Kapitel 1

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Oberon
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Als Oberon die belebte Hauptstadt Argentum auf seinem treuen Ross und mit dem wölfischen Begleiter betrat, war die Sonne gerade dabei, unterzugehen. Der Himmel hinter ihm verdunkelte sich allmählich, die ersten Sterne waren bereits aufgegangen, während im Westen noch ein Rest der wärmenden Strahlen zu sehen war. Dort, wo der Himmel die Erde küsste, wo blau in violett und schließlich in orange und gelb überging und die Sonne verschluckte – und mit ihr den Tag.

Auf den Straßen Argentums tummelten sich Menschen in bunten Gewändern. Sie lachten und redeten, entzündeten die Lampen, die den Weg säumten und vertrieben damit die aufkommende Dunkelheit. Doch als sie Oberon auf seinen Rappen Atheon erblickten, wie er voranschritt, ohne ihnen viel Beachtung zu schenken, gefolgt von dem riesigen, weißen Wolf Zephyra, machten sie Platz oder verschwanden gänzlich in ihren Häusern.

Unbeirrt davon, jedoch erfreut darüber, dass man ihm Platz gemacht hatte, setzte Oberon einfach seinen Weg fort. Vorbei an den kleinen Wohnhäusern, weiter ins Zentrum und auf der Suche nach einer Bleibe für die Nacht. Der kalte, herbstliche Wind trug den Geruch nach Essen zu ihm. Die Düfte stiegen Oberon in die Nase und erinnerten ihn ein ums andere Mal, wie lange seine letzte Mahlzeit her gewesen war.

Er umklammerte die Zügel in seinen Händen noch fester und versuchte, die Gaststätten und die verführerischen Gerüche, die sie zu Tage brachten, zu ignorieren. Genauso wie seinen Magen, der vor Hunger rebellierte und wie ein Bär zu knurren schien. Oberon schob seine Maske, die die untere Hälfte seines Gesichts bedeckte, hinunter und griff nach dem ledernen Trinkschlauch, den er bei sich trug. Um seinen Hunger zumindest für ein paar Minuten zu besänftigen, nahm er einen kräftigen Schluck daraus und füllte die Leere in seinem Magen. Das Wasser schmeckte bereits abgestanden, gar muffig.

Unzufrieden darüber, verzog er das Gesicht, trank auch noch den kleinen Rest aus und schob anschließend die Maske wieder über die Nase. Es war nicht so, als fürchtete er, jemand würde ihn hier erkennen. Vielmehr war es eine Angewohnheit, die ihn schon seit so vielen Jahrzehnten begleitete, dass es eine Selbstverständlichkeit für ihn war. Es hatte ohnehin keinen Sinn, sich zu verstecken. Die Menschen hier sahen, dass er nicht von hier war – dass er nicht einmal einer von ihnen war.

Gerade deshalb sahen sie ihm nach, er konnte ihre Blicke auf sich spüren, wie sie ihn anstarrten, ihm folgten. Von interessiert, über ängstlich bis hin zu misstrauisch. Allein seine braune Haut verriet, dass er nicht von hier war. Nur ein Fremder auf der Durchreise. Jedoch wusste er, dass es die weißen Haare und spitzen Ohren waren, die ihn als das enttarnten, was er war: Ein Fae.

Für die meisten vermutlich nur ein Geschöpf aus Geschichten und Erzählungen. Eine Schreckensgestalt mit Hörnern und Klauen, die den dunklen Kontinent bewohnte. Unsterblich und mächtig.
Oberon hätte unter seiner Maske beinahe geschmunzelt. Nicht alles stimmte, was sich die Menschen erzählten. Er war alles, nur nicht unsterblich. Sein Leben war lediglich länger als das dieser kurzlebigen Wesen, die ohne einen Funken Magie auf die Welt kamen.

Oberon verachtete sie nicht dafür, was oder wer sie waren. Manche von ihnen waren durchaus interessant und begabt. Doch meistens waren sie ihm gleichgültig. Ehe er sich versah, starben sie und mit ihnen die Erfahrungen, die sie gesammelt hatten. Die Menschen schwanden aus ihren Leben und hinterließen nichts, als ein paar Erinnerungen und Geschichten. Verzerrt und verändert durch den Zahn der Zeit.

Die Sonne war bereits untergegangen und über ihm schien der Mond in seiner vollen Pracht. Es war Zeit, eine anständige Bleibe zu suchen. Oberon blickte sich um und entdeckte eine Frau in auffälliger Kleidung, die versuchte, vorbeigehende Männer zu sich zu locken.

Ein hübsches, junges Ding mit üppiger Oberweite, gehüllt in ein enges Gewand, das mehr zeigte, als sich ziemte. Es war klar, dass sie eine Dirne war und das Gebäude hinter ihr, mit dem einladenden und hell leuchtenden Eingang, verziert mit Lampions, musste ein Freudenhaus sein.

