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Als wir den Hauptsaal der Ausstellung betraten, fiel mein erster Blick auf einen wahnsinnig extravaganten Kronleuchter, der in der Mitte des Raumes von der hohen Decke hing. Meine Kinnlade klappte herunter, das war Kunst!

Dieser Kronleuchter war riesig, beinahe in jede Ecke des Raumes spreizte er seine geschwungenen Stahlstangen. Im Kontrast zur Härte des Stahls, waren überall an ihm Fransen aus bunten Stoffen, Fäden, Plastik und vielen anderen Materialien unterschiedlicher Länge platziert. Dadurch fiel das Licht kunterbunt in den ganzen Raum. Bei genauerer Betrachtung wirkte der Leuchter fast wie ein stählerner Baum, der bunte Früchte trug.

„Da seid ihr ja!" Riss mich Joonies Stimme aus meiner Bewunderung und er umarmte uns zur Begrüßung. „Wie ich sehe Tae, gefallen dir JKs Werke jetzt schon besser als meine." Sagte er grinsend und zeigte auf den Kronleuchter.

Als ich begriff, errötete ich leicht. Ach shit, natürlich musste dieser Kronleuchter jetzt ein Kunstwerk von ihm sein ...

Um meine Verlegenheit zu übergehen, legte ich Namjoon verspielt einen Arm über die Schultern „Na dann zeig uns doch endlich mal deine Werke Brüderchen, wir platzen vor Neugierde!"

So führte uns mein Bruder durch seine Ausstellung. Im letzten Semester des Kunststudiums durften alljährlich die vier besten Künstler des Jahrgangs eine Ausstellung in dieser bekannten Kunstgalerie abhalten. Diese Gelegenheit zu bekommen war eine große Ehre für meinen Bruder und seinen besten Freund und ich hatte in den vergangenen Monaten beobachtet, wie sie all ihr Herzblut in dieses Projekt gesteckt hatten.

Und das Ergebnis übertraf meine ohnehin schon hohen Erwartungen bei weitem. Staunend lauschte ich Namjoon, wie er über die Maltechniken, Farbarten und Besonderheiten der einzelnen Kunstwerke redete.

Ich konnte den Impuls nicht unterdrücken, sprang einen Schritt nach vorne und umarmte Joonie stürmisch. „Ich bin soo stolz auf dich" trällerte ich laut. Mein Bruder kicherte und erwiderte meine Umarmung. „Danke Kleiner."

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Nachdem die Ausstellung ihre Pforten geschlossen hatte, gingen wir zu der angesagtesten Künstlerbar der Stadt zwei Blocks weiter. Das ‚Lohse' war bekannt für seine ausgefallene Einrichtung und ausgefallene Musik. Jungkook hatte uns auf dem Weg mit leuchtenden Augen erzählt, dass hier sogar manchmal live Kunstwerke geschaffen wurden oder performance Künstler auftraten.

Gespannt betrat ich hinter Joonie die Bar. Ich konnte es kaum erwarten, diesen Teil des Lebens meines Bruders kennenzulernen. Während des Semesters hatte ich leider selten Zeit mit Namjoon und seinen Kommilitonen feiern zu gehen, umso neugieriger war ich jetzt.

JK hatte nicht zu viel versprochen, die Atmosphäre war beeindruckend. Bunte Lichter, schräge Wände, geschwungene Tische, schiefe Stühle und verrückt gekleidete Menschen ... So musste es aussehen, wenn Mary Poppins in ein Bild moderner Kunst hüpfen würde.

Jimin war schon während der Ausstellung zu uns gestoßen und ergriff jetzt meine Hand. Er zog mich hinter sich her zur Bar, während die anderen im hinteren Teil der Bar einen Tisch besetzten.

„Diese Runde geht auf mich" sagte er grinsend und bestellte für jeden einen Gin Tonic. Ich hob eine Augenbraue.

„Oha Jimin, du hast heute noch was vor wie mir scheint" spottete ich. Wir wurden im Vorhinein gewarnt, dass der Gin Tonic im ‚Lohse' aus sehr viel Gin und sehr wenig Tonic bestehen würde, der kleine Jimin stand also ganz schön auf dem Gaspedal.

