Indias Unsicherheit

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Nach dem Kuss hatte India das Gefühl, dass sich alles verändert hatte – und doch war nichts klarer geworden. Die Tage danach verbrachte sie in einem Zustand der Verwirrung, fast so, als würde sie neben ihrem eigenen Leben stehen und beobachten, wie es ablief. Sie hatte Jamal nicht wieder gesehen, und obwohl sie ab und zu Nachrichten austauschten, spürte sie, dass sie Zeit brauchte. Zeit, um herauszufinden, was sie wirklich fühlte und was sie wollte.

India war immer jemand gewesen, der die Kontrolle über sein Leben behalten wollte. Doch seit Jamal in ihr Leben getreten war, fühlte sie sich, als würde sie die Kontrolle verlieren. Es war nicht nur der Kuss – es war die öffentliche Aufmerksamkeit, die ständige Unsicherheit darüber, wie ihre Beziehung sich entwickeln würde. Und es war das Wissen, dass sie in eine Welt gezogen wurde, in die sie nie hineinpassen wollte.

Es war ein Samstagabend, und India saß alleine in ihrer Wohnung, eine Tasse Tee in der Hand, während sie durch die sozialen Medien scrollte. Sie versuchte, sich abzulenken, doch alles, was sie sah, erinnerte sie an die Dinge, vor denen sie sich fürchtete. Überall waren Geschichten über Berühmtheiten, über ihr Privatleben, ihre Beziehungen. India fragte sich, wie viele von ihnen genau das durchmachten, was sie gerade fühlte – das Gefühl, dass die Kontrolle über das eigene Leben nicht mehr in ihren Händen lag.

Als sie durch ihren Feed scrollte, blieb ihr Blick an einem neuen Artikel hängen. Es war einer dieser Klatsch- und Tratsch-Seiten, die sie normalerweise ignorierte, aber diesmal prangte Jamals Gesicht auf der Titelseite. Die Überschrift lautete:

„Jamal M. erneut mit mysteriöser Frau gesichtet – ist es ernst?"

India spürte, wie ihr Magen sich zusammenzog. Sie wusste sofort, dass sie die „mysteriöse Frau" war. Der Artikel zeigte ein weiteres Foto von ihr und Jamal – dieses Mal aus dem Café, in dem sie sich kürzlich getroffen hatten. Das Bild war von außen durch das Fenster aufgenommen worden, ein verschwommenes Abbild von ihrem Gespräch, in dem sie sich gegenüber saßen. Auch wenn der Artikel nichts Neues enthielt, die Schlagzeilen und Spekulationen reichten aus, um sie aus dem Gleichgewicht zu bringen.

Wütend und verletzt legte sie das Handy beiseite und starrte auf den Boden. Es war nicht fair. Sie hatte nie um diese Aufmerksamkeit gebeten, und doch schien sie nun fest in der Öffentlichkeit verankert zu sein, einfach weil sie mit Jamal Zeit verbrachte. Es fühlte sich an, als ob ihre Privatsphäre nicht mehr existierte, und sie wusste nicht, wie sie damit umgehen sollte.

Eine Nachricht von Jamal vibrierte auf ihrem Handy.

Jamal: „Ich habe den Artikel gesehen. Es tut mir so leid, India. Ich hoffe, es geht dir gut?"

India starrte auf die Nachricht und überlegte, ob sie antworten sollte. Jamal hatte nichts falsch gemacht – er hatte sie nie gedrängt, nie erwartet, dass sie sich an seine Welt anpasste. Doch die Realität dieser Welt war stärker, als sie gedacht hatte. Konnte sie wirklich in einer Beziehung zu jemandem stehen, der von der Öffentlichkeit ständig beobachtet wurde? Und schlimmer noch, konnte sie das wirklich für sich selbst ertragen?

Schließlich tippte sie eine knappe Antwort:

India: „Ich brauche Zeit."

Jamal antwortete schnell:

Jamal: „Das verstehe ich. Nimm dir die Zeit, die du brauchst. Ich bin hier, wenn du bereit bist."

