Ein Funken der Vergangenheit

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Es waren Monate vergangen, seit India ihr Buch veröffentlicht hatte, und sie lebte nun ein Leben, das sie sich vorher kaum hatte vorstellen können. Als erfolgreiche Autorin nahm sie an Lesungen und Buchmessen teil und arbeitete an neuen Projekten. Ihr Alltag war erfüllt von kreativen Herausforderungen, aber auch von einer tiefen Zufriedenheit, die sie lange vermisst hatte.

Dennoch gab es Momente, in denen ihre Gedanken zu Jamal zurückkehrten. Sie hatten seit ihrer Trennung keinen Kontakt gehabt, und obwohl die Erinnerungen an ihn verblassten, waren sie nicht vollständig verschwunden. Sie fragte sich manchmal, wie es ihm in Madrid ging – ob er dort die Erfüllung gefunden hatte, die er suchte, und ob er vielleicht auch manchmal an sie dachte.

Doch India hatte gelernt, diese Gedanken nicht überhand nehmen zu lassen. Sie hatte ihr eigenes Leben aufgebaut und wollte sich auf die Zukunft konzentrieren. Jamal gehörte zur Vergangenheit – zumindest redete sie sich das immer wieder ein.

Eines Abends, als India in ihrer Wohnung saß und an einem neuen Manuskript arbeitete, vibrierte plötzlich ihr Handy. Es war eine E-Mail-Benachrichtigung. Sie sah auf den Bildschirm und erstarrte.

Absender: Jamal.

Ihre Finger zitterten leicht, als sie die E-Mail öffnete. Es waren nur wenige Zeilen, aber jede einzelne davon weckte Erinnerungen, die sie tief in sich begraben hatte.

Jamal:
„Hallo India,
ich hoffe, es geht dir gut. Ich habe gerade dein Buch gelesen, und ich muss dir sagen, dass es mich tief berührt hat. Du hast es geschafft, deine Stimme zu finden, und ich bin stolz auf dich.
Madrid ist gut zu mir, aber manchmal denke ich an die Zeit, die wir zusammen hatten, und frage mich, ob wir jemals wirklich abgeschlossen haben. Vielleicht sollten wir uns mal austauschen. Nur, wenn du magst.
Liebe Grüße,
Jamal."

India las die E-Mail zweimal, als könnte sie es nicht fassen. Jamal hatte ihr Buch gelesen. Er hatte den Weg zu ihr gesucht, nach all dieser Zeit und der Distanz, die zwischen ihnen lag. Die Nachricht löste widersprüchliche Gefühle in ihr aus – Freude, Überraschung, aber auch eine leise Unsicherheit.

Sie legte das Handy für einen Moment zur Seite und atmete tief durch. Die vergangenen Monate waren voller persönlicher Erfolge gewesen, und sie war endlich an einem Punkt, an dem sie sich sicher fühlte. Aber Jamal... er war jemand, den sie nie ganz vergessen hatte. Und jetzt, da er sich meldete, wusste sie nicht, ob sie bereit war, diese Tür wieder zu öffnen.

Nach ein paar Minuten griff sie erneut nach dem Handy und begann zu tippen.

India:
„Hallo Jamal,
es freut mich sehr, von dir zu hören. Es bedeutet mir viel, dass du mein Buch gelesen hast. Ich hoffe, dass Madrid dir das gibt, wonach du gesucht hast.
Ich bin mir nicht sicher, was du mit ‚abgeschlossen' meinst. Vielleicht haben wir beide noch Fragen, die unbeantwortet geblieben sind. Aber ich weiß nicht, ob ich bereit bin, alles wieder aufzurollen.
Trotzdem – es wäre schön, mal zu hören, wie es dir geht.
Liebe Grüße,
India."

India schickte die Nachricht ab und fühlte, wie ihr Herz einen Moment lang schneller schlug. Sie hatte keine Erwartungen, aber sie wusste, dass diese Unterhaltung anders war als alles, was sie in den letzten Monaten erlebt hatte. Sie wollte sehen, wohin das führen würde – langsam, vorsichtig.

Tage vergingen, bevor Jamal antwortete. India dachte, er hätte vielleicht doch beschlossen, die Kommunikation nicht weiterzuführen, aber als sie eines Abends von einer Lesung nach Hause kam, fand sie seine Antwort in ihrem Posteingang.

