Es war ein paar Tage nach dem Vorfall im Club, und Lucas konnte das Gefühl nicht abschütteln, dass er mitten in einem gefährlichen Spiel steckte, dessen Regeln er noch nicht verstand. Der Fall lag ihm schwer auf der Brust, und Liana war wie ein Schatten, der ihn immer wieder in den dunklen Ecken seiner Gedanken heimsuchte. Es war unmöglich, sie zu vergessen, selbst wenn er es wollte.
An diesem Abend hatte er sich bewusst entschieden, den Fall für einen Moment ruhen zu lassen und sich in einer Bar niederzulassen. Vielleicht war es der Gedanke an eine kurze Auszeit, der ihn hierher trieb, vielleicht auch die ständige Suche nach einer Lösung, die ihm gerade durch den Kopf schwirrte. Er nahm einen Schluck aus seinem Glas, während er den Raum absuchte, die Gespräche und das Lachen der anderen an sich vorbeiziehen ließ.
Dann sah er sie.
Liana stand an der Tür, als hätte sie gerade den Raum betreten, um jemanden zu finden. Ihr Blick schweifte über die Bar, und als sie Lucas erblickte, schien sie kurz innezuhalten. In diesem Augenblick trafen sich ihre Blicke, und eine seltsame Spannung baute sich auf. Es war nicht nur die Tatsache, dass sie eine Verdächtige war – es war etwas anderes, etwas, das sich zwischen ihnen aufbaute, und das Lucas nicht mehr ignorieren konnte. Er wusste, dass er sie ansprechen musste. Aber auf die eine oder andere Weise wusste er auch, dass er nicht in der Lage war, sich der Situation zu entziehen.
Liana ging in seine Richtung, ihre Schritte ruhig und bestimmt. Als sie schließlich vor ihm stand, blieb sie stehen und verschränkte die Arme, als ob sie sich selbst schützen wollte.
„Du bist also auch hier", sagte sie, ihre Stimme war ruhig, aber unterkühlt. „Dachte schon, wir würden uns nie wieder in einem solchen Umfeld sehen."
Lucas sah sie an, ihre Augen schienen wie ein offenes Buch, und doch war da ein Geheimnis, das sie nicht preisgab. „Manchmal zieht es uns an den gleichen Ort. Und manchmal..." Er ließ die Worte absichtlich hängen. „...manchmal muss man sich den Dingen stellen."
„Den Dingen?" Liana wiederholte das Wort mit einem leichten Lächeln, aber es war keines, das ihre Augen erreichte. „Du meinst mir."
„Ja", sagte Lucas, ohne sie aus den Augen zu lassen. „Du bist immer noch ein Rätsel für mich, Liana."
Ein kurzer Moment der Stille folgte, in dem die Geräusche des Raums wie gedämpft wirkten. Dann setzte sie sich, ohne eine Einladung abzuwarten. Ihre Bewegungen waren fließend, fast eleganter als nötig, als sie sich auf dem Stuhl gegenüber von ihm niederließ. Ihr Blick war fest, fast herausfordernd.
„Warum bist du hier, Lucas?", fragte sie und stützte sich mit einer Hand auf den Tisch. Ihre Finger spielten mit dem Rand ihres Glases, während sie ihn musterte. „Willst du mich wieder verhören?"
„Es geht nicht nur um den Fall, Liana", antwortete Lucas und spürte, wie seine Stimme ein wenig weicher wurde, als er sie ansah. „Ich muss wissen, was du mir verheimlichst. Ich habe dir immer wieder Fragen gestellt, aber du lässt mir keine Antwort."
Sie schnaubte leise, doch ihr Blick veränderte sich nicht. „Du willst die ganze Wahrheit, oder? Du glaubst, ich weiß mehr, als ich dir sage."
„Ja, das glaube ich", erwiderte er. „Es gibt zu viele Unstimmigkeiten in dem, was du mir gesagt hast. Du sagst, du bist unschuldig. Aber warum habe ich das Gefühl, dass du mir nicht alles erzählst?"
Liana senkte für einen Moment den Blick, als würde sie überlegen, wie sie reagieren sollte. Dann hob sie ihn wieder, und in ihren Augen lag ein Funken von etwas, das Lucas nicht zu deuten wusste – Entschlossenheit? Verzweiflung? „Vielleicht", begann sie langsam, „weil du mir nicht vertraust."
„Es geht nicht um Vertrauen", sagte Lucas, „es geht darum, dass du mir Informationen verwehrst. Informationen, die ich brauche, um dich zu verstehen. Damit ich weiß, ob du die Wahrheit sagst."
„Und was ist, wenn ich dir sage, dass du die Antwort längst kennst?" Liana blickte ihm direkt in die Augen, und für einen Augenblick schien es, als wüsste sie genau, was in ihm vorging.
„Was meinst du damit?" Lucas' Stimme klang schärfer, als er es beabsichtigt hatte, doch der Blick, den sie ihm zuwarf, ließ ihn innehalten.
„Du hast deine eigenen Verdächtigungen, Lucas. Du bist nicht hier, um mich zu befragen. Du bist hier, weil du willst, dass ich dir etwas sage, was du tief im Inneren schon weißt. Aber du hast Angst, es dir einzugestehen." Sie stand auf, und ihre Bewegung war ebenso entschlossen wie ihre Worte.
Lucas' Herz schlug schneller. Hatte sie recht? War er tatsächlich gekommen, weil er sich selbst eine Antwort erhoffte, die er nicht bereit war, zu akzeptieren? Es gab etwas an dieser Frau, das ihn unaufhaltsam anzog, etwas, das seine professionelle Distanz gefährdete. Und jetzt, in diesem Moment, spürte er das Gewicht der Entscheidung, das er längst vor sich herschob.
„Du bist eine verdammt gute Lügnerin", sagte er leise, seine Stimme fast ein Flüstern. „Aber das wird nicht lange so bleiben. Nicht mit mir."
„Vielleicht hast du recht", antwortete sie mit einem traurigen Lächeln. „Vielleicht bin ich ein Rätsel. Aber du bist derjenige, der es lösen muss."
Sie drehte sich um, ihre Silhouette verschwand in der Menge, als sie sich durch den Raum bewegte. Lucas blieb allein an dem Tisch sitzen, das Gefühl von Unruhe und Verwirrung immer noch wie ein dunkler Schatten in ihm. Und in diesem Moment wusste er, dass er auf einem gefährlichen Pfad war – einer, der ihn weiter in die Dunkelheit führen würde, je mehr er versuchte, das Licht zu finden.
Lucas stand draußen vor der Bar, die kalte Nachtluft biss in seine Haut, doch er spürte keinen Frost. In seinem Inneren war es viel wärmer – und gleichzeitig chaotischer. Der Gesprächsverlauf mit Liana hatte in ihm viele Fragen aufgeworfen, und auch wenn er sich um den Fall kümmerte, konnte er das Gefühl nicht abstellen, dass es mehr gab, als er sehen konnte. Mehr, als sie ihm sagen wollte.
Er hatte ihr immer wieder geglaubt, wenn sie beteuert hatte, nichts mit Jessicas Tod zu tun zu haben, aber ihre Art – ihre Blicke, die feinen, unterschwelligen Bemerkungen – sie ließen ihn immer wieder zweifeln. Und dann war da der Kuss im Club. Ein Moment, der alles verändert hatte. Was sollte er davon halten?
Er spürte das Bedürfnis, mit ihr zu sprechen, sie erneut zu sehen, sie besser zu verstehen. Vielleicht war es der Fall, der ihn trieb, vielleicht war es aber auch etwas anderes, das er sich selbst noch nicht eingestehen wollte.
Die Tür der Bar öffnete sich, und Liana trat heraus. Ihr Gesicht war im Dämmerlicht der Straßenlaternen kaum zu erkennen, doch der Blick in ihren Augen war unverkennbar. Sie suchte ihn.
„Ich wusste, dass du hier bist", sagte sie leise, als sie vor ihm stand. Ihr Atem war leicht angespannt, der Blick suchend. „Hast du auf mich gewartet?"
Lucas nickte langsam. „Ja", sagte er, „irgendwie schon."
Liana trat einen Schritt näher, ihre Präsenz war wieder diese Mischung aus Anziehung und Geheimnis, die ihn so in ihren Bann zog. „Warum?", fragte sie mit leiser Stimme, ihre Augen schienen mehr zu fragen, als es die Worte vermochten. „Warum immer noch?"
„Weil ich es nicht verstehen kann", gab Lucas zu. „Ich kann das alles nicht verstehen, Liana. Aber ich will es verstehen."
Ihre Lippen verzogen sich zu einem schwachen Lächeln, das fast wie eine Herausforderung wirkte. Sie legte eine Hand auf seine Brust, sanft, aber bestimmt.