Er steuerte darauf zu und schwang sich vom Pferd, das er die letzten Meter neben sich führte. Ihm war gar nicht aufgefallen, dass er im Freudenviertel gelandet war, doch erklärte es das rege Treiben und die vielen Männer auf den Straßen. Musik drang an seine Ohren, die er zuvor nicht wahrgenommen hatte. Eine leise, süße Melodie, die versuchte, ihn zu locken – und der Duft nach Blumen.

Oberon blieb vor der Dirne stehen, warf einen langen Schatten über sie und ließ das Mädchen sogleich aufblicken. Ihre Augen weiteten sich. Vor Angst, vor Schreck. Er war sich nicht sicher. Jedoch wunderte es ihn nicht, er überragte sie um ein Vielfaches, mit seinen fast zwei Meter Körpergröße. Dennoch zwang sie sich zu einem Lächeln.

»Willkommen, mein Herr«, sagte sie in einem lieblichen Singsang, der ihren Gesichtsausdruck nicht widerspiegelte. »Mir scheint, als hätten Sie eine lange Reise hinter sich.« Er nickte nur, bestätigte damit ihre Aussage. »Dann sind Sie herzlich willkommen. Unsere Mädchen werden Sie all die Strapazen vergessen lassen, das versichere ich Ihnen.«

Sein Blick glitt zum Schild, auf dem der Name des Freudenhauses stand. »Zum Scharlachroten Schleier«, konnte er entziffern. Als er wieder zu ihr schaute, winkte sie einen jungen Mann heran. Anders als sie war er schlicht gekleidet und unauffällig. Die beiden wechselten ein paar Worte, dank derer Oberon bereits ahnte, dass es ein Stallbursche sein musste.

Man nahm ihm das Pferd ab, versicherte ihm, dass es in besten Händen war und ließ ihn eintreten. Seine wölfische Begleiterin trottete ihm hinterher, auch wenn die Dirne alles andere als erfreut über die Tatsache zu sein schien. Nachdem Zephyra sie angeknurrt hatte, versuchte sie ihren Gast nicht einmal davon zu überzeugen, dass der Wolf draußen bleiben sollte.

Stattdessen führte sie den großen Krieger hinein in die Wärme. Dort, wo die Musik so lieblich spielte und eine zarte Stimme ihr Lied sang. Der wohlige Klang schien selbst sein zu Eis erstarrtes Herz zu erwärmen, lockte ihn weiter hinein. Tiefer in das Freudenhaus, wo sich die hübschen und jungen Frauen tummelten.

Er wurde zum Empfang gebracht und bevor er sich versah, war die Dirne verschwunden, um ihren Posten wieder einzunehmen. Ihren Platz hatte eine alte Frau angenommen. Eine aufwendige Frisur zierte ihren Kopf. Das Gewand, nicht so gewagt wie das der jungen Frauen, bunt und verziert. Teuerste Seide mit edlen Mustern und Perlen.

Die Wirtin begrüßte ihn mit einem zufriedenen Lächeln. Ihr Blick war über seinen Körper, seine Kleidung gelitten. Dem Wolf an seiner Seite hatte die alte Frau keine Beachtung geschenkt.
»Willkommen, edler Herr«, sagte sie. Ihre Stimme, trotz ihres Alters, wie süßer und flüssiger Honig. »Was kann ich Ihnen anbieten, Reisender?«

»Ein Bett, eine Mahlzeit und ein Mädchen.«
Sie sah verzückt aus. Ihr Blick hatte etwas Gieriges und Oberon wusste auch genau wieso. Die alte Dirne ahnte, was sich in seinem Geldbeutel befand. »Aber zuerst die Mahlzeit«, sagte er, denn sein Magen knurrte und er fürchtete, man würde es hören können.
»Natürlich, natürlich. Ich lasse das Zimmer vorbereiten, während Sie speisen. Sollte Ihnen eines meiner Mädchen gefallen, scheuen Sie sich nicht, es mir mitzuteilen.«

Die Frauenwirtin rief eines ihrer Mädchen zu sich, das Oberon fortbrachte. Ihr Blick huschte immer wieder zu ihm hinauf, doch er bedachte sie keines Blickes. Daran änderte sich auch nichts, als sie ihre Oberweite mehr zur Schau stellte, als ohnehin schon. Seine Augen wanderten desinteressiert an ihr vorbei. In diesem Augenblick interessierte ihn vielmehr eine warme Mahlzeit und weniger das, was sie als Verführungskunst verkaufen wollte.

 In diesem Augenblick interessierte ihn vielmehr eine warme Mahlzeit und weniger das, was sie als Verführungskunst verkaufen wollte

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