18. Der pink-blaue Storch

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London schlief wohl nie.

Das war auch Louis klar geworden, als er pünktlich wie bestellt im Klinikum eintraf, wo wie beinahe immer ein reges Treiben herrschte.
Zuerst fiel ihm Niall auf, der in der offenen Tür eines Patienten stand, die Klinke in der Hand. „Ich gebe dir doch um fünf Uhr morgens keinen Einlauf!", rief er dem Mann entnervt zu. „Wenn du den so dringend brauchst, mach ihn dir doch selbst!"

Louis zog irritiert die Augenbrauen nach oben und fragte sich wie so oft, wie Niall es fertig brachte, keine Blutdrucksenker zu brauchen.
Als der Krankenpfleger ihn schließlich erblickte, hellte sich sein Gesichtsausdruck allerdings augenblicklich auf. „Louis", flötete er, „Du bist bestimmt auf der Suche nach Harry. Der sitzt im Aufenthaltsraum. Du weißt schon, keine Bakterien und sonstige Krankheitserreger."

Ein Seufzen drängte sich aus Louis' Brust, als er daran dachte, dass er eine Autofahrt und einen Flug nach Manchester mit seinem autistischen Kollegen vor sich hatte. Gestern hatte er noch sein Auto geputzt, um einem Nervenzusammenbruch vorzubeugen.

„Ist Liam nicht da?", fragte er Niall, der nur die Schultern zuckte.
„Der hat heute frei", rollte er die Augen. „Und da ihr beide auch nicht da seid, kann ich mir die Kugel geben. Bei den anderen Pfeifen muss man doch Angst haben, dass sie anstatt dem Blinddarm versehentlich die Milz entfernen."

Der Kommentar seines Kollegen ließ Louis kurz auflachen. „So schlimm wird es schon nicht sein."

„Das sagst du jetzt", antwortete Niall, „Ich werde dir zwei Mal täglich eine Liste mit Todesfällen zukommen lassen."

Louis kicherte leise, bevor er sich auf den Weg zu Harry machte. Ja, der Humor in der Notaufnahme war gewöhnungsbedürftig - vor allem, wenn man mit Niall zusammenarbeitete. Sein Geduldsfaden war nicht gerade der längste.

Als der Arzt den Aufenthaltsraum betrat, leerte Harry gerade den letzten Rest seiner Kaffeetasse und blickte auf den sich langsam erhellenden Nachthimmel Londons.

„Guten Morgen", sagte Louis mit einem fröhlichen Unterton. Harry allerdings zuckte zusammen. Er hatte ihn gar nicht kommen hören.
„Meine Güte, Louis", kam es ärgerlich zurück. „Musst du dich immer so anschleichen?"

„Tut mir leid", antwortete er, „Können wir los? Ich habe mein Auto auf dem Parkplatz für eilige Geburten stehen lassen."

„Den mit dem pink-blauen Storch?"

„Ja."

Harry's Augen weiteten sich, und er strich sich eine Strähne der perfekt sitzenden, braunen Locken aus dem Gesicht. „Das ist doch jetzt nicht dein Ernst."

Louis zog die Schultern an und fragte sich, ob er mit dieser Reaktion nicht eigentlich hätte rechnen müssen. „Das war der einzige, der in der Nähe der Notaufnahme noch frei war..."

Harry verdrehte entnervt die Augen. „Ich hoffe für dich, dass mich niemand sieht, wie ich auf einem Parkplatz für werdende Väter in dein Auto steige."

Obwohl der Gesichtsausdruck seines Kollegen todernst war, drängte sich ein amüsiertes Lachen aus Louis' Brust.
Harry starrte ihn nur wütend an. „Das ist nicht witzig."

„Tut mir leid", wiederholte Louis, doch seine Schultern bebten noch immer verdächtig, als er versuchte, seine Belustigung zu unterdrücken.

Als die beiden Männer sich schließlich auf den Weg zu Louis' Auto machten, liefen sie noch einmal an Niall vorbei, der gerade in seinem Rechner nach einer Patientenakte suchte. Als er seine beiden Kollegen erblickte, stand er kurz auf. „Na, seid ihr soweit?"
„Louis hat auf dem Geburtenparkplatz geparkt", petzte Harry, und als auch Niall zu lachen anfing, verdunkelte sein Gesichtsausdruck sich weiter.

I don't think soWo Geschichten leben. Entdecke jetzt