1o - Wangenbiss

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Harry sollte recht behalten.
Kaum waren sie im Krankenhaus angekommen, mussten sie auch schon in den OP.
Milzruptur.¹
Harry machte den leitenden Chirurgen und Louis assistierte.
Der Patient überlebte. Knapp.
Louis schwor sich, niemals im Leben auf ein Motorrad zu steigen.

Anschließend ging es an diesem Tag aber harmlos weiter und Louis' Laune besserte sich von Stunde zu Stunde.
In der Mittagspause setzte er sich dann zu Harry. Der junge Arzt saß alleine in der hinteren Ecke der Kantine und stocherte in seinem Essen herum.
Er tat Louis leid. Harry wirkte ohne Niall einfach verloren.
"Magst du keinen Fisch?", fragte er, als er eine Weile beobachtet hatte, wie Harry sein Essen von links nach rechts schob.
"Doch", sagte Harry, mied aber Louis' Blick.
"Aber die haben den anders zubereitet."
Fragend hob Louis seine Augenbrauen.
"Und das schmeckt dir nicht?"
"Doch. Aber es ist eben anders."
Äh... ja gut.
"Hallo ihr zwei", begrüßte Dr. Liam Payne seine Kollegen und blieb am Tisch stehen.
"Hat heute Morgen alles gut funktioniert?"
Harry nickte und sah den Freund seines besten Freundes mit einem sanften Lächeln auf den Lippen an.
"Ja, auch wenn Louis zu spät war."
"Zwei Minuten", brummte dieser und verdrehte seine Augen.
"Und er hat ein Aggressionsproblem."
Überrascht weiteten sich Liams Augen und er sah zu Louis, welcher hingegen erneut die Augen verdrehte.
"Ein Vollidiot hat eine Affäre mit seiner Hupe. Da kann man mal kurz die Nerven verlieren."
Verstehend nickte Dr. Payne, doch Harry gab ein klagendes Seufzen von sich.
"Meditieren hilft bei Aggressionsproblemen. Du solltest sie in den Griff bekommen."
Ja.
Louis sagte dazu nichts mehr.
"Gut, ich muss dann noch eben mit Zayn sprechen", verabschiedete sich Liam und Louis beobachtete, wie dieser sich zu Zayn und einigen anderen an den Tisch setzte.
Kurz fragte er sich, warum er nicht mit Harry zusammen aß und später mit Zayn quatschte, erinnerte sich dann aber an Nialls Mandelentzündung und ahnte, dass Liam den Lockenkopf im Falle eines Falles wohl einfach nicht anstecken wollte.

Auf der Rückfahrt war Harry dann, für seine Verhältnisse, sehr gesprächig.
Er reichte Louis, bevor er ausstieg, eine Liste mit Werken von Shakespeare. Zuvor hatte er aus den verschiedenen Büchern zitiert und Louis einen langen Monolog darüber gehalten, wie tiefgründig diese Geschichten doch sind und, okay... Louis hatte nur die Hälfte verstanden, aber sehr interessiert genickt.
Vermutlich würde er trotzdem niemals eines der Bücher lesen.
Er mochte dann doch eher Thriller und spannende Krimis.

