Es war Silvester, und das vertraute Gefühl von Aufregung und Vorfreude lag in der Luft. In den Straßen von Köln tanzten die Lichter, und die eisige Kälte des Winters biss sanft in die Wangen der Passanten, die sich mit roten Nasen und dicken Schals auf den Weg zu ihren Partys machten. Überall hörte man das Knallen von Böllern, Kinderlachen und das leise Summen von Musik aus den Fenstern der Wohnungen, die das neue Jahr mit offenen Armen erwarteten.
Sara Doorsoun stand an ihrem Wohnzimmerfenster und blickte auf die hell erleuchtete Stadt hinunter. Sie hatte die letzten Tage damit verbracht, das Haus für die kleine Silvesterfeier vorzubereiten, die sie für ein paar enge Freunde organisiert hatte. Doch ihr Kopf war nicht bei den Vorbereitungen gewesen. Die ganze Zeit über kreisten ihre Gedanken nur um eine Person: Merle Frohms.
Es war jetzt fast zwei Jahre her, seit sie Merle das letzte Mal gesehen hatte – und das, obwohl sie sich früher beinahe täglich über den Weg gelaufen waren. Zunächst hatten sie beim selben Verein gespielt, dann trennten sich ihre Wege durch unterschiedliche Karriereentscheidungen. Sara war bei Eintracht Frankfurt geblieben, während Merle ihren Weg zu Wolfsburg gefunden hatte. Doch nicht nur der Wechsel hatte ihre Distanz verstärkt, auch die Zeit und die unterschiedlichen Lebenswege hatten dafür gesorgt, dass sie sich immer seltener hörten oder sahen.
Sara hatte sich lange nicht eingestanden, dass es mehr als Freundschaft war, was sie für Merle empfand. Sie hatte sich in Merles Nähe immer wohlgefühlt, diese Sicherheit, die Merle ausstrahlte, ihr Lächeln, das nie versagte, selbst in den stressigsten Momenten. Und jetzt, nach all dieser Zeit, würde sie Merle an diesem Silvesterabend wiedersehen.
Sara spürte ein leichtes Flattern in ihrem Bauch, als sie den Gedanken erneut zuließ. Was, wenn sie sich verändert hatten? Was, wenn das Wiedersehen seltsam oder distanziert wurde? Aber vor allem: Was, wenn sie Merle in die Augen sehen musste, während sie wusste, dass sie Gefühle für sie hatte, von denen Merle keine Ahnung hatte?
Ein lautes Klopfen an der Tür holte Sara aus ihren Gedanken. Ihr Herz setzte einen Moment aus, als sie wusste, dass es jetzt so weit war. Sie wischte sich hastig die Hände an ihrer Jeans ab, ging zur Tür und atmete tief durch, bevor sie den Griff herunterdrückte.
Als die Tür aufschwang, stand Merle vor ihr – in einem langen, warmen Mantel, der von kleinen Schneeflocken bedeckt war, und mit einem schiefen Lächeln im Gesicht. Ihre Wangen waren vom kalten Wind gerötet, und ihre Augen funkelten in der sanften Beleuchtung des Hausflurs.
„Frohes neues Jahr! Na gut, fast“, sagte Merle grinsend und zog Sara sofort in eine warme Umarmung. „Ich hab dich echt vermisst, Sara.“
Sara spürte den vertrauten Duft von Merles Parfüm, die Wärme ihres Körpers, und für einen Moment war alles um sie herum verschwunden. Sie wollte nichts lieber, als diesen Moment festhalten, aber sie zwang sich, loszulassen und ein Lächeln aufzusetzen.
„Ich dich auch“, antwortete sie, ihre Stimme klang vielleicht ein bisschen zu leise. „Es ist so schön, dass du es geschafft hast.“
Merle trat ins warme Wohnzimmer und sah sich um. „Wow, du hast es hier echt gemütlich gemacht. Es fühlt sich so gut an, wieder hier zu sein.“
Sara schloss die Tür und versuchte, sich zu beruhigen. Sie konnte spüren, wie ihr Herz in ihrer Brust hämmerte. „Danke, ich wollte, dass es ein entspannter Abend wird.“
Während Merle ihre Jacke ablegte und sich mit den anderen Gästen bekannt machte, versuchte Sara, sich auf die Party zu konzentrieren. Doch ihre Augen wanderten immer wieder zu Merle, die sich lachend mit den anderen unterhielt. Es war fast zu schmerzhaft, sie so nah und doch so unerreichbar zu wissen.
