27. Kapitel - Kann es noch schlimmer werden?

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Missmutig kritzelte ich mit meinem Bleistift in meinen Notizen herum, sodass lauter kleine Vierecke und Punkte die Ränder meines Blattes schmückten. Geschichte war definitiv nicht grade eins meiner Lieblingsfächer, doch leider musste ich es als Pflichtfach belegen. Noch dazu Klausuren schreiben und demnach hätte ich eigentlich besser zuhören sollen. Als hätte Professor Kwik mir angesehen, dass ich mit meinen Gedanken grade ganz woanders war, nahm er mich natürlich auch sofort dran.

„Ich würde gerne Ihre Meinung zu dem Thema hören, Mrs Picton?" Obwohl er eine recht kleine Person war, erzeugten seine scharfen Gesichtszüge und die grauen, kurz geschorenen Haare eine angsteinflößende Wirkung. Vor allem wenn er seine Augen zusammenkniff und mich aus diesen, wie ein Löwe seine Beute, taxierte. Allerdings lag nicht nur seine Aufmerksamkeit auf mir, sondern auch die Blicke meiner Kommilitonen. Augenblicklich schoss die Hitze in meine Wangen. Nach langem Schweigen meinerseits zog der Professor missbilligend seine buschigen Augenbrauen nach oben.

„Mrs Picton, es ist nicht das erste Mal, dass sie an meinem Unterricht kein Interesse zeigen. Ich weiß, dass ihre Stärken fernab von meinen Unterrichtsthemen liegen, aber wenn sie nicht ein bisschen mehr Bereitschaft für meinen dieses Fach aufbringen, sehe ich mich gezwungen, sie durchfallen zu lassen."

Mit diesen Worten ging er zu seinem Laptop, um die Powerpointpräsentation über John F. Kennedy fortzusetzen.

Die Hitze blieb noch einige Minuten in meinem Kopf und ich spürte, wie sich kalte Schweißperlen auf meiner Stirn und in meinem Nacken bildeten. Vermutlich hatten die anderen sich längst wieder dem Unterricht gewidmet, damit sie nicht auch so vorgeführt wurden wie ich. Doch trotzdem ließ mich das Gefühl nicht los, dass der ein oder andere Blick noch immer auf mir lastete.

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Die Tage verliefen schleppend. Ich hatte mich zwar selbst wieder so weit aus meinem Loch gebuddelt, dass ich täglich zu den Vorlesungen und Seminaren erschien, doch schirmte ich mich weiterhin von jeglichen sozialen Kontakten ab.

Lediglich den Tanzunterricht besuchte ich. Ansonsten vergrub ich mich in Arbeit. Räumte mein Zimmer auf, schrieb meine Hausarbeiten und fing sogar an, mein Geschichtswissen aufzuarbeiten. Eines Tages raffte ich meinen Mut zusammen und fragte Professor Kwik ob ich eine extra Hausarbeit schreiben könne, um meine Note zu verbessern. Er schien von meinem Engagement ganz aus dem Häuschen und versprach mir bis zur nächsten Stunde ein angemessenes Thema zu finden. Professor Kwik war ein Mann, der sein Wort hielt, weshalb ich eine Woche später zwar ein recht passables Thema erhielt, jedoch bekam ich zusätzlich die Hiobsbotschaft, dass ich über dieses ein Referat vor dem gesamten Kurs halten solle.

„Damit die anderen auch etwas von Ihrer Arbeit haben", zwinkerte er mit seinen rabenähnlichen Augen und ich schluckte Tränen der Wut herunter.

Statt mich seinem Vorschlag zu widersetzen, nickte ich jedoch nur und verzog mich schnell auf den Flur, wo ich augenblicklich anfing zu weinen.

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Ich konnte unmöglich vor 100 Leuten ein Referat halten. Noch dazu allein. Den Blicken der anderen restlos ausgeliefert. Vor einer Menschenmenge zu tanzen war das Eine doch sprechen? Niemals. Ich spürte, wie sich eine innere Wut in mir breitmachte.

Das war alles Grants Schuld! Wenn ich ihn nie kennengelernt hätte, hätte ich mich nie so einsam und ausgeschlossen gefühlt. Hätte nie gedacht, dass er mich so sehr mag, dass er mir vertraut. Hätte mich nie von meinen Gedanken im Geschichtskurs ablenken lassen und wäre Professor Kiwi mit Sicherheit nie aufgefallen! Die Einsicht, dass diese Gedanken absoluter Schwachsinn und noch dazu unfair waren, verpuffte im hintersten Eck meines Verstands.

Als hätte er meine Wuttiraden auf ihn erhört, erschien in diesem Moment natürlich niemand Geringeres als Grant selbst. Er stupste mich mit dem Ellbogen an und grinste.

„Hey Ave, ich hab gehört du hältst ein Referat in Geschi- Hey was ist denn los?"

