeit hatten, gingen wir zu Fuß. Irgendwann kamen wir bei Jamal an. Bis jetzt waren dort nur Alim und Hasina.

„Salamu aleikum, Omri", sagte ich zu Jamal. „Wa aleikum Salam, Bella", sagte er. Ich zog meine Schuhe in der Wohnung aus und stellte sie an die Seite. Ich begann, mich mit Hasina und den anderen zu unterhalten. Es dauerte nicht lange, und irgendwann waren alle da. Es war 23:14, als auch der Stargast kam: Safraoui.

„Ewa, Asahbes", sagte er, als er reinkam. Er setzte sich zu uns und begann direkt, einen zu drehen. Jeder zog daran, als Jamal neben mir dran war.

„Nee, Bruder", sagte er und reichte den Joint zu Hira, die neben mir saß, und übersprang mich damit.

„Hey", sagte ich. Ich wollte doch auch. „Vertrau, mach nicht und mach mal eine Toleranzpause", sagte Hira zu mir und zog daran.

„Hä, the fuck, gib doch, ich habe die letzten zwei Wochen auch nicht", sagte ich.
„Ilaya, mach mal auf ernst nicht", sagte Safraoui.
„Digga, du kiffst jeden Tag, was redest du", sagte ich etwas genervt in die Gruppe.

Aber es war ein zu schöner Tag, um mir wegen etwas THC die Laune zu zerstören. Deswegen ließ ich es einfach an mir vorbeigehen. Irgendwann begaben wir uns nach draußen.
Natürlich hatte Jamal gefühlt so viel in seinem Kofferraum und in seinem Keller, dass er ein zweites 9/11 hätte planen können.

„Cü Amk, wollt ihr Osama bin Laden werden oder warum habt ihr so viel?", sagte ich und sah, wie Jamal mit einem eh schon vollen Einkaufswagen aus dem Keller kam und ihn neben das Auto stellte.
„Bruder, Silvester muss dieses Jahr richtig abgehen", sagte Veysel.

Und so begann der Spaß. Es wurde so laut in der Siedlung. Ich könnte schwören, dass ich Hörprobleme bekommen habe. Wir rannten durch die Siedlung.

„In 5 Minuten", sagte Mali, der auf einmal eine Waffe aus seinem Hosenbund zog.
„Digga, pack mal die Schreck weg", sagte Masha zu ihm.
„Was für Schreck, Digga, das ist eine echte", sagte Mali und überreichte sie Jamal.
„Wir gehen gleich auf das Dach des höchsten Gebäudes unserer Siedlung und dann bäm bäm", sagte Alim.

Und so machten wir uns auf den Weg, bis wir ankamen. Von dort oben sah man die Siedlung. Mehrere riesige Häuser, überall leuchtete irgendwas auf, überall flogen Raketen.

„2 Minuten noch", sagte Mali und updatete uns noch mal mit der Zeit. Ich stand währenddessen neben Jamal.
„Ilaya?", sagte auf einmal der Jamaikaner.
„Ja, Omri?", kam aus meinem Mund.
„Noch eine Minute", sagte Safraoui diesmal, und Jamal nickte ihm zu.
„Dieses Jahr wird unser Jahr, weißt du das? Ich werde dir dieses Jahr alles geben und ermöglichen, was du möchtest. Wir werden reisen, wir werden alles machen", sagte er und packte die Smith & Wesson in meine Hand. Wir hielten beide am Abzug.

„10", schrie Mali.
„9", schrien alle mit.
„8", in ein paar Sekunden ist dieses wunderschöne Jahr beendet.
„7", in diesem Jahr habe ich mich zum ersten Mal verliebt.
„6", ich war auf meinem ersten Konzert.
„5", ich habe meine Oma wieder getroffen.
„4", ich habe meine Schwiegermutter, inshallah, kennengelernt.
„3", und sie danach verloren.

Auf einmal hob Jamal die Waffe hoch, wodurch sich automatisch meine Hand mit nach oben bewegte.
„2", ich habe mich mit mehr Menschen angefreundet.
„1", ich habe den Mann kennengelernt, den ich heiraten möchte.
„FROHES NEUES JAHR", schrien alle.

Jamal drückte auf meinen Finger, wodurch der Abzug losging und viele laute Schüsse fielen. Doch die Geräusche schienen zu verstummen, es hörte sich an, als würde die Welt untergehen.

„DIESES JAHR WIRD UNSER JAHR", schrie Moussa, den ich, glaube ich, noch nie in meinem Leben schreien gehört hatte.
„Dieses Jahr wird unser Jahr", sagte Jamal und nahm unsere Hände herunter.

Ich sah tief in seine Augen. Es wird unser Jahr.

Er nennt mich „Bella", aber meint er wirklich nur mich?//Jamal. HOODBLAQ FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt