Kapitel 13

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„Omnis qui facit peccatum et iniquitatem facit et peccatum est iniquita."
Zum ersten Mal ärgerte ich mich darüber, dass ich Latein gelernt hatte und nun halbwegs entziffern konnte, was der Priester in seiner Predigt sprach.
Wer Sünde tut, der tut auch Unrecht und die Sünde ist das Unrecht.
Eigentlich hielt ich von der kirchlichen Sündenpredigt wenig – immerhin war zumindest nach unserem Priester alles eine Sünde. Doppeldeutige Witze, Alkohol, Miniröcke, öffentliches Händchenhalten, geheimes Händchenhalten – sofern kein Ring am Finger war. Die Liste war lang und eigentlich nicht ernst zu nehmen. Dennoch blinzelte ich bei seinen Worten unwohl zu meinem Sitznachbarn.
Kieran blickte ungerührt nach vorne. Doch ich spürte wie sein kleiner Finger meinen streifte, der sich wie die anderen um die Kante der hölzernen Bank gekrallt hatte. Es war nur eine winzige Berührung. Doch sofort verursachte sie ein aufgeregtes Flattern in meinem Bauch. Und noch viel schlimmer. Sie setzte eine Gedankenkette in Gang mit Bildern von einem Wald, einem Baum und einem blonden Schopf, der vor mir zwischen meinen Beinen gekniet hatte. Der Blick auf sein Profil half – wenig überraschend – nicht dabei, die Kette zu durchbrechen.
Im Gegenteil.
Als ich seine Lippen sah und die Erinnerung vorbeistreifte, was diese im Wald getan hatten, entflammte ein Feuer in mir, das meine Wangen zum Glühen brachte. Leider kein Höllenfeuer, dass die Gedanken und Erinnerungen ein für alle Mal tilgte.
Ein Räuspern erklang.
Sofort zog ich meine Hand weg und faltete sie im Schoß zu einem stummen Gebet. Natürlich hatte Großvater zu meiner anderen Seite die verhaltene Berührung nicht sehen können. Allerdings ließ mich das Gefühl nicht los, dass seine Augen überall waren.
Mein Magen drehte sich um und ich sandte zum gefühlt hundertsten Mal während dieses Gottesdienstes ein Stoßgebet gen Himmel.
Bitte, bitte, mach, dass uns niemand im Wald gesehen hatte.
Gefolgt von einem zaghaften, wenn auch nicht ganz so überzeugtem: Und bitte mach, dass das, was zwischen uns ist, sich einfach auflöst.
Mit der ewig gleichen Schlussphrase beendete der Priester den Gottesdienst. Die Gemeinde trottete mit ihm hinaus.
Kieran zu meiner linken, Großvater zu meiner rechten.
„Mari", erklang es kaum, dass wir draußen waren. Lilia kam freudig auf mich zugestürmt, während ich damit beschäftigt war, all die widersprüchlichen Gefühle in mir zu sortieren. Ein hoffnungsloses Unterfangen.
„Morgen", grüßte ich angespannt zurück.
Verwundert betrachtete Lilia mich und dann die Stelle zu meiner Linken. „Huch, wo ist denn dein Bruder abgeblieben?"
Überrascht schaute ich zur Seite. Stimmt, Kieran war verschwunden. Manchmal war er wie ein Geist. Ohne einen Mucks tauchte er auf und verschwand ebenso lautlos.
„Gute Frage", murmelte ich, während ein Teil in mir schrie, dass er nicht mein Bruder war.
„Hat er wohl ein schlechtes Gewissen." Lilia zwinkerte mir zu.
„Warum?", fragte ich nervös.
„Wegen des Chaos bei der Party." Sie stieß mich an. „Mei hat erzählt, dass er sich mal wieder gedrückt und euch den ... Dreck des Hockeyteams hat wegmachen lassen."
„Ach so das." Erleichtert winkte ich ab. „Das kennen wir doch mittlerweile von ihm."
