Tatsächlich konnte Grant Professor Kwik davon überzeugen, dass es eine gute Idee war, wenn er mir bei dem Referat beiseite stehe. Mit welchen Argumenten er dies tat, war mir schleierhaft, doch das war vielleicht auch besser so. Allerdings hatte ich nicht bedacht, dass wir nach Professor Kwiks Zustimmung wieder Zeit miteinander verbringen mussten.
Es fing an mit simplen Treffen in der Bibliothek, wo wir meist nicht allein waren, denn Kayleigh und Kenny lungerten meist an einem Tisch neben uns herum und büffelten für ihre Hauptfächer. Auch Troian gesellte sich wieder öfter zu uns, da sie zum einen mit Kenny in einem Philosophiekurs war und zum anderen das verliebte Getue von Ruby und Craig auch nicht mehr aushielt. Ein Wunder, dass die beiden es noch miteinander aushielten. Und das nach wie vor jeden wissen ließen.
Zu meinem Leidwesen schien Ruby mittlerweile öfter in der Bibliothek zu sitzen. Anscheinend war sie auf den Trichter gekommen, dass lernen einem möglicherweise zu besseren Noten verhelfe. Sie saß entweder mit Craig zusammen oder - was mich sehr wunderte - allein.
Einige Male kreuzten sich unsere Blicke, doch so schnell, wie sie sich trafen, so schnell schauten wir auch wieder in verschiedene Richtungen.-⁕-
An einem weiteren kalten Wintertag saß ich ausnahmsweise mal mit Kenny an einem Tisch, während wir auf unseren jeweiligen Lernpartner warteten.
Kenny kaute genüsslich auf einer Karotte herum, was ihm schon mehrere Todesblicke unserer Kommilitonen eingebracht hatte, doch er ignorierte diese geflissentlich. Wie gerne wäre mir die Meinung anderer auch so egal wie ihm. Doch wenn ich in seiner Situation wäre, hätte ich die Karotte schon nach dem ersten genervten Blick weggesteckt oder den Raum fluchtartig verlassen. Genauso laut wie er kaute, fragte Kenny mich jetzt mit vollem Mund:
„Avery, wie lange soll das mit Ruby und dir noch so weitergehen?"
„Was meinst du?" fragte ich konzentriert, während ich auf meinem Bleistift kaute und ahnungslos in meinem Buch blätterte.„Stell dich nicht immer so nichts ahnend Avery. Ich meine eurer komisches Verhalten einander gegenüber. Ihr ignoriert euch, aber wenn der andere nicht hinsieht, schenkt ihr euch verstohlene Blicke. Ihr seid wie so ein nervig verliebtes Pärchen. Jeder dümmste Dummkopf sieht, dass ihr euch vermisst und einfach beide zu stolz für den ersten Schritt seid." Zwanghaft verkniff ich mir ein Grinsen, denn seit Kenny angefangen hatte, Englisch zu studieren, warf er mit sprachlichen Mitteln nur so um sich. Diese Woche hatte er vor allem ein Faible für den Pleonasmus entwickelt, doch schien er selbst das gar nicht mehr wahrzunehmen.
„Das stimmt doch gar nicht", protestierte ich dennoch im Flüsterton, um die anderen Studenten nicht noch mehr zu unterhalten und vom Lernen abzuhalten. Auch wenn sie ein bisschen Klatsch und Tratsch sicher als willkommenes Ablenkungsmanöver sehen würden.
„Wenn das nicht stimmt, bin ich nicht in Professor Nakamura verknallt", hielt Kenny dagegen, womit er mich verdutzt inne halten ließ.
„Du.. was?"
„Ich Professor Nakamura. Du weißt schon meine Literatur Professorin. Klein und dunkelhaarig. Ich glaube, sie ist Japanerin. Auf jeden Fall hat sie mir den Kopf verdreht mit ihrer süßen Art", schwärmte er grinsend.
„Nimms mir nicht übel, Kenny. Aber sagtest du nicht am Anfang des Semesters, das du auf Männer stehst?"Sein Grinsen wich einem empörten Gesichtsausdruck und er schaute mich an, als wäre ich ein kleines sechsjähriges Mädchen, welches keinen blassen Schimmer von der Welt hatte.
„Kann ein Mann sein Herz nicht für jeden und jede öffnen, die er begehrt?"
„Klar", antwortete ich zwar ehrlich jedoch immer noch etwas verunsichert und darauf bedacht Kenny bloß nicht zu verärgern.
„Ich habe nur gesagt, dass ich schwul bin, damit ihr mir alle keine Avancen macht", grinste er, doch ich wusste sofort, dass er das nicht ernst meinte.„Spaß beiseite. Hab ich das wirklich mal gesagt? Wie dumm von mir. Naja, jeder macht mal Fehler. Ich bin auf jeden Fall nicht Hundertprozent schwul. Oder vielleicht doch. Ach, keine Ahnung ist doch auch egal. Man muss doch nicht alles immer benennen oder?"
„Nein auf keinen Fall", stimmte ich ihm zu, ehe ich mich interessiert mit den Ellbogen auf der Tischplatte abstützte und nach vorne lehnte. Meine Haare trug ich heute zusammengebunden in einem hohen Pferdeschwanz, weshalb sie mir nicht nervig im Gesicht herumhingen.
„Vielleicht bin ich heute schwul, vielleicht morgen nicht. Ich bin einfach ich und da ist es doch egal, welches Label die Gesellschaft mir aufdrücken will", fügte er achselzuckend hinzu und ich konnte nur wie wild mit dem Kopf nicken.
DU LIEST GERADE
The Silent Side of Love
RomanceEin neuer Lebensabschnitt kann ziemlich herausfordernd sein, besonders wenn man plötzlich ohne langjährige beste Freundin dasteht und stattdessen mit einer großen Portion Angst und unbekannten Gefühlen jonglieren muss. Für die leidenschaftliche Tänz...