"Du bist zu früh", waren am nächsten Tag Harrys erste Worte, als er bei Louis ins Auto stieg.
Ja was denn nun?
"Besser zu früh, als zu spät, oder?"
Doch Harry brummte und schnallte sich an.
"Wenn du zu früh hier stehst, dann blockierst du den Verkehr und dann kommt es zu Stau. Stau verursacht Auffahrunfälle und Auffahrunfälle sorgen für Patienten auf der Arbeit."
Himmel, wie sollte Louis denn bitte daran denken?
"Also sichere ich uns doch den Job. Du solltest mir danken", witzelte er, doch Harry sah ihn vollkommen verständnislos an.
"Du bringst absichtlich Menschen in Gefahr, damit wir arbeiten können?"
Louis atmete tief ein und zählte bis fünf.
"Nein. Das war wieder ein Witz."
"Deine Witze sind nicht lustig."
Es herrschte betretendes Schweigen, was Louis ziemlich unangenehm war.
"Verstehst du dich gut mit Liam?", fragte er dann einfach und hoffte damit wieder ein Gespräch aufbauen zu können.
"Ja."
Okay.
"Bist du glücklich, dass Niall ihn als Freund hat?"
Vielleicht ja so.
Harry nickte.
Schwere Nummer.
"Ist er dir ein guter Freund? So, wie es Niall ist?"
Und tatsächlich schlich sich ein Lächeln auf Harrys Lippen und Louis ertappte sich bei dem Gedanken, dass Harry öfter lächeln sollte. Es stand ihm.
"Niall hat Gefühle für Liam und Liam ist immer sehr nett zu mir. Ich glaube, er mag Niall auch sehr gerne. Sie wohnen ja auch zusammen."
Der Chirurg nickte, hielt an einer roten Ampel und sah Harry dann an.
"Bist du oft mit ihnen zusammen?"
Harry nickte erneut.
"Niall und ich sehen uns mehrmals die Woche. Liam ist dann auch dabei. Manchmal spielen wir Brettspiele."
Louis setzte den Wagen wieder in Gang und lächelte. Das klang schön und er war froh, dass die beiden sich so um Harry kümmerten.
"Vielleicht hast du ja auch mal Lust. Wir machen das jeden Freitag."
Nanu? Hatte Harry ihn etwa gerade zum Spieleabend eingeladen?
"Ich würde sehr gerne mal dabei sein."
Harry lächelte wieder.
"Wir dürfen nur nicht zu früh da sein."
Louis lachte einmal auf und warf Harry einen schnellen Seitenblick zu.
"Und warum? Behindern wir dann auch den Verkehr?"
"In einem Wohnhaus? Wie soll das denn gehen?"
Der Ältere biss sich auf die Wange, um nicht zu lachen.
"Warum dürfen wir denn nicht zu früh kommen?", fragte er deshalb einfach und hoffte, dass die Bilder von fahrenden Autos in einem Treppenhaus aus seinem Kopf verschwanden.
"Weil sie viel Sex haben."
Woah!
Fast hätte der Chirurg einen Auffahrunfall verursacht.
"Was?"
"Sie haben viel Sex."
Ja, das hatte Louis schon verstanden.
"Hast du sie dabei gesehen?"
Harry verzog angeekelt das Gesicht und nickte.
"Zu oft."
Okay, Louis hatte Fragen. Viele Fragen.
"Warum machen sie dir denn die Tür auf, wenn sie Sex haben?"
"Ich mache die Tür auf. Ich drücke die Klingel nicht."
Ah. Louis verstand.
"Du hast einen eigenen Schlüssel?"
"Natürlich. Wie soll ich denn sonst die Tür aufbekommen?"
Natürlich.
Der Chirurg für über eine Kreuzung und sah dann schon das Krankenhaus in der Ferne.
"Hast du auch Sex?"
Louis zuckte zusammen und sah Harry einen kurzen Moment an.
Diese direkte Art war neu für ihn. Die anderen im Krankenhaus mochten sich daran vielleicht gewöhnt haben, aber Louis war immer wieder aufs Neue baff.
"Äh... manchmal."
"Also hast du einen Partner", schlussfolgerte Harry und beobachtete den Verkehr mit wachsamem Blick. Louis fuhr nicht sehr sicher, wie der Arzt feststellte.
"Ich bin Single", sagte der Ältere und fuhr um eine Kurve.
"Und mit wem hast du dann Sex?"
Himmel!
Beinahe hätte Louis die alte Oma über den Haufen gefahren.
"Öhm... mit Leuten?"
Harrys Stirn zog sich in Falten und er schien nachzudenken.
"Man kann auch Sex haben, ohne in einer Beziehung zu sein", erklärte Louis lieber mal und beobachtete, wie Harrys Furchen auf der Stirn noch tiefer wurden.
"Und du lässt dir dann vorher immer die Krankenakte zeigen?"
"Warum das denn in aller Welt?"
"Beim Sex ist man nackt und tauscht durch Körperflüssigkeiten Bakterien aus. Wenn man mit einem fremden Menschen Sex hat, dann weiß man nicht, ob der andere vielleicht krank ist."
Ja. Das wusste Louis doch, meine Güte.
"Dafür gibt es doch Kondome."
"Die Schützen aber nicht vor Streptokokken², Pilzen oder andere Erkrankungen, die man zum Beispiel beim Küssen bekommen kann."
So wie Harry das sagte, war Sex irgendwie nicht mehr so spaßig, wie Louis es in Erinnerung hatte.
"Und du machst das? Die Krankenakte anfordern?"
Er biss sich wieder auf die Wange. Die Vorstellung war schon irgendwie lustig.
"Ich habe keinen Sex."
Nun war Louis überrascht und als sie auf dem Parkplatz des Krankenhauses ankamen, sah er seinen Kollegen neugierig an.
"Gar nicht?"
Energisch schüttelte Harry seinen Kopf.
"Beim Sex hat man Körperkontakt und Körperkontakt führt zur Übertragung von Keimen."
"Das heißt, dass du noch Jungfrau bist?"
"Wassermann."
Wieder ein Wangenbiss.
Wassermann.
Klar.
"Das meinte ich eigentlich nicht. Ich meinte... hattest du... also... du hattest noch nie Sex?"
Energisch schüttelte Harry seinen Kopf und öffnete dann die Autotür.
"Nein."

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¹ Milzruptur - Bei der Milzruptur reißen sowohl die Kapsel als auch das Gewebe der Milz ein und es kommt zu Einblutungen in den Bauchraum. Die Symptome richten sich danach, wie hoch der Blutverlust ist. Folgende Beschwerden können auftreten: Leichte bis starke Schmerzen, vor allem ein Druckschmerz im linken Oberbauch.

² Streptokokken - Streptokokken sind grampositive Bakterien, die typischerweise das Schleimhautmikrobiom des Menschen besiedeln und häufig keinen Krankheitswert haben. Sie können jedoch auch Infektionen unterschiedlicher Schweregrade auslösen, zu denen unter anderem Tonsillitis und Pharyngitis, Weichteil- und Wundinfektionen, Endokarditis und Sepsis zählen. Außerdem können im Anschluss unterschiedliche Folgeerkrankungen wie das akute rheumatische Fieber auftreten

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