Kapitel 2

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Ofelia
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Ofelias Körper bewegte sich im Rhythmus der Musik. Ihr Schmuck, die Fuß- und Armreifen an ihren Gelenken, gaben leise und sanfte Töne von sich, während sie geschmeidig über die Bühne tänzelte, um die Gäste zu unterhalten.

Alle Augen waren auf sie gerichtet, auf ihren Körper, der in fließenden Bewegungen ihr Kunstwerk vollführte. Ihr Tanz fesselte die Blicke der Männer und ihr Gesang, lieblich und betörend, schmeichelte ihren Ohren. Sie wusste genau, was sie tun musste, um ihnen zu gefallen.

Ihre Schritte waren eingeübt, jahrelanges Training, das sich auszahlte. Eine Choreographie, so leidenschaftlich wie das Feuer, das in ihr brannte und ein Lied in der Sprache ihres Volkes, ihrer Familie, die man ihr genommen hatte.

Ofelia vollführte eine Drehung, wandte den Zuschauern ihren Rücken zu und streckte die Arme in die Höhe, nur sie in einer fließenden, wellenförmigen Bewegung langsam wieder sinken zu lassen. Ihr Blick wanderte zu jemanden, der hinter der Bühne stand, versteckt hinter den roten Vorhängen aus samtigen Stoffen. Sie schenkte ihm ein Lächeln, das er erwiderte, bevor sie sich wieder umdrehte.

Der Rock, der einen hohen Schlitz hatte und ihre langen, schlanken Beine zeigte, bauschte sich für einen Moment auf, enthüllte noch mehr Haut, ehe Ofelia sich noch einmal in die andere Richtung drehte. Dabei fiel ihr Blick auf einen Neuankömmling in Begleitung eines weißen Wolfes.

Er schaute zu ihr und für den winzigen Bruchteil einer Sekunde begegneten seine Augen den ihren. Die Zeit reichte ihr nicht, um ihn länger anzusehen, um ihm mehr Aufmerksamkeit zu widmen. Doch sein Blick, seine eisblauen Iriden hatten sich in Ofelias Gedächtnis gebrannt, sie wollte noch einmal hineinblicken.

Und obwohl ihre Füße vom Tanzen schmerzte, ihre nackten Fußballen beinahe unerträglich brannten, hörte sie nicht auf. Trotz Erschöpfung fuhr sie fort, drehte sich erneut zum Publikum und erblickte ihn, wie er sich ihr gegenüber setzte. Mitten im Raum, an einem der noch freien Tische. Wieder trafen sich ihre Blicke, wieder viel zu kurz.

Noch eine weitere Drehung. Eine weitere Strophe. Ihre Stimme würde bald versagen, sie spürte das Kratzen ihres Halses. Den Drang, etwas zu trinken. Doch in diesem Moment war der Fremde viel interessanter. Sein Antlitz stach zwischen den vielen piekfeinen Herren heraus.
Er hatte nicht einmal die schwere Rüstung abgenommen, geschweige denn die Maske, die Ofelia die Sicht auf sein Gesicht versagte.

Wie mochte er aussehen? Alles, was sie sich in diesem Moment wünschte, war, dass er sie abnahm, das Verborgene enthüllte. Stattdessen lehnte er seinen Kopf in die behandschuhte Hand, neigte ihn ein wenig zur Seite, ohne seine eiskalten Augen von ihr zu nehmen. Sie folgten Ofelia, jeder ihrer Bewegungen und das mit großem Interesse.

Zu gerne wäre sie von der Bühne gegangen, direkt zu ihm, nur um diese verfluchte Maske von seinem Gesicht zu reißen und ihn zu betrachten. Sie malte sich aus, wie seine Hände, die nach wie vor in diesen Handschuhen, die wie Klauen aussahen, steckten, sie berührten. Ein Schauer lief ihr den Rücken hinab und breitete sich auf ihrem gesamten Körper aus. Warum zog es sie zu ihm, wo sie Männer doch für all das hasste, was sie ihr angetan hatten? Für alles, was sie ihr genommen hatten. Dafür, wie sie Ofelia beschmutzt hatten.

Er war hier, also war er nicht besser als die anderen Männer, die das Freudenhaus besuchten. Auch wenn er eine Rüstung trug, so war er kein Ritter. Es war sicher nicht der Held aus ihren Visionen, der sie und ihren Bruder aus diesem Elend befreien würde. Ofelias Hoffnung, die kurz aufgekeimt war, schwand so schnell, wie sie gekommen war. Sie wusste nicht einmal, ob diese Visionen echt waren oder nur Träume, die ihr das zeigten, was sie sich wünschte.