Jamal:
„Hallo India,
danke, dass du mir geantwortet hast. Ich verstehe, dass du nicht alles wieder aufrollen willst. Ich wollte dich auch nicht unter Druck setzen. Ich denke nur manchmal an die Dinge, die ungesagt geblieben sind.
Madrid ist schön, aber es fühlt sich manchmal seltsam an, so weit weg zu sein. Ich habe hier viel Zeit zum Nachdenken gehabt – über meine Karriere, über das Leben, und ja, auch über uns.
Lass uns einfach mal reden, wenn du bereit bist. Kein Stress.
Alles Gute,
Jamal."

India spürte, wie sich eine seltsame Mischung aus Neugier und Unruhe in ihr breit machte. Jamal schien sich wirklich verändert zu haben. Es war nicht die impulsive Art von Nachricht, die sie früher von ihm erhalten hatte. Er gab ihr Raum – genau wie sie es sich gewünscht hatte. Aber was bedeutete das wirklich?

Sie tippte eine Antwort, während ihre Gedanken immer wieder zu den Erinnerungen an ihre gemeinsame Zeit zurückkehrten.

India:
„Hey Jamal,
ich bin mir nicht sicher, was ich zu all dem sagen soll. Es ist lange her, und wir haben beide unser Leben weitergeführt. Aber vielleicht ist es gut, dass wir zumindest offen miteinander reden können. Ich schätze den Raum, den du mir lässt.
Ich werde darüber nachdenken. Vielleicht können wir uns in den nächsten Wochen mal per Videoanruf unterhalten.
Liebe Grüße,
India."

Die Tage vergingen, und India dachte oft an die Nachrichten, die sie mit Jamal ausgetauscht hatte. Sie ließ sich Zeit, bevor sie den nächsten Schritt machte. Es war seltsam, wie vertraut und doch fremd er sich anfühlte – wie jemand, den sie einst gekannt hatte, aber der sich genauso verändert hatte wie sie selbst.

Schließlich, eines Abends, als sie alleine in ihrer Wohnung saß, beschloss sie, Jamal eine Nachricht zu schicken und einen Videoanruf zu vereinbaren. Es fühlte sich an wie ein kleiner Schritt, aber ein bedeutender – eine Möglichkeit, herauszufinden, ob es noch etwas zwischen ihnen gab, oder ob ihre Leben nun wirklich getrennte Wege gingen.

India:
„Lass uns nächste Woche telefonieren, wenn es dir passt. Ich denke, es wäre gut, einfach mal zu reden."

Jamal antwortete schnell:

Jamal:
„Das klingt gut. Ich freue mich darauf."

In der folgenden Woche war India nervös. Sie fragte sich, wie das Gespräch verlaufen würde. Sie hatten sich seit Monaten nicht gesehen oder gesprochen, und so viel hatte sich verändert. Doch als der Tag des Videoanrufs kam, setzte sie sich vor ihren Laptop und atmete tief durch. Sie wusste, dass dies der Beginn von etwas Neuem sein könnte – aber auch eine Möglichkeit, endgültig Antworten zu finden.

Als Jamals Gesicht auf dem Bildschirm erschien, lächelte er. „Hey India."

„Hey Jamal," sagte sie, und plötzlich fühlte es sich seltsam vertraut an, als ob sie nie wirklich aufgehört hätten, miteinander zu reden.

Das Gespräch begann vorsichtig, beide tasteten sich langsam aneinander heran. Sie sprachen über ihre neuen Leben, über die Veränderungen, die sie durchgemacht hatten, und darüber, wie sie gewachsen waren. Jamal erzählte von seiner Karriere in Madrid, den Herausforderungen und den Momenten des Erfolgs, während India von ihren Erfahrungen als Autorin berichtete.

Es war kein Gespräch voller alter Emotionen, sondern eines, das von Respekt und einem neuen Verständnis füreinander geprägt war. Beide wussten, dass sie sich verändert hatten – aber sie waren bereit, herauszufinden, ob sie auf einer neuen Ebene wieder zueinanderfinden könnten.

Unbekannte WegeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt