Der Club war ein wilder Wirbel aus Lichtern, Musik und Menschen. Der Bass dröhnte in meinen Knochen, die bunten Scheinwerfer flackerten und tauchten die Gesichter der tanzenden Masse in ein unaufhörliches Spiel aus Schatten und Farben. Ich stand an der Bar, das Glas fest in der Hand, als mein Blick von den vorbeiströmenden Gesichtern plötzlich an einer Gestalt hängen blieb.
Liana.
Sie trat aus dem Dunkel und die Lichter des Clubs fielen wie ein Strahl auf ihr Gesicht. Es war fast, als würde sie die Zeit anhalten. Ihr Blick traf meinen, und obwohl wir uns durch die laute Musik und das Getümmel hindurch fast nicht hören konnten, war da eine klare, stille Verbindung zwischen uns. Ihre Augen waren schmal, ihre Haltung fast entspannt, als ob sie wüsste, was ich dachte, noch bevor ich es aussprach.
Für einen Moment war ich mir nicht sicher, ob ich den Blick abwenden oder bleiben sollte. Doch bevor ich eine Entscheidung traf, bewegte sie sich durch die Menge auf mich zu, ruhig, beinahe entschlossen, als würde sie genau wissen, wohin sie ging. Ich wollte den Augenblick nutzen, um mein professionelles Gesicht aufzusetzen, aber es war, als ob die Spannung zwischen uns die Luft zum Zucken brachte. Ich konnte es nicht abschütteln.
„Liana", sagte ich, als sie vor mir stand. Meine Stimme klang ruhiger, als ich mich fühlte, doch in meinem Inneren brodelte etwas. Ich versuchte, mich nicht von dem vertrauten, fast elektrischen Gefühl ablenken zu lassen, das sich in meiner Brust ausbreitete. Ich wusste, was sie war – ein Verdächtige, eine Zeugin, eine Schlüsselfigur in einem Mordfall. Doch je mehr ich sie ansah, desto weniger konnte ich den klaren Abstand wahren, den ich in meinen Gedanken so mühsam bewahren wollte.
„Lucas", antwortete sie mit einem leichten Lächeln, das mehr Fragen aufwarf, als es Antworten gab. Sie stand nun direkt vor mir, ihr Blick suchte meinen, als ob sie auf eine Reaktion wartete. Sie trug ein schwarzes, eng anliegendes Kleid, das ihre Figur betonte, und als sie einen Schritt näher trat, konnte ich den Duft ihres Parfüms riechen – ein Hauch von Jasmin und Vanille, der mich für einen Moment alles andere vergessen ließ.
„Ich wusste nicht, dass du hier bist", sagte sie, ihre Stimme war unerwartet ruhig, fast schon beiläufig, während sie die Bar hinter mir ansah, dann wieder zu mir zurück.
„Ich wusste auch nicht, dass du hier bist", erwiderte ich, doch ich konnte das leise Zögern in meiner eigenen Stimme hören. Es war merkwürdig. Ich hatte nicht damit gerechnet, sie hier zu treffen. Nicht auf diese Weise. Nicht in einem Club, umgeben von so vielen Menschen, die so wenig von uns wussten und doch Teil von diesem Moment waren. „Was machst du hier, Liana?"
„Gute Frage", antwortete sie und lachte leise, als sie sich auf einem Hocker neben mir niederließ. „Vielleicht ist es genau der Ort, an dem man sich mit all den Fragen ablenken kann. Und du? Kommt man hierher, um Antworten zu finden?"
„Ich habe schon genug Fragen für heute", sagte ich und lehnte mich leicht zurück, das Glas in meiner Hand ein wenig fester haltend. Ich konnte es nicht abschütteln, dieses Gefühl, dass es zwischen uns nicht nur um den Fall ging. Aber ich wusste, dass ich nicht mit ihr über meine eigenen Gedanken sprechen konnte. Nicht hier. „Und du?"
