Es war einer dieser kalten Herbstabende, an denen das Flutlicht den Rasen in ein unwirkliches, fast magisches Licht tauchte. Die Fans im Stadion sangen, jubelten, klatschten, als der Ball über das Spielfeld flog. Das Spiel war intensiv, jeder Zweikampf hart umkämpft, und Lena Lattwein spürte, wie ihr Herz schneller schlug – nicht nur wegen der Anspannung des Spiels. Ihr Blick wanderte immer wieder unweigerlich zu einer Person auf dem Platz: Kathy Hendrich.
Seit Monaten hegte Lena Gefühle für Kathy, Gefühle, die sie vor allen, einschließlich sich selbst, lange Zeit verleugnet hatte. Es war nicht einfach, in einem Team zu spielen, in dem Professionalität an erster Stelle stand, und gleichzeitig dieses ständige Kribbeln im Bauch zu spüren, wenn Kathy in ihrer Nähe war. Jedes Lächeln, jeder Blick, jedes zufällige Berühren während des Trainings löste in ihr eine Flut von Emotionen aus, die sie nur schwer kontrollieren konnte. Doch Lena hatte sich entschlossen, ihre Gefühle zu verbergen. Sie konnte nicht riskieren, die Freundschaft oder die Dynamik im Team zu zerstören.
Das Spiel lief gut für sie, Wolfsburg war knapp in Führung, und Lena spürte den Druck, den Vorsprung zu verteidigen. Kathy, wie immer, spielte souverän in der Abwehr, klärte mit vollem Einsatz, gewann fast jeden Zweikampf und brachte Ruhe in die Defensive. Doch dann passierte es.
Es war eine dieser unglücklichen Szenen, die im Fußball schneller geschehen, als man reagieren kann. Ein hoher Ball wurde in den Strafraum geflankt, und Kathy sprang hoch, um ihn mit dem Kopf zu klären. In dem Moment jedoch stieß sie unglücklich mit der Stirn gegen die Schulter einer gegnerischen Spielerin. Der Aufprall war hart, und Kathy stürzte sofort zu Boden.
Lena hörte das dumpfe Geräusch des Zusammenpralls und drehte sich instinktiv um. Als sie Kathy am Boden liegen sah, stockte ihr der Atem. Sie wusste sofort, dass es ernst war. Kathy rührte sich nicht, und das medizinische Team stürmte bereits auf den Platz. Alles andere um sie herum verschwamm. Die Geräusche der Fans, die Zurufe ihrer Mitspielerinnen – es war, als wäre sie in einer Blase aus Angst und Sorge gefangen.
Lena rannte zu Kathy, obwohl sie wusste, dass sie sich eigentlich zurückhalten sollte. Ihr Herz hämmerte in ihrer Brust, als sie sich über Kathy beugte und das Blut auf ihrer Stirn sah. Eine tiefe Platzwunde, aus der dunkles Blut sickerte, zeichnete sich auf ihrer Stirn ab.
„Kathy…“, flüsterte Lena, obwohl sie wusste, dass Kathy sie wahrscheinlich nicht hören konnte. Sie kniete sich neben ihre Teamkollegin, das Adrenalin ließ ihre Hände zittern, während das medizinische Team versuchte, die Blutung zu stoppen.
Nach endlos scheinenden Minuten, in denen Lena nur hilflos zusehen konnte, wie Kathy vorsichtig auf eine Trage gehoben und aus dem Stadion gebracht wurde, war das Spiel für Lena vorbei. Zwar lief das Spiel für die anderen Spielerinnen weiter, aber Lena war mit ihren Gedanken nicht mehr auf dem Platz. Ihre Augen brannten, ihre Gedanken drehten sich nur um Kathy. Sie konnte nicht mehr weitermachen.
Als der Abpfiff ertönte und Wolfsburg den knappen Sieg errang, verspürte Lena keinen Hauch von Freude. Stattdessen überkam sie die dringende Notwendigkeit, zu Kathy zu gehen. Sie musste sicherstellen, dass es ihr gut ging, dass sie nicht alleine war. Ohne nachzudenken, packte Lena ihre Sachen zusammen, sprach kurz mit dem Trainerstab und ließ sich sofort ins Krankenhaus bringen.
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Das Krankenhaus war kühl, steril und still, ganz im Gegensatz zu dem lebhaften Stadion, das sie gerade verlassen hatte. Lena eilte durch die Flure, bis sie die richtige Tür fand. Ein tiefer Atemzug, dann klopfte sie vorsichtig an die Tür, bevor sie eintrat.
Kathy lag im Bett, ein Verband um ihren Kopf gewickelt, die Augen halb geschlossen, als Lena den Raum betrat. Sie sah erschöpft aus, aber als sie Lena erblickte, huschte ein kleines Lächeln über ihr Gesicht.
„Hey“, murmelte Kathy mit schwacher Stimme.
„Hey“, antwortete Lena leise, während sie sich dem Bett näherte und auf den Stuhl neben Kathy setzte. Ihr Herz pochte noch immer wild in ihrer Brust, aber sie versuchte, ruhig zu bleiben.
„Wie geht's dir?“, fragte Lena, obwohl die Antwort offensichtlich war.
„Es war schlimmer, als es aussah“, sagte Kathy und hob leicht die Hand, als wollte sie die Situation herunterspielen. „Nur eine Platzwunde. Die haben sie genäht. Ein paar Tage Ruhe, und ich bin wieder auf dem Platz.“
Lena atmete tief durch und lehnte sich zurück. Die Anspannung, die sie den ganzen Abend über begleitet hatte, begann langsam nachzulassen. „Das sah aber nicht nach ‚nur einer Platzwunde‘ aus“, sagte sie mit einem schwachen Lächeln, während sie Kathys Hand leicht streifte.
Für einen Moment herrschte Stille im Raum. Lenas Herz klopfte immer noch unregelmäßig, aber jetzt aus einem anderen Grund. Sie spürte Kathys Blick auf sich, und als sie endlich den Mut aufbrachte, ihr in die Augen zu sehen, merkte sie, dass Kathy sie beobachtete – mit einem Ausdruck, den Lena nicht deuten konnte.
„Du warst ziemlich schnell hier“, sagte Kathy schließlich, ihre Stimme leiser als zuvor.
Lena sah zu Boden, unsicher, wie sie antworten sollte. „Ich… ich musste einfach sicherstellen, dass es dir gut geht. Du hast mir wirklich Angst gemacht, weißt du?“
Kathy lächelte schwach. „Tut mir leid. Das war nicht meine Absicht.“
„Ich weiß“, flüsterte Lena, und plötzlich schien der Raum viel kleiner, viel intimer. Sie wollte mehr sagen, wollte die Worte herauslassen, die sie seit Monaten in sich trug, aber die Angst hielt sie zurück. Was, wenn Kathy sie nicht so sah? Was, wenn sie ihre Freundschaft aufs Spiel setzte?
„Lena…“ Kathys Stimme war plötzlich sanfter, nachdenklicher. „Es ist nett von dir, dass du gekommen bist. Ehrlich.“
„Natürlich bin ich gekommen“, antwortete Lena fast automatisch. „Du bist mir wichtig.“
Kathy hob eine Augenbraue. „Nur wichtig?“
Lena hielt den Atem an, überrascht von der Frage. Ihre Augen weiteten sich, und sie spürte, wie ihr Herz in ihrer Brust raste. Hatte Kathy das gerade ernsthaft gesagt? War das eine Andeutung? Oder interpretierte sie zu viel hinein?
Sie sah Kathy in die Augen, die jetzt wachsam und neugierig auf sie gerichtet waren. Es war, als ob Kathy genau wusste, was in Lena vorging. Und in diesem Moment, in dieser stillen, intensiven Sekunde, beschloss Lena, ehrlich zu sein.
„Nein“, flüsterte sie. „Nicht nur wichtig.“
Das Schweigen, das folgte, fühlte sich ewig an. Lenas Herzschlag war in ihren Ohren zu hören, und sie wollte schon zurückrudern, sich für ihre Worte entschuldigen, als Kathy ihre Hand nahm. Sanft, fast zärtlich.
„Ich glaube, ich verstehe“, sagte Kathy leise, ihre Augen tief in Lenas versunken. „Ich… habe da vielleicht auch was gefühlt. Schon länger.“
Lena konnte kaum glauben, was sie hörte. War das wirklich wahr? War das möglich? All die Zeit hatte sie gedacht, sie wäre allein mit ihren Gefühlen, und jetzt…
„Ich wusste nicht, wie ich es dir sagen sollte“, murmelte Lena. „Ich hatte Angst, dass es alles kaputt machen würde.“
„Nichts ist kaputt“, flüsterte Kathy. „Ganz im Gegenteil.“
Und in diesem Moment, während das sterile Licht des Krankenhauszimmers über sie schien, schien die Welt stillzustehen. Es war, als hätte sich alles um sie herum aufgelöst, und es gab nur noch sie beide. Lena spürte, wie Kathy ihre Hand fester drückte, und ohne nachzudenken, beugte sie sich leicht vor. Ihre Stirn legte sich sanft an Kathys, vorsichtig, um den Verband nicht zu berühren.
„Du hast mich heute so sehr erschreckt“, flüsterte Lena.
Kathy lächelte schwach. „Ich bin hart im Nehmen. Du wirst mich so schnell nicht los.“
Lena lachte leise, und dann, ohne weiter nachzudenken, legte sie ihre Lippen sanft auf Kathys Stirn. Es war keine große Geste, kein leidenschaftlicher Kuss – aber es war der Anfang von etwas Neuem, etwas, das tief in beiden bereits seit langem existierte.
„Ich bin froh, dass du hier bist“, sagte Kathy leise, als Lena sich wieder zurücklehnte.
„Ich werde immer da sein“, antwortete Lena sanft.
Und sie wusste, dass es stimmte.