„Und wenn du es verstehst, was dann?", fragte sie, und ihre Stimme klang dabei mehr wie ein Versprechen als eine Frage.
Lucas atmete tief ein und trat einen Schritt näher, so nah, dass er die Wärme ihres Körpers spüren konnte. „Dann werde ich wissen, ob ich dir glauben kann oder nicht", antwortete er. Es war die Wahrheit, aber gleichzeitig fühlte sich der Satz leer an.
Liana betrachtete ihn einen Moment lang, dann senkte sie ihren Blick. „Ich weiß, was du denkst. Ich weiß, was du von mir erwartest. Aber du liegst falsch, Lucas. Es gibt Dinge, die du nicht sehen willst." Ihre Stimme war nun sanfter, fast vertraut, als sie ihn mit einem Blick durchdrang, der mehr verriet als Worte je könnten.
Und plötzlich war es, als ob alles um sie herum verschwand. Die Straßen, die Geräusche der vorbeifahrenden Autos, der Wind, der durch die Bäume wehte – all das war nicht mehr wichtig. Nur noch sie und der Moment zählten.
Liana schloss die verbleibende Lücke zwischen ihnen und legte ihre Hand auf seine Wange. Ihr Blick war intensiv, ihre Augen suchten seine, als würde sie nach etwas suchen, das sie in ihm finden wollte.
„Du hast es immer noch nicht verstanden, oder?", flüsterte sie, ihre Lippen kaum von seinem Ohr entfernt. „Du bist schon viel tiefer in meinem Leben, als du es dir vorstellen kannst." Ihre Hand glitt zu seiner Brust, dann weiter bis zu seinem Nacken. Ihre Finger fühlten sich wie Feuer auf seiner Haut an.
„Vielleicht ist es das, was du wirklich willst, Lucas", flüsterte sie, und bevor er überhaupt wusste, wie ihm geschah, zog sie ihn zu sich hinab. Ihre Lippen trafen sich mit einer Dringlichkeit, die ihn völlig überforderte. Ihre Berührungen waren fordernd, gleichzeitig jedoch auch so zärtlich, dass es ihn gleichzeitig aus der Fassung brachte und ihn tiefer in den Sog dieser Begegnung zog.
Er hatte fast das Gefühl, die Luft in seiner Lunge wäre weggeblasen worden, als sie ihn küsste. Der Kuss war wild und dennoch voller Verlangen, als ob alles, was sie durchgemacht hatten, in diesem einen Moment zusammenfloss.
Als sie sich schließlich voneinander lösten, atmete Lucas schwer, seine Gedanken waren ein einziges Durcheinander. Er wollte nach Worten suchen, wollte ihr etwas sagen – etwas, das all das erklärte, was er fühlte, aber er fand nichts, was auch nur annähernd das widerspiegelte, was er empfand.
„Komm mit mir", flüsterte sie dann, noch immer nah an ihm. „Komm mit mir nach Hause. Wir müssen reden. Wirklich reden."
Lucas sah sie an, seine Brust hob und senkte sich schneller, als ihm lieb war. Es war eine Einladung, die er nicht ablehnen konnte – oder vielleicht auch nicht wollte. Es war mehr als das, was sie ihm in den letzten Wochen gezeigt hatte. Etwas, das er verstehen wollte, aber auch etwas, das ihn zerriss.
„Warum?", fragte er leise, seine Stimme rau und beinahe unverständig.
Liana lächelte schwach. „Weil du mehr wissen willst. Du willst wissen, wer ich wirklich bin. Und ich will dir zeigen, was du nicht siehst."
Er zögerte nicht lange. Ohne ein weiteres Wort ergriff er ihre Hand, und gemeinsam gingen sie die Straße entlang. Die Dunkelheit umhüllte sie, und Lucas wusste, dass er in diesem Moment keine Kontrolle mehr hatte. Aber er konnte nicht aufhören. Er musste herausfinden, was hinter dieser Frau und ihrem Leben steckte. Und vielleicht, nur vielleicht, würde dieser Abend ihm mehr Antworten bringen, als er sich je hätte erträumen können.
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Kill me Baby
RomanceLucas, ein engagierter Polizist, ist auf der Suche nach Antworten in einem mysteriösen Mordfall, der ihm Rätsel aufgibt. Eine schwangere Frau wurde getötet, und die Umstände deuten zunächst auf die gefährliche Auftragsmörderin Liana hin, die bereits...