Freiheit. Den Weg zurück in ihre Heimat, die weder sie noch ihr Bruder jemals kennengelernt hatten. Weit weg von den Menschen, weit weg von all dem Leid, das sie ihnen gebracht hatten. Raus aus der Sklaverei und Prostitution. Wie gerne würde sie das Meer sehen, von dem man ihr erzählt hatte. Die Berge, weit im Norden des Landes und die unendlichen Wälder, die sich dahinter erstreckten. Manchmal träumte sie davon. Versuchte sich vorzustellen, wie die Welt außerhalb dieser verfluchten Stadt aussah. Doch je älter sie wurde, desto seltener wurden die Träume, die für sie eine Flucht aus der Realität waren.

Ofelia schloss die Augen, ihre Schritte wurden langsamer, bis sie schließlich zum Stehen kam. Es gab keinen Applaus für sie, nur leises Gemurmel und Getuschel. Dennoch lächelte sie zufrieden, denn als sie ihre Lider wieder öffnete, erkannte sie die Zufriedenheit in den Gesichtern der Männer. Einer von ihnen würde sie sicherlich wieder besuchen kommen und die Nacht an ihrer Seite verbringen wollen. Ein paar der Männer erkannte sie, waren sie oft schon hier gewesen.

Ehemänner, Witwer, Generäle …
Vor allem gut betuchte, in teuerste Seide gekleidete, mit dicken Bäuchen und ebenso dicken Geldbörsen. Doch geizig waren sie. Selten hatte einer von ihnen auch nur eine Kupfermünze für die Dirnen übrig, alles floss in die Hände der Wirtin, die sie bis auf die Knochen ausbeutete. Die Dirnen, die Frauen und Männer, gänzlich ohne Rechte. Von Sklavenhändlern aus aller Welt hergebracht oder von den eigenen Vätern verkauft. Dazu verdammt, ihre Körper und Seelen zu verkaufen.

Sie atmete durch, knickste höflich zum Abschied, bevor sie hinter die Bühne verschwand, wo sie ihren geliebten Bruder vermutete. Doch von ihm keine Spur. Der Platz, an dem er gestanden hatte, längst verlassen. Ofelia seufzte nur und machte Platz für die nächste Vorstellung. Sie musste sich erst einmal um ihre schmerzenden Füße und die darunter entstandenen Blasen kümmern. Jeder Schritt schmerzte, doch war sie es längst gewohnt und ließ sich nichts davon anmerken.

Jetzt würde sie noch ein schnelles Bad nehmen, um sich frisch zu machen und anschließend eine Kleinigkeit essen, bevor sie keine Möglichkeit dazu bekommen würde. Als sie schnell aus dem Raum schlüpfte, sah sie ein paar der Dirnen tuscheln und in den Saal blicken. Sie konnte nur fetzen davon verstehen, was gesprochen wurde, doch wusste sie genau, dass es sich um den Fremden drehte. Die Attraktion des Tages – oder dieses Abends.

Ofelia verharrte einen Moment an Ort und Stelle, als eine bekannte Stimme sie aus der Trance zurückholte.
»Kind, wo hast du die ganze Zeit gesteckt?« Sogleich drehte sie der Wirtin den Kopf zu, die verärgert zu ihr blickte. Ihre grauen Augen funkelten sie an – und obwohl die Frauenwirtin kleiner war und hinaufsehen musste, hatte Ofelia immer das Gefühl, diese Frau würde auf sie hinabsehen. Das tat sie gewissermaßen auch. Für die Wirtin waren Ofelia und ihr Bruder nur so viel wert, wie sie ihr einbrachten. Oder weniger.

»I-Ich habe die Gäste unterhalten«, antwortete sie schnell. »Und dabei die Zeit vergessen, Herrin. Verzeiht.« Der Ärger wich nicht aus dem Gesicht der alten Frau und Ofelia wusste, dass es noch ein Nachspiel haben würde. Welches, das wusste sie noch nicht, doch sicherlich würde sie es bald erfahren. Oftmals waren es Schläge auf ihre nackten Füße, damit sie nicht mehr tanzen konnte und lernte, sich an Regeln zu halten. Dann musste sie sich ihr tägliches Essen anders verdienen.

»Na los, geh und mach dich fertig. Wir erwarten heute ein volles Haus.« Die Wirtin scheuchte sie hinfort und ging selbst.
Ofelia nickte, auch wenn die alte Frau es nicht sehen konnte, und sagte: »Natürlich, Herrin.« Danach wandte sie sich ab und eilte davon.

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Blut & SeideWo Geschichten leben. Entdecke jetzt