Sie sah mich für einen Moment an, und in ihrem Blick lag mehr, als ich zu deuten vermochte. Dann zuckte sie mit den Schultern. „Manchmal ist es besser, keine Antworten zu suchen, wenn sie einen nur mehr verwirren." Ihre Worte klangen nachdenklich, aber auch herausfordernd. Sie wollte etwas von mir hören. Aber was?
„Wir müssen über Jessica reden", sagte ich schließlich, und der Moment der Leichtigkeit zwischen uns verschwand plötzlich. Ihre Miene verhärtete sich sofort, und die Leichtigkeit, die sie gerade noch ausgestrahlt hatte, wich einer unsichtbaren Mauer, die sie in einem Augenblick aufbaute.
„Worüber willst du reden?", fragte sie leise, und ihre Stimme hatte nun einen scharfen Unterton, als würde sie die Frage abwehren wollen.
„Du weißt genau, was ich meine", antwortete ich. „Jessica ist tot. Du warst die letzte, die sie lebend gesehen hat. Und ich habe immer noch keine Erklärung dafür, warum du nicht mehr darüber sagst."
„Du bist gut darin, einen Fall zu bearbeiten, Lucas", sagte sie, ihre Stimme fast spöttisch, aber ich konnte eine Spur von Nervosität darin hören. Sie versuchte, sich zu wehren, aber ich wusste, dass sie auch wusste, dass sie in dieser Unterhaltung nicht mehr entkommen konnte. „Aber du weißt genauso gut wie ich, dass du ohne echte Beweise nicht viel in der Hand hast."
„Du hast mir nie wirklich die Wahrheit gesagt", erwiderte ich, und meine Worte fanden ihren Weg aus meinem Mund, schärfer, als ich beabsichtigt hatte. „Nicht im Café, nicht in den Verhören. Immer wieder diese Ausflüchte. Du bist ein Puzzle, Liana. Und ich kann es nicht mehr ignorieren."
„Ich habe dir alles gesagt, was ich weiß", sagte sie, und der Hauch von Unsicherheit in ihrer Stimme war nicht zu überhören. Ihre Haltung, die noch vor wenigen Sekunden so selbstsicher gewesen war, schien sich nun zu verschieben. Ihre Finger drückten auf die Kante des Hockers, als versuchte sie, sich zu beruhigen.
„Warum hast du dann bei Jessica so viel riskiert?", fragte ich, und meine Stimme war leiser geworden, fast wie ein Flüstern, als sich die Fragen in meinem Kopf verdichteten. „Warum warst du die letzte, die sie lebend sah?"
Liana atmete tief ein, und ich sah, wie sich ihre Augen für einen Moment verengten, als sie sich in Gedanken versenkte. „Vielleicht war es gar nicht das, was du denkst", sagte sie dann, ihre Worte langsam und bedacht. „Vielleicht war ich die letzte, die sie gesehen hat, weil wir eben genau das klären mussten, was du immer noch in Frage stellst. Und vielleicht... vielleicht war ich die Einzige, die noch einen Funken Menschlichkeit in ihr gesehen hat."
Ich starrte sie an, verwirrt von dem, was sie sagte, und dennoch konnte ich die Anspannung in ihr spüren. War das die Wahrheit? Oder war sie einfach eine Lügnerin, die sich immer weiter in ihrer eigenen Geschichte verstrickte?
„Du hast ihr nicht geholfen, oder?", fragte ich leise. „Du warst nicht da, um ihr zu helfen, sondern..."
„Und was wäre, wenn ich dir sage, dass ich sie nicht umgebracht habe, aber auch nicht verhindern konnte, was danach passiert ist?" Ihr Blick hatte sich verändert, wurde hart, beinahe herausfordernd. „Was, wenn du nicht alles weißt?"
„Dann musst du mir alles erzählen", sagte ich, und meine Hand lag jetzt so nah bei ihr, dass ich den Hauch ihrer Haut auf den Fingerspitzen spürte.
Sie sah mich an, ihre Augen glühten in den flimmernden Lichtern des Clubs, und für einen Moment dachte ich, sie würde mir die Wahrheit sagen. Aber dann schüttelte sie den Kopf und stand auf. „Manchmal ist es besser, die Fragen zu lassen, wo sie sind", flüsterte sie und wandte sich ab, bevor ich etwas sagen konnte.