Jimin fuhr sich mit einer Hand durch die Haare und seufzte plötzlich ein wenig entmutigt. „Tae, wie kriege ich deinen Bruder dazu, mich als ‚Mann' zu sehen?" fragte er schließlich ein wenig verzweifelt.

Wow ... Jimin, der sonst immer damit prahlte, dass er mit seinem Charme jeden um den Finger wickeln könnte, saß hier gerade vor mir und fragte mich, wie ich Yoongi dazu bekäme, ihn als Mann zu sehen?

Und das wohlbemerkt, während ich der festen Überzeugung war, dass Jimin sein Ziel bei meinem Bruder längst erreicht hatte?

Die Abwegigkeit dieser Situation war einfach zu komisch und ich konnte mein Lachen nicht unterdrücken. „Yah, lachst du mich jetzt etwa aus?" Fuhr er mich an, aber das machte die Situation nur noch komischer.

Als ich mich wieder gefangen hatte, begann ich sofort Jimin zu beschwichtigen „Nein, alles gut, ich lache dich nicht aus!"

„Ja von wegen, ich bin hier grad n bisschen heartbroken ok? Reiß dich mal zusammen Taehyung." Sagte er betont verschnupft, konnte sich aber das Grinsen auch nicht gänzlich verkneifen.

„Was ist denn los?" fragte ich in etwas ernsterem Tonfall „Ich dachte ihr zwei wärt längst auf Wolke 7 ... Oder zumindest steil auf dem Weg dahin."

Überrascht schaute Jimin mich an. „Wie kommst du denn auf die Idee?" fragte er verblüfft. „Ich bin seit meiner WG-Party an ihm dran, gelegentlich kriege ich für gefühlt fünf Sekunden eine wackelige Konversation auf WhatsApp zustande und das wars dann auch!" Ich spürte, wie mein bester Freund sich ein bisschen in Rage redete. „Vor zwei Tagen waren wir sogar zusammen auf einer Spendengala. Er hat mich mitgenommen, um mir Seonbae-mäßig mit meiner Karriere zu helfen. Er hat dafür gesorgt, dass ich den ganzen Abend mit allen möglichen zauberhaften Leuten geredet habe, nur nicht mit ihm." Jimin warf mir einen gequälten Blick zu. „Ich komm nicht an ihn heran Tae!" rief er mit einer solchen Frustration, wie ich sie bei Jimin noch nie gesehen hatte.

Wenn ich so drüber nachdachte, war seine Verzweiflung auch absolut gerechtfertigt, aber er kannte meinen Bruder auch nicht so gut wie ich. Die emotionslose Art von Yoongi nahm ich mittlerweile nicht einmal mehr wahr. Im Grunde verriet sein Gesicht nämlich sehr viel über seine Gefühlslage, man musste es nur zu lesen wissen. Viel zu häufig vergaß ich, wie ablehnend er auf andere Menschen wirkte.

„Jimin, ich glaube du sorgst dich völlig umsonst." Sagte ich jetzt ernst zu ihm und drückte ermutigend seine Hand. „Mein Bruder wirkt oft kühl, aber das sind nicht seine wahren Gefühle. Mit diesem Mann einen Chatverlauf aufrecht zu erhalten, ist außerdem ein Ding der Unmöglichkeit, das hat gar nichts zu sagen. Aber Jimini, so wie ich ihn mit dir erlebe bin mir sicher, dass er dich mindestens als Mann sieht, wenn er nicht sogar schon Gefühle für dich hat."

Jimin lauschte meinen Worten und Hoffnung keimte in seinen Augen auf. 

„Mann, hoffentlich hast du recht" Rief er aus und versteckte dabei gequält sein Gesicht hinter den Händen.

Unser Gespräch wurde abrupt durch die Drinks beendet, die der Barkeeper vor uns auf der Theke platzierte.

My Brothers Best Friend ~ TaekookWo Geschichten leben. Entdecke jetzt