I don't think so

12 - Ich habe nur nachgedacht.

"Sag mal, Harry, bist du nervös?", fragte Niall, als er am Montag seinen besten Freund für die Arbeit abholte.
Der Lockenkopf wippte schon die ganze Zeit mit seinem Bein und knibbelte an seinem Nagelbett herum. Eigentlich ein eindeutiges Zeichen für Nervosität.
"Ich? Nein."
Niall schnaubte. War klar.
"Ich fand es übrigens toll, dass du Louis eingeladen hast. Ich glaube, er hatte viel Spaß."
"Ja, hatte er", kam es von Harry und das Wippen seines Beins wurde stärker.
"Wird er jetzt jeden Freitag dabei sein?"
Der Arzt neigte seinen Kopf und sah Niall an. Als aber kein Wort über seine Lippen kam, musste der Krankenpfleger leise lachen.
"Noch jemand da?"
Gedankenverloren zuckte Harry zusammen und sah dann doch lieber wieder aus der Frontscheibe.
"Ich habe ihn nicht gefragt und ich glaube nicht, dass Louis sich selbst jeden Freitag einladen wird. Er wirkt nicht unhöflich."
Niall schmunzelte.
"Möchtest du denn, dass er jeden Freitag dabei ist? Für Liam und mich wäre das kein Problem. Wir mögen Louis und finden ihn sehr nett."
Schnell nickte Harry.
"Ja, er ist sehr nett."
"Und?"
Fragend sah Harry seinen besten Freund wieder an und nun lachte Niall tatsächlich lauter.
"Meine Güte, wo bist du heute nur mit deinen Gedanken? Frag Louis einfach, Haz."

Als sie im Krankenhaus ankamen, war Louis gerade dabei, seinen Kittel anzuziehen, als Harry ebenfalls in den Personalraum kam.
"Oh, Hallo Harry", begrüßte der Arzt seinen Kollegen und bekam ein zaghaftes Lächeln des Lockenkopfes.
"Du kannst ab jetzt jeden Freitag mitkommen. Liam und Niall sind damit einverstanden."
Louis sah etwas überrascht aus. Keine Begrüßung, kein Smalltalk - Harry kam gleich zum Punkt.
"Bist du damit denn auch einverstanden?"
Sofort nickte Harry, wobei seine Locken wild umher wippten.
"Ja. Liam und Niall mögen dich."
Louis lachte.
"Und du?"
Da schlich sich doch tatsächlich ein kleiner Rotschimmer auf Harrys Wangen.
"Du bist nett und meine Freunde mögen dich. Du bist unkompliziert und passt gut in unsere Gruppe. Du bist aufgenommen."
Grinsend schloss Louis seinen Spind und sah Harry an, welcher jedoch zwanghaft seine Schuhe inspizierte.
"Dann bin ich sehr gerne freitags dabei."

"Ich fasse es nicht", kam es in der Pause fassungslos von Zayn, als dieser neben Louis saß und sie gemeinsam zu Mittag aßen.
"Er hat dich tatsächlich eingeladen? Er selbst?"
Louis nickte und er kam nicht umher, dass sich seine Brust ein bisschen mit Stolz füllte.
"Und heute Morgen hat er mich gefragt, ob ich jeden Freitag dabei sein möchte. Ich bin aufgenommen, hat er gemeint."
Zayns Kinnlade krachte beinahe auf die Tischplatte.
"Wie bitte?"
Der Arzt nickte grinsend.
"Ich arbeite seit sieben Jahren hier und wurde noch nie eingeladen. Und aufgenommen wurde ich auch nicht."
Noch immer grinsend tätschelte Louis die Schulter des Pathologen.
"Du bist halt nicht so cool wie ich."
"Anscheinend."
Zayn war beleidigt. Doch das störte Louis herzlich wenig.

Während Louis gemeinsam mit Harry im OP stand, merkte er die Blicke deutlich, die ihm der Lockenkopf zuwarf.
Sie hatten eine einfache Operation. Eine Fraktur1 des Handgelenks, weil das junge Mädchen mit dem Fahrrad gefallen war. Sie lag in Teilnarkose2 und quatschte dabei fröhlich mit dem Pfleger, welcher anscheinend ein großer Taylor Swift Fan war.
Immer wieder sah Louis zu seinem Kollegen, doch auch wenn dieser ihn hin und wieder einen prüfenden Blick zuwarf, konnte er anscheinend gleichzeitig konzentriert die Operation mitverfolgen.
Als sie dann nach einer guten Stunde endlich fertig waren, fing der Ältere seinen Kollegen im Gang ab.
"Alles okay?"
"Ja."
Innerlich musste Louis über diese Antwort lachen.
Äußerlich jedoch riss er sich zusammen.
"Wieso hast du mich die ganze Zeit angesehen?"
Wollte Harry überprüfen, ob Louis einen Fehler machte? Suchte er speziell danach?
"Ich habe nur nachgedacht."
"Und worüber?"
Harry biss sich auf seine Unterlippe und begann wieder mit seinen Fingern zu knibbeln. Louis hatte diese Angewohnheit schon des Öfteren beobachtet.
Immer dann, wenn er glaubte, dass Harry nervös war.
"Ich bin noch dabei herauszufinden, ob du auf Männer stehst, oder auf Frauen."
Na, da klappte dem Chirurgen aber wirklich der Mund auf.
"Das scheint dich aber wirklich sehr zu interessieren, oder?"
So penetrant wurde er wegen seiner Sexualität noch nie genervt. Wobei nerven hier nicht das richtige Wort ist. Harry nervte ihn damit nicht. Es fiel nur auf, dass Harry sich anscheinend damit sehr viel beschäftigte.
Der Lockenkopf hingegen zuckte mit den Schultern und warf einen beiläufigen Blick auf sein Klemmbrett.
Gleich würde er eine Gipsschiene abnehmen müssen.
"Ich möchte es einfach nur gerne wissen", gestand er dann und auf diese ehrliche Aussage konnte Louis nun wirklich nicht mehr herumreiten.
Er hatte Erbamen und sah Harry mit einem sanften Lächeln an, wohl wissend, dass der Lockenkopf eh auf seine Füße starrte.
"Im Grunde ist mir das Geschlecht meines Partners egal. Ich fühle mich zu Frauen, als auch zu Männern hingezogen. Aber wenn du mich fragen würdest, was für mich den größeren Reiz hat, dann würde ich definitiv mit Männern antworten."
Der junge Arzt hob seinen Kopf und sah Louis an.
Direkt in die Augen.
"Danke für deine ehrliche Antwort."
Und dann drehte er sich um und ging einfach davon.
Na sowas auch.

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1 Ein Bruch (Fraktur) ist ein Anriss oder Bruch eines Knochens. Die meisten Brüche (Frakturen) werden durch Gewaltanwendung an einem Knochen verursacht. Frakturen sind in der Regel auf Verletzungen oder Überbeanspruchung zurückzuführen.

2 Bei einer Teilnarkose, der sogenannten Regionalanästhesie, betäuben wir nur die Bereiche des Körpers, die operiert oder behandelt werden. Die Patient:innen behalten ihr Bewusstsein, empfinden aber an den betäubten Stellen keine Schmerzen.