India legte das Handy zur Seite und lehnte sich zurück. Sie schloss die Augen und versuchte, die wirbelnden Gedanken in ihrem Kopf zu beruhigen. Jamal gab ihr Raum, das wusste sie. Aber Raum alleine würde nicht ausreichen, um ihre Unsicherheit zu beseitigen.

Am nächsten Morgen entschied India, dass sie Abstand brauchte – nicht nur von Jamal, sondern von allem. Sie verließ die Stadt für ein paar Tage und fuhr zu ihren Eltern in ein kleines Dorf, in dem sie aufgewachsen war. Es war ein ruhiger, ländlicher Ort, weit weg von dem Trubel der Stadt und noch weiter weg von den Kameras und der Aufmerksamkeit, die Jamal ständig umgaben.

Ihre Eltern begrüßten sie mit offenen Armen, und obwohl sie keine Ahnung hatten, was India in den letzten Wochen durchgemacht hatte, spürte sie sofort, dass dies der richtige Ort war, um zur Ruhe zu kommen. Sie verbrachte ihre Tage damit, durch die Wälder zu wandern, alte Bücher zu lesen und stundenlange Gespräche mit ihrer Mutter zu führen. Es war eine Art Flucht, aber eine, die sie dringend brauchte.

„Du wirkst nachdenklich," bemerkte ihre Mutter eines Abends, als sie zusammen auf der Veranda saßen und den Sonnenuntergang beobachteten. „Irgendetwas bedrückt dich."

India zögerte, bevor sie antwortete. Sie hatte bisher vermieden, über Jamal zu sprechen, doch sie wusste, dass sie irgendwann mit jemandem darüber reden musste.

„Es gibt jemanden," begann sie vorsichtig. „Jemanden, den ich mag. Aber... es ist kompliziert."

Ihre Mutter lächelte leicht. „Das ist es doch immer, oder?"

India konnte nicht anders, als zu lachen, auch wenn es sich ein wenig traurig anfühlte. „Ja, aber diesmal ist es mehr als nur kompliziert. Er... er steht in der Öffentlichkeit. Und seit wir uns getroffen haben, fühlt es sich an, als würde mein Leben nicht mehr mir gehören."

Ihre Mutter sah sie aufmerksam an. „Er scheint dir wichtig zu sein."

„Das ist er," gab India zu. „Aber ich weiß nicht, ob ich das alles ertragen kann – die Aufmerksamkeit, die Paparazzi, die Gerüchte. Ich habe nie gewollt, dass mein Leben so ist. Ich mag mein Leben so, wie es ist – ruhig und privat."

„Es klingt, als würdest du vor einer großen Entscheidung stehen," sagte ihre Mutter nachdenklich. „Es ist nicht einfach, jemanden in dein Leben zu lassen, besonders wenn das bedeutet, dass du dein gewohntes Leben aufgeben musst. Aber die Frage ist: Ist es das wert?"

India starrte in die Ferne und dachte über die Worte ihrer Mutter nach. War Jamal es wert? War das, was sie mit ihm hatte – oder haben könnte – stark genug, um die Herausforderungen zu überstehen, die vor ihnen lagen?

„Ich weiß es nicht," flüsterte India schließlich. „Ich weiß es einfach nicht."

Die Tage auf dem Land gaben India den Raum, den sie brauchte, doch die Antworten auf ihre Fragen blieben verschwommen. Sie mochte Jamal – das war unbestreitbar. Aber ihre Angst vor der Öffentlichkeit und der ständigen Beobachtung machte es schwer, sich vorzustellen, wie ihre Beziehung jemals normal sein könnte.

Als India schließlich nach ein paar Tagen in die Stadt zurückkehrte, fühlte sie sich etwas erholter, aber nicht sicherer in ihren Entscheidungen. Sie wusste, dass sie mit Jamal sprechen musste, dass sie ihm ehrlich sagen musste, wie sie sich fühlte. Doch sie hatte noch keine Ahnung, wie dieses Gespräch verlaufen würde.

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