„Er knapst immer noch sehr an dem Tod seiner Mutter, oder?" Lilias Gesicht wurde ernst.
Überrascht betrachtete ich Sie. Woher kam denn dieser Themenwechsel nun plötzlich?
„Ähm klar beschäftigt ihn das noch", antwortete ich. „Meine Mutter vermisse ich auch noch sehr." Sofort spürte ich den schweren Stein in meiner Magengegend, wobei ich manchmal das Gefühl hatte, er wäre in all den Jahren leichter geworden. Vielleicht irrte ich mich aber auch.
Lilia nickte. „Das tut mir leid für euch beide. Denkst du, dass er sich deshalb manchmal so verhält?"
Ein ungutes Gefühl machte sich in meinem Magen breit. Es gefiel mir nicht, hinter seinem Rücken über Kieran zu sprechen.
„Was meinst du mit so?", fragte ich.
Lilia schmunzelte. „Du weißt genau, was ich meine. Der Stress mit den Lehrern, über euren Großvater redet er auch nicht wirklich gut. Dabei gibt er sich doch alle Mühe und ist ein wirklich großzügiger Mann."
Ich ballte meine Fäuste um den Stoff meines Rocks. Krampfhaft versuchte ich mehr schlecht als Recht die aufkeimende Übelkeit runterzuzwingen. Doch Lilia reagierte nicht, sondern blickte verschämt zu Boden.
„Vielleicht braucht er einfach jemanden, der ihm hilft und ihn aus diesem Loch rausholt", sprach sie mit verlegener Stimme.
So sehr ich es wollte, konnte ich nicht verhindern, wie mich ein stechendes Gefühl der Eifersucht durchzuckte.
„Ich gebe bereits mein Bestes", entfuhr es mir, bereute die Worte jedoch kaum, dass sie meinen Mund verlassen hatten. Es war falsch und obendrein unfair gegenüber Lilia.
Diese schaute verdutzt auf.
„Tut mir leid", antwortete ich ehrlich. „Das sollte nicht so bissig klingen."
„Das braucht dir doch nicht leid zu tun", erwiderte sie rasch. „Es sollte auch kein Vorwurf sein." Mit einem herzlichen Lächeln, das ihr Gesicht strahlen ließ, sagte sie: „Du machst einen prima Job als seine Schwester."
Ich bin nicht seine Schwester, schrie es in mir, aber ich blieb stumm.
„Seit du hier bist, ist kein einziger Stuhl geflogen." Lilia zwinkerte mir zu. „Du bist auf jeden Fall ein sehr guter Einfluss. Allerdings ..." Sie senkte wieder den Blick. „... ist Familie ja nicht alles. Denkst du nicht, das Kieran jemand an seiner Seite gebrauchen könnte?"
Ich wusste, worauf sie hinauswollte, und es verursachte ein unwohles Gefühl in mir.
„Ich denke, das muss Kieran entscheiden", wich ich aus.
Lilia nickte und ihre Augen wurden trüb. „Da hast du wohl recht."
Es versetzte mir einen Stich, sie so zu sehen. Eine leise Stimme flüsterte mir zu, ob es nicht viel besser wäre, wenn Kieran Lilia daten würde.
„Das heißt aber nicht, dass ich nicht denke, dass es eine schlechte Idee wäre", sprach ich rasch, auch wenn es mir schwerfiel. Unendlich schwer.
Doch ich fuhr fort: „„Er hat viel durchgemacht und ist bestimmt dankbar für ein offenes Ohr."
Lilia lächelte. „Ja, das habe ich mir auch gedacht. Danke Mari."
Nach ein paar gewechselten Sätzen über Jungs im Allgemeinen und Schule im Speziellen verschwand Lilia zwischen den Besucherinnen und Besuchern der Kirche und ließ mich zurück. Ich sollte dringend mit Kieran sprechen. Es war Zeit dem Ganzen ein Ende zu setzen.

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