Der Abendhimmel über dem Stadion von Wolfsburg war in tiefes Rot getaucht, als die Sonne langsam unterging. Es war eine dieser melancholischen Farben, die perfekt zu dem Anlass passten, der sich an diesem Abend abspielte. Svenja Huth stand mitten auf dem Platz, umringt von ihren Teamkolleginnen, die alle für sie klatschten und jubelten. Doch in ihr war es still. Ein emotionaler Knoten hatte sich in ihrer Brust festgesetzt, und obwohl sie lächelte, spürte sie einen schmerzhaften Druck, der ihre Kehle zuschnürte.
Es war ihr letztes Spiel für die Nationalmannschaft.
Svenja hatte diesen Moment lange hinausgezögert. Die Entscheidung, sich vom DFB-Team zu verabschieden, war ihr nicht leicht gefallen. Zu sehr liebte sie den Fußball, zu sehr bedeutete ihr das Team, die Gemeinschaft, die sie seit so vielen Jahren begleitet hatte. Doch sie wusste, dass es an der Zeit war, Platz für die nächste Generation zu machen. Ihr Körper war müde, ihre Energie erschöpft – und sie wollte sich mit einem letzten guten Gefühl verabschieden. Aber jetzt, wo der Moment gekommen war, fühlte es sich schwerer an, als sie es sich vorgestellt hatte.
Die Fangesänge und das Applaudieren hallten um sie herum, doch alles, was Svenja hörte, war das leise Pochen ihres eigenen Herzens. Die Dankesrede des Trainers, die Umarmungen ihrer Mitspielerinnen – es rauschte alles wie durch einen dicken Nebel an ihr vorbei. Sie wollte nicht weinen, nicht jetzt, nicht hier, vor all diesen Leuten. Aber sie spürte, wie sich die Tränen in ihren Augenwinkeln sammelten, und sie wusste, dass sie es nicht länger unterdrücken konnte.
Plötzlich spürte sie eine vertraute Hand auf ihrer Schulter. Sie musste nicht nachsehen, um zu wissen, wer es war. Alexandra Popp, ihre langjährige Freundin, Teamkapitänin und eine der wenigen Menschen, die Svenja wirklich kannte. Alex stand dicht hinter ihr und sagte zunächst nichts. Ihre Präsenz allein war tröstlich genug.
„Es ist soweit“, flüsterte Svenja, ihre Stimme kaum mehr als ein Hauch, während sie versuchte, das Zittern darin zu verbergen.
„Ja“, antwortete Alex leise. Sie zog Svenja sanft ein Stück weg von der Menge, dorthin, wo sie ein wenig Privatsphäre hatten. Abseits des Rampenlichts, wo sie für einen Moment nur sie beide sein konnten. „Aber das heißt nicht, dass es einfacher wird.“
Svenja nickte, unfähig, die Worte zu finden, die die Schwere in ihrer Brust beschreiben konnten. Sie stand mit verschränkten Armen da, als ob sie sich selbst zusammenhalten musste. Ihr Blick war starr auf den Rasen gerichtet, den sie so gut kannte, jeden Fleck, jede Ecke. Es war der Ort, an dem sie so viele Erinnerungen geschaffen hatte, sowohl gute als auch schlechte.
„Ich dachte, ich wäre bereit“, sagte Svenja schließlich, ihre Stimme brüchig. „Ich dachte, ich hätte mich vorbereitet. Aber jetzt… jetzt fühlt es sich so endgültig an.“
Alex trat einen Schritt näher und zog Svenja in eine enge Umarmung. Die Art von Umarmung, die nicht nur Trost spenden sollte, sondern auch die unausgesprochenen Worte zwischen ihnen ausdrückte – dass Alex wusste, wie schwer dieser Moment für sie war, dass sie ihre Ängste und ihre Traurigkeit verstand.