Wutentbrannt sah ich ihn an. Vermutlich dachte, er ich sei komplett irre. Mit tränenverschleierten Augen stand ich mitten in der Uni und versuchte ihn mit meinen Blicken niederzustechen. Fast wäre mir ein „Das ist alles bloß deine Schuld", herausgerutscht doch glücklicherweise hatte ich noch genug Selbstbeherrschung, um mir ein solches Kommentar zu verkneifen. Wenn er nicht längst dachte, ich sei wahnsinnig, dann würde er es spätestens nach einem solchen Ausruf.

„Was ist los? Sprich mit mir", wiederholte er seine Frage behutsam und legte mir einen Arm um die Schulter. Eine freundschaftliche Geste für ihn. Doch für mich fühlte es sich an, als setzte er meinen ganzen Körper in Brand.

Ich entschied mich, ihm wenigstens die halbe Wahrheit zu erzählen. „Ich kann doch kein Referat vor all diesen Leuten halten. Was habe ich mir dabei denn nur gedacht?" Für Grant schien es vermutlich vollkommen lächerlich, wegen so einer Lappalie gleich in Tränen auszubrechen, doch hatte ich ihm ja bewusst die ganze Wahrheit verschwiegen. Meine Wut auf Grant verflog mit einem Mal und richtete sich gegen mich selbst. Wieso ließ ich es zu, dass er solch eine Kontrolle über mich hatte? Er musste mir nur ein bisschen Aufmerksamkeit schenken und schon schmolz ich dahin.

„Shh. Vielleicht kann ich ja mal mit Professor Kwik reden", unterbrach er meine Gedanken sanft.

„Was soll das bringen?" fragte ich und zog geräuschvoll die Nase hoch. Superattraktiv Avery.

„Naja, ich glaube, er mag mich. Vielleicht erlaubt er mir, dir zu helfen und mit dir zusammen das Referat zu halten."

„Aber dann muss ich doch trotzdem vor 3000 Leuten sprechen", dramatisierte ich schmollend.

„Du bist echt eine kleine Drama Queen, weißt du das?" Er grinste sein typische Grant-Grinsen, wobei er die Lippen aufeinanderdrückte und so drei Lachfältchen an jeweils beiden Mundwinkeln erschienen.

„Es sind grade mal 72 Studenten in diesem Kurs. Obwohl anwesend sind meistens bloß so um die 40. Wenn überhaupt. Stell dir einfach vor, dass sie-„

„Nackt wären? Danke, aber den Tipp habe ich schon tausendmal bekommen und er bringt rein gar nichts", schniefte ich genervt.

„Eigentlich wollte ich sagen, stell dir vor, dass sie gar nicht da wären und du nur mit einer dir vertrauten Person sprichst. Beispielsweise deiner Mom, deinem Dad oder.... vielleicht mir." Als ich daraufhin nicht reagierte, setzte er hinzu:

„Aber ich glaube nicht, dass du den Tipp mit dem nackt vorstellen schon 1000 Mal bekommen hast, ich sag ja Avery die Drama Queen."

Misstrauisch lugte ich unter meinem Vorhang aus Haaren hervor.

„Wie wärs, wenn wir etwas essen gehen und morgen frage ich Professor Kwik ob ich dir Beistand leisten darf, mhm?" Da er immer noch einen Arm um meine Schultern gelegt hatte, schüttelte er mich sanft.

Langsam hob ich den Blick und sah zu ihm auf. Wie immer musste ich meinen Kopf ein wenig heben, um ihm in die Augen schauen zu können.

Mein Blick verfing sich in seinem wie ein verlorenes Insekt in den Fäden eines Spinnennetzes. Er zog seine Mundwinkel leicht hoch und lächelte. Diesmal war es ein sanftes Lächeln, womit er mir signalisierte das er sein Angebot absolut ernst meinte und sich keineswegs über mich lustig machte. Bevor ich mich zu tief im Saphir seiner Augen verlieren konnte, wandte ich den Blick ab und löste mich gleichzeitig aus seinem Arm.

„Ich muss nach Hause", versuchte ich so überzeugend und ehrlich rüberzubringen, wie es nur ging.

„Ich hab noch einiges zutun." Um meinen Worten noch mehr Kraft zu verleihen, nickte ich.

Mit einem Mal schien Grant verlegen.

„Oh. Ja, klar. Ich dachte nur, wir könnten Mal wieder etwas zusammen unternehmen. Aber natürlich hast du was zutun. Dann sehen wir uns morgen in der Vorlesung?" Er kratzte sich am Kopf und senkte dabei den Blick. Noch nie hatte ich Grant Pearce so verlegen und kleinlaut gesehen. Vielleicht war ich geradewegs in ein Paralleluniversum gestolpert.

„Ja, morgen", brachte ich nur heraus, bevor ich mich auch schon umdrehte, um zu gehen.

Bevor ich durch die gläserne Drehtür die Uni verließ, blickte ich noch einmal zurück.

„Danke Grant", sagte ich mit einem erhobenen Mundwinkel, bevor ich endgültig ging, um mich nicht einfach zurück in seine Arme zu werfen. Arme die mich vermutlich sogar auffangen würden und auf freundschaftlicher Distanz halten würden.


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