Lea SchüllerxLena Oberdorf// Mut im Stillen

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Das Geräusch der sich langsam öffnenden automatischen Türen des Krankenhauses hallte in Lenas Ohren wider, als sie und Lea Schüller die sterile Empfangshalle betraten. Der typische Geruch von Desinfektionsmittel lag in der Luft, und das grelle Licht ließ den Ort noch ungemütlicher erscheinen. Lena Oberdorf zog ihre Jacke enger um sich, obwohl es warm genug war. Es war nicht die Kälte, die sie frösteln ließ – es war die Angst, die wie ein schwerer Stein in ihrem Magen lag.

Es war erst ein paar Tage her, dass sich alles verändert hatte. Im EM-Qualifikationsspiel gegen Österreich war es passiert – ein unglücklicher Moment, ein falscher Schritt. Sie hatte sofort gespürt, dass etwas nicht stimmte, als ihr Knie nachgab. Der Schmerz war scharf und durchdringend, und die anschließende Diagnose war das, was jede Sportlerin fürchtete: Kreuzbandriss.

Eine Operation war unvermeidlich. Lena hatte versucht, sich stark zu zeigen – für ihre Teamkolleginnen, für die Trainer, für die Fans. Doch tief in ihrem Inneren war sie alles andere als stark. Sie hatte Angst. Vor allem, was auf sie zukam. Vor dem Eingriff, vor der langen Reha, vor den Nadeln… besonders vor den Nadeln. Sie hasste sie. Schon immer.

Neben ihr ging Lea Schüller, und Lena war dankbar, dass ihre Freundin bei ihr war. Die beiden kannten sich seit Jahren, hatten unzählige Spiele zusammen bestritten, Siege gefeiert und Niederlagen durchgestanden. Doch heute war es anders. Heute war Lea nicht nur eine Teamkollegin, sondern auch die einzige Person, die Lenas Angst wirklich verstand.

„Du machst das schon, Lena“, sagte Lea leise, als sie den langen Flur entlanggingen, der zum OP-Bereich führte. „Es wird alles gut.“

Lena nickte, brachte aber kein Wort heraus. Sie biss die Zähne zusammen und versuchte, die aufsteigende Panik in ihrem Brustkorb zu unterdrücken. Ihre Hände zitterten leicht, und sie ballte sie zu Fäusten, um es zu verbergen.

„Ich wünschte, ich hätte deine Ruhe“, murmelte Lena schließlich. „Du machst das alles immer so locker, selbst wenn es ernst wird.“

Lea lächelte schwach und legte sanft eine Hand auf Lenas Schulter. „Das sieht vielleicht nur so aus. Glaub mir, ich habe auch schon vor Dingen Angst gehabt. Aber du musst dich nicht verstellen, okay? Wenn du Angst hast, dann ist das in Ordnung.“

Lena wollte widersprechen, wollte behaupten, dass sie stark sein musste, dass sie keine Schwäche zeigen durfte, aber Lea hatte recht. Sie fühlte sich schwach, und vielleicht war das in diesem Moment wirklich in Ordnung.

Als sie die Station erreichten, wurden sie von einer Krankenschwester empfangen, die freundlich lächelte und Lena bat, sich umzuziehen und in ein Zimmer zu gehen, wo sie auf die Operation vorbereitet werden würde. Lenas Magen verkrampfte sich. „Vorbereitet“ bedeutete Nadeln, Infusionen, das unangenehme Gefühl, die Kontrolle zu verlieren. Ihr Atem ging schneller, und sie spürte, wie ihr die Hände feucht wurden.

„Ich bin gleich wieder bei dir“, versprach Lea, während sie an der Tür des Zimmers wartete. „Ich lass dich nicht allein.“

Lena nickte stumm und verschwand hinter der Tür. Das Umziehen in das sterile Krankenhaushemd fühlte sich demütigend an. Die Einsamkeit in diesem Moment, in dem sie ihre sportliche Kleidung gegen dieses dünne Stück Stoff eintauschte, machte die Situation noch realer. Sie setzte sich aufs Bett, die Füße zitterten leicht, und sie starrte auf ihre Hände, als die Krankenschwester hereinkam, um die Infusion vorzubereiten.

Der Anblick der Nadel ließ Lena den Atem anhalten. Ihr Magen drehte sich um, und sie wollte sich abwenden, doch ihre Augen waren wie gefesselt. Sie hasste Nadeln – diese kalten, metallischen Dinger, die in ihre Haut eindringen würden.

„Alles okay?“, fragte die Krankenschwester sanft, während sie den Arm für die Infusion vorbereitete. Lena brachte nur ein schwaches Nicken zustande, aber in ihrem Kopf war das pure Chaos.

In diesem Moment öffnete sich die Tür, und Lea kam herein, setzte sich sofort auf den Stuhl neben dem Bett und nahm Lenas Hand. „Hey, ich bin hier“, sagte sie ruhig. „Du musst da nicht alleine durch.“

Lena sah sie an, und in diesem Moment schien die Welt für einen Augenblick stillzustehen. Es war nicht die Nadel, die sie am meisten fürchtete – es war die Ohnmacht, die Kontrolle abzugeben, sich verletzlich zu fühlen. Doch Lea war da, ihre Hand war warm und fest, und es fühlte sich an, als könnte sie einen Teil der Last abnehmen.

„Ich kann das nicht, Lea“, flüsterte Lena, ihre Stimme brüchig. „Ich weiß, es ist albern, aber ich kann es einfach nicht.“

Lea drückte ihre Hand fester. „Es ist nicht albern. Jeder hat Angst vor irgendwas. Aber du bist nicht alleine, okay? Ich bleibe hier bei dir. Konzentrier dich einfach auf mich.“

Die Krankenschwester lächelte sanft, als sie die Nadel ansetzte. „Atme tief durch, Lena. Es wird gleich vorbei sein.“

Lena presste die Augen zusammen und drückte Leas Hand so fest, dass sie Angst hatte, ihr wehzutun. Sie spürte, wie die Nadel in ihre Haut eindrang, und der Schmerz war kaum der Rede wert, aber die Panik in ihr schoss trotzdem in die Höhe. Doch Leas ruhige Stimme, die sie durch den Moment führte, hielt sie auf dem Boden.

„Du bist unglaublich stark, Lena. Ich hab’s bei jedem Spiel gesehen. Und das hier… das schaffst du auch. Nur noch ein paar Sekunden.“

Lena öffnete vorsichtig die Augen und sah, dass die Infusion bereits gelegt war. Die Panik in ihrem Brustkorb ließ langsam nach, als sie realisierte, dass der schlimmste Teil für sie vorbei war.

„Es ist vorbei?“, fragte sie, noch immer halb ungläubig.

Lea nickte, ein breites Lächeln auf den Lippen. „Ja, und du hast es geschafft. Ich hab dir doch gesagt, dass du stark bist.“

Lena spürte, wie sich ihre Muskeln langsam entspannten, und ließ Leas Hand los. Sie sah ihre Freundin an und fühlte eine Welle der Dankbarkeit, die schwer in Worte zu fassen war. „Danke, Lea. Ohne dich hätte ich das nicht geschafft.“

„Du hättest es auch ohne mich geschafft, aber ich bin froh, dass ich hier sein durfte.“ Leas Blick war warm, und für einen Moment fühlte sich Lena viel leichter, als hätte sich ein unsichtbares Gewicht von ihren Schultern gelöst.

Es vergingen noch ein paar Minuten, bis die Krankenschwester alles vorbereitet hatte, und der Arzt kam, um den Ablauf der Operation zu erklären. Lena hörte kaum zu, denn ihre Gedanken kreisten nur um eines – die Operation, die Zeit danach und die ungewisse Zukunft. Doch immer, wenn sie spürte, dass die Angst wieder hochkriechen wollte, erinnerte sie sich daran, dass Lea bei ihr war.

Als es schließlich Zeit war, Lena in den Operationssaal zu bringen, drehte sie sich noch einmal zu Lea um, die ihr nachsah. „Du wartest auf mich, oder?“, fragte Lena, ihre Stimme leise, fast ängstlich.

Lea nickte fest. „Natürlich. Ich werde hier sein, wenn du aufwachst. Und dann reden wir darüber, wie du stärker zurückkommst, als je zuvor.“

Lena schaffte es, ein schwaches Lächeln zu zeigen, als sie weggeschoben wurde. Ihre Angst war noch da, die Ungewissheit ebenfalls, aber etwas in ihr hatte sich verändert. Sie wusste, dass sie nicht alleine war. Egal, wie hart die nächsten Monate werden würden, egal, wie schwer der Weg zurück auf den Platz sein würde – Lea würde an ihrer Seite sein.

Und das gab ihr mehr Mut, als sie sich je hätte vorstellen können.

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