„Niemand ist wirklich bereit für so etwas“, flüsterte Alex in ihr Ohr. „Du kannst es dir hundertmal durch den Kopf gehen lassen, aber wenn der Moment da ist…“ Sie hielt inne und atmete tief ein. „Es ist immer schwerer, als man denkt.“
Svenja vergrub ihr Gesicht in Alex' Schulter und ließ die Tränen endlich freien Lauf. Es war, als hätte jemand einen Damm gebrochen. All die Jahre, all die Spiele, die harten Trainingseinheiten, die schmerzhaften Niederlagen und die süßen Siege – alles stürzte auf einmal über sie herein. Sie hatte so viel gegeben, so viel geopfert, und jetzt war es vorbei. Für immer.
„Ich weiß nicht, wie ich das machen soll“, schluchzte Svenja leise, während Alex ihre Hand sanft auf ihren Rücken legte und beruhigend über ihren Schulterblätter strich.
„Du musst es nicht alleine machen“, sagte Alex fest, aber sanft. „Wir sind alle hier für dich. Und nur weil du nicht mehr in der Nationalmannschaft spielst, heißt das nicht, dass du aufhörst, Fußball zu spielen. Du bist immer noch Svenja Huth. Die Kämpferin, die wir alle bewundern.“
Svenja zog sich leicht aus der Umarmung zurück, wischte sich mit dem Handrücken die Tränen von den Wangen und sah Alex mit roten, verweinten Augen an. „Du sagst das so, als wäre es einfach.“
Alex lachte leise, ein trauriges Lächeln, das mehr Mitgefühl als Freude ausdrückte. „Es ist nicht einfach. Und es wird auch eine Weile nicht einfach sein. Aber weißt du, was ich an dir immer bewundert habe, Svenja? Du gibst nie auf. Du findest immer einen Weg, dich wieder aufzurichten, egal, wie schwer es war.“
Svenja schniefte und lachte gleichzeitig, eine seltsame Mischung aus Erleichterung und Kummer. „Du bist zu gut zu mir.“
„Ich bin nur ehrlich“, erwiderte Alex. „Du wirst das durchstehen. Und irgendwann, vielleicht nicht morgen oder übermorgen, wirst du merken, dass es in Ordnung ist. Dass du stolz sein kannst auf alles, was du erreicht hast. Du hast so viel für das Team getan, Svenja. Niemand wird das vergessen.“
Die Worte von Alex drangen langsam zu ihr durch. Svenja atmete tief ein, und ein Gefühl der Ruhe breitete sich in ihr aus. Es war keine vollständige Erleichterung, aber es war ein Anfang. Sie wusste, dass es noch viele Tage geben würde, an denen sie das vermissen würde – die Spiele, die Kameradschaft, das Gefühl, für ihr Land aufzulaufen. Aber sie wusste auch, dass sie nicht allein war. Dass sie immer Menschen wie Alex an ihrer Seite haben würde, die sie auffingen, wenn sie fiel.
„Danke“, sagte Svenja schließlich, ihre Stimme nun ruhiger, fester. „Ich hätte es ohne dich heute Abend nicht geschafft.“
Alex schüttelte den Kopf. „Du hast es selbst geschafft. Ich war nur die Schulter, auf der du dich anlehnen konntest.“
Svenja lächelte schwach und sah über den Rasen, wo ihre Teamkolleginnen immer noch auf sie warteten, um die letzten Feierlichkeiten fortzusetzen. Der Gedanke an das Ende schmerzte noch immer, aber es fühlte sich nicht mehr überwältigend an. Es war ein Abschluss, ja, aber auch ein Neuanfang.
„Komm“, sagte Alex schließlich, nahm Svenjas Hand und zog sie sanft mit sich. „Die anderen warten auf dich. Es ist noch nicht vorbei.“
Svenja nickte und ließ sich von Alex zurück zum Team führen. Die Sonne war nun fast vollständig untergegangen, und das Flutlicht warf lange Schatten über den Rasen. Aber in Svenjas Herz war ein kleines Licht wieder angegangen – ein Licht, das ihr zeigte, dass dieser Abschied nicht das Ende war. Nicht wirklich.
Und solange sie Freundinnen wie Alex an ihrer Seite hatte, wusste sie, dass sie alles durchstehen konnte.