o3. Volltreffer

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Am Nachmittag stellte sich ein Patient in der Notaufnahme vor, der über starken Kopfschmerz, Nackenschmerzen und leichte Verwirrung klagte.
Louis betrat zusammen mit Harry das Zimmer des Patienten und ließ sich von ihm noch einmal genau schildern, welche Beschwerden er hatte.

Schließlich ließ er sich neben ihm nieder und schenkte ihm ein aufbauendes Lächeln. „Hatten Sie in letzter Zeit viel Stress?"

Der junge Mann seufzte und fuhr sich durch die Haare. „Ja, meine Frau hat vor wenigen Wochen unser zweites Kind zur Welt gebracht", erzählte er mit einem stolzen Schmunzeln auf den Lippen.

Louis nickte. „Ich schätze, dass Ihre Beschwerden ein Anzeichen von zu viel Stress sind", vermutete er. „Vielleicht sollten Sie sich vom Hausarzt eine Krankschreibung für die nächsten zwei Wochen abholen und sich zu Hause erholen."

„Oder Sie haben eine Blutung im Gehirn und werden sterben", kam es aus dem Nichts von Harry, der bis eben nachdenklich an der Wand gelehnt hatte.
Das Lächeln verschwand aus dem Gesicht des jungen Mannes und Louis fuhr fassungslos zu seinem Kollegen herum.

Hatte er sich da eben verhört?

„Entschuldigen Sie...", murmelte Louis und wand sich schließlich um. „Harry, kann ich dich eben sprechen?"

Als die beiden Ärzte am Flur vor dem Patientenzimmer standen, hatte Louis gar keine Worte für das, was er eigentlich sagen wollte.

Harry blickte ihn unbehelligt an. „Du wolltest mit mir reden?"

„Du kannst einem Patienten mit Stressymptomen doch nicht ohne jeden Anhaltspunkt sagen, dass er sterben wird", zischte Louis, noch immer fassungslos über das, was er gerade gehört hatte. „Du machst den Leuten Angst, Harry. Als Arzt solltest du eigentlich das Gegenteil tun."

Harry zuckte die Schultern. „Das sehe ich anders."
Ohne ein weiteres Wort mit Louis zu wechseln, ging er an ihm vorbei und eilte zum Stationstelefon. „Ich brauche ein CT und schicke in Kürze Liquor¹ aus einer Lumbalpunktion² ins Labor. Ich brauche die Ergebnisse sofort."

Er legte auf und ließ seine Augen über die Gänge wandern.

Er fand Niall hinter dem Tresen bei einer Patientenakte.

„Was machst du gerade?"

„Ich suche eine Akte-"

„Okay, dann machst du jetzt mit mir eine Lumbalpunktion", klärte Harry ihn auf und zeigte auf den Raum hinter sich. „Zimmer 209."

„War das nicht der Patient mit den Kopf- und Nackenschmerzen?"

Harry nickte.

„Wozu dann die Lumbalpunktion?"

Ohne eine Antwort ging Harry voraus in das Patientenzimmer und ignorierte Louis, der nicht mehr wusste, wo er zuerst hinsehen sollte.

Bevor Harry anfangen konnte, den armen Mann noch mehr zu verängstigen, übernahm Niall dessen Aufklärung.

„Wir werden mittels eines kleinen Stichs am Rücken etwas Flüssigkeit aus Ihrem Rückenmark entnehmen", sagte er in einem möglichst ruhigen Ton. „Nur zur Sicherheit. Selbstverständlich unter örtlicher Betäubung."

Während der Patient langsam ängstlich zu werden schien und Niall pausenlos Fragen dazu stellte, was nun wirklich mit ihm los war, zog Harry sich seine Handschuhe an und stellte sich hinter den jungen Mann, Niall vor ihn.

„Lassen Sie Ihre Schultern bitte nach vorne fallen und lehnen Sie sich gegen meinen Kollegen", wies Harry ihn an. „Ja, genau so. Ich brauche einen ordentlichen Katzenbuckel."

I don't think soWo Geschichten leben. Entdecke jetzt