Die Stunden vergingen, und während das Lachen und die Gespräche immer lauter wurden, merkte Sara, dass sie sich von der Party zurückzog. Sie konnte nicht aufhören, Merle anzusehen, aber gleichzeitig konnte sie sich nicht dazu durchringen, ein richtiges Gespräch mit ihr zu beginnen. Stattdessen stand sie oft am Rand, nippte an ihrem Drink und beobachtete die Szene.
Kurz vor Mitternacht, als sich alle nach draußen auf die Terrasse begaben, um das Feuerwerk zu sehen, stand Merle plötzlich neben ihr. „Du bist heute ziemlich ruhig“, bemerkte sie mit einem schiefen Lächeln.
Sara zuckte mit den Schultern und versuchte, möglichst entspannt zu wirken. „Ich genieße es einfach, alle um mich herum zu haben.“
„Das glaube ich dir nicht“, sagte Merle direkt und legte eine Hand auf Saras Arm. „Was ist los, Sara? Du wirkst irgendwie abwesend.“
Sara spürte, wie ihr Herzschlag sich beschleunigte. Sie hätte jetzt lügen können, hätte ausweichen können, aber Merles Augen fixierten sie so sanft, dass sie nicht anders konnte, als die Wahrheit zu sagen. „Es ist nur…“, begann sie und senkte den Blick. „Es ist komisch, dich nach so langer Zeit wiederzusehen. Ich habe viel nachgedacht.“
Merle hob eine Augenbraue. „Über uns?“
Sara nickte leicht und spürte, wie ihre Kehle trocken wurde. „Ja, über uns. Über die Zeit, die wir nicht miteinander verbracht haben. Und über das, was sich in mir verändert hat.“
Merle runzelte die Stirn, trat aber einen Schritt näher. „Was meinst du, Sara? Du kannst mir alles sagen.“
Für einen Moment kämpfte Sara mit sich selbst. Die Sekunden zogen sich wie Stunden, und das Dröhnen der Böller schien in weiter Ferne zu sein. Schließlich nahm sie all ihren Mut zusammen und hob den Blick, direkt in Merles verwirrte, aber besorgte Augen.
„Ich habe Gefühle für dich, Merle“, platzte es schließlich aus ihr heraus. „Nicht nur als Freundin. Ich... ich habe mich in dich verliebt, und ich weiß nicht, was ich damit anfangen soll.“
Merles Gesichtsausdruck veränderte sich. Zuerst war es Überraschung, dann eine Art Sanftheit, die Sara nicht deuten konnte. Merle trat noch einen Schritt näher, so nah, dass sie Saras Atem spüren konnte.
„Sara“, sagte sie leise, „warum hast du mir das nicht früher gesagt?“
Sara senkte den Blick und schüttelte den Kopf. „Ich hatte Angst, dass es alles kaputtmacht. Dass ich dich verlieren könnte.“
Merle legte eine Hand unter Saras Kinn und hob ihren Kopf sanft an, sodass sich ihre Blicke wieder trafen. „Das hättest du nie“, sagte sie sanft. „Du bist mir zu wichtig.“
Ein tiefes Lächeln breitete sich auf Merles Gesicht aus, und ohne ein weiteres Wort zog sie Sara in eine Umarmung. Diesmal war es keine gewöhnliche Umarmung – sie war länger, wärmer, und als Sara Merle spürte, wusste sie, dass nichts kaputt war. Im Gegenteil, es fühlte sich an, als hätte etwas Neues gerade erst begonnen.
Als das neue Jahr eingeläutet wurde und das Feuerwerk den Himmel erhellte, standen sie eng umschlungen. In dieser Umarmung, in diesem Moment, war Sara sich sicher: Egal, was das nächste Jahr brachte, sie würde es nicht länger im Verborgenen verbringen.