„Liana!" rief ich, doch sie verschwand in der Menge, und die Musik verschluckte ihre Schritte, bis ich sie nicht mehr hören konnte.
Ich blieb zurück, das Glas in meiner Hand, das plötzlich wie eine kalte Last anfühlte. Was hatte sie mir gerade gesagt? Und was hatte sie nicht gesagt? Die Antworten lagen immer noch außerhalb meiner Reichweite. Doch ich wusste, dass dieser Moment nicht das Ende war. Es war nur der Anfang.
Lucas verließ den Club und spürte die dröhnende Musik noch immer in seinen Ohren. Die Gespräche, die Gesichter, die Lichter — alles verschwamm in einem Wirbel aus Eindrücken, die nun wie ein Rausch in ihm nachhallten. Der Kuss. Er konnte nicht aufhören, daran zu denken. Er hatte sie geküsst. Und was noch viel schlimmer war: Es hatte sich richtig angefühlt. Fast so, als ob er schon lange darauf gewartet hätte, obwohl er wusste, dass es der falsche Moment war.
Sein Blick war verschwommen, als er in den Wagen stieg und sich auf den Weg zu Markus machte. Es war spät, und der Verkehr war fast erloschen, aber Lucas fühlte sich alles andere als ruhig. Sein Kopf war überladen, seine Gedanken wirbelten. Er hatte sich nie wirklich für Liana interessiert – zumindest nicht auf diese Weise. Doch der Kuss, der alles verändert hatte, ließ ihn nicht mehr los. Es war mehr als nur eine kurze Leidenschaft, mehr als ein flüchtiger Moment. Es war, als ob sie eine verborgene Tür geöffnet hatte, eine, von der er nicht wusste, dass sie existierte.
Markus wartete bereits in seiner kleinen Wohnung, als Lucas ankam. Der Blick seines Kollegen war neugierig, als er ihm die Tür öffnete.
„Du siehst aus, als hättest du die halbe Nacht durchgearbeitet", sagte Markus und musterte Lucas' müden Blick. „Was ist passiert?"
Lucas trat schwerfällig ein, seine Hand strich über das Gesicht, während er sich langsam in einen der Sessel fallen ließ. Markus sah ihn an, wartete darauf, dass er etwas sagte.
„Es ist... es ist passiert", murmelte Lucas schließlich. „Ich habe sie geküsst."
Markus starrte ihn einen Moment lang an, als hätte er die Worte nicht ganz verarbeitet. „Was?"
„Liana", wiederholte Lucas, als ob es das Einzige war, was er in diesem Moment sagen konnte. „Ich habe sie geküsst. Im Club."
Markus setzte sich ihm gegenüber, sein Blick jetzt ernst. „Lucas... du bist dir klar, was du da tust, oder?"
„Was meinst du?" Lucas' Stimme klang rauer als beabsichtigt, als er sich wieder aufrichtete. „Du glaubst, ich hätte nicht gewusst, was ich tue? Ich weiß, dass es falsch ist. Aber sie... sie ist anders. Es gibt etwas an ihr, das ich nicht begreife. Und es ist schwer, einfach nur ein Polizist zu sein, wenn ich alles, was sie ist, spüren kann. Du musst verstehen, dass es mehr gibt, als ich mir eingestehen möchte."
Markus nickte langsam. „Versteh mich nicht falsch, aber du bist in einem Mordfall. Du solltest nicht in diese Richtung denken, Lucas. Liana ist die Hauptverdächtige, sie ist nicht einfach nur jemand, den du küssen solltest." Er legte eine Hand auf die Lehne seines Stuhls, die Züge seines Gesichts angespannt. „Du musst an den Fall denken. An Jessica. An all die Hinweise, die du ignorierst, wenn du dich jetzt von ihr ablenken lässt."
„Ich weiß, Markus", gab Lucas zu, seine Stimme war nun weich. „Aber was ist, wenn sie unschuldig ist? Was ist, wenn alles, was wir über sie wissen, falsch ist?" Er schüttelte den Kopf und setzte sich tiefer in den Sessel. „Ich habe mich mit ihr unterhalten. Und es gibt da diese... diese Kluft zwischen dem, was sie mir sagt, und dem, was sie nicht sagt. Irgendetwas ist nicht richtig. Aber es ist nicht nur der Fall, Markus. Es ist auch... sie."
„Du bist im Moment nicht objektiv, Lucas. Du musst das aus dem Blickwinkel eines Ermittlers betrachten, nicht aus dem eines Mannes, der sich emotional in eine verdächtige Person verliebt hat." Markus' Ton war kühl, aber nicht ohne Sorge. Er lehnte sich zurück, die Arme vor der Brust verschränkt, und wartete auf eine Reaktion. „Du hast ein großes Risiko genommen. Du bist auf dünnem Eis, wenn du das weiterhin so siehst."
Lucas atmete tief durch. „Ich weiß, dass ich alles auf's Spiel setze. Aber du kennst mich, Markus. Ich kann die Wahrheit nicht ignorieren. Und gerade jetzt fühlt es sich so an, als ob die Wahrheit irgendwie mit ihr zusammenhängt. Ich kann sie nicht einfach als Täterin abtun, ohne alles zu hinterfragen."
Markus sah ihn lange an, dann senkte er den Blick. „Du bist ein verdammt guter Ermittler, aber du darfst nicht vergessen, warum du das tust. Es geht nicht um... um was du fühlst. Es geht darum, die Wahrheit herauszufinden. Und je weiter du dich von dieser Linie entfernst, desto gefährlicher wird es für dich."
Lucas seufzte und rieb sich über das Gesicht. „Ich weiß. Aber was, wenn sie unschuldig ist? Was, wenn sie wirklich nur das Opfer eines Spiels ist, das wir nicht verstehen?"
„Dann wird es trotzdem die Wahrheit sein, die zählt, Lucas", antwortete Markus ruhig. „Und du musst sicherstellen, dass du genug Abstand gewinnst, um sie zu finden, egal was du für sie empfindest."
Die Worte hallten in Lucas' Kopf nach, als er sich zurücklehnte und in die Leere starrte. In diesem Moment wusste er, dass er an einem Punkt angekommen war, an dem er eine Entscheidung treffen musste. Eine, die weit über das berufliche hinausging. Was er für Liana fühlte, war nicht nur ein Kuss. Es war eine Frage von Vertrauen, von Wahrheit. Und er hatte das Gefühl, dass er noch nicht einmal die ganze Geschichte kannte.
„Du hast recht", sagte er schließlich, ohne Markus anzusehen. „Ich muss einen klaren Kopf bewahren. Ich darf nicht vergessen, was auf dem Spiel steht."
„Das ist der richtige Weg, Lucas", antwortete Markus. „Du bist nicht nur Ermittler. Du bist ein Polizist. Und du musst wissen, wie du den Unterschied machst."
Lucas nickte langsam und stand dann auf. „Ich werde alles tun, was ich kann, Markus. Aber ich kann nicht versprechen, dass es einfach wird."
Markus stand ebenfalls auf, trat zu ihm und legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Ich weiß. Aber ich vertraue dir. Und ich hoffe, du vertraust dir selbst genug, um den Fall richtig zu lösen."
Lucas nickte erneut, dann drehte er sich zur Tür. Der Fall war noch nicht abgeschlossen. Aber mit jedem Schritt, den er jetzt tat, näherte er sich mehr der Wahrheit – auch wenn er noch nicht wusste, wie viel er bereit war, zu opfern, um sie zu finden.

DU LIEST GERADE
Kill me Baby
RomanceLucas, ein engagierter Polizist, ist auf der Suche nach Antworten in einem mysteriösen Mordfall, der ihm Rätsel aufgibt. Eine schwangere Frau wurde getötet, und die Umstände deuten zunächst auf die gefährliche Auftragsmörderin Liana hin, die bereits...