Erschrocken fuhren wir hoch.
Gott sei Dank war es nicht die Küchentür.
Allerdings waren deutlich Schritte zu hören. Behäbig, aber dennoch bestimmt.
Er war wieder da.
Ich wollte fix meine Knöpfe schließen, aber Kierans Mund an meinem Hals machte mir einen Strich durch die Rechnung.
„Kieran", drängte ich. „Hast du nicht ..." Seine Zungenspitze strich über die feine Haut und brachte mich kurz aus dem Konzept. Doch die Schritte blieben deutlich hörbar ... und kamen näher.
„Kieran", setzte ich erneut an und krallte meine Fingernägel in seine Schultern. Weniger um ihn wegzudrücken, sondern viel mehr, um ihn wieder in die Realität zu holen.
„Hörst du nicht ..."
„Ist doch egal", knurrte er. „Soll er uns doch erwischen ..."
Sein Ton gefiel mir nicht. Provozierend und trotzig.
Ich wich zurück und entzog ihm die Stelle, die er eben noch liebkost hatte.
Er starrte mich an.
„Das meinst du nicht ernst, oder?" Mein Magen krampfte sich zusammen.
Mit einem mürrischen Blick wich Kieran von mir ab und trat zurück. Er lehnte sich gegen die Theke gegenüber.
Ich vermochte seinen Ausdruck nicht zu deuten, aber hüpfte eilig von der Theke. Gerade noch so schloss ich den obersten Kopf, als die Tür aufschwang.
Mein Blick schnellte über den Topf, der immer noch leer war, hinweg zu unserem unerwünschten Besucher.
„Hier seid ihr", kam es ruppig von der Schwelle.
„Du hast uns gefunden, alter Mann", zischte Kieran. „Bravo, nächstes Mal müssen wir uns wohl besser verstecken."
Großvater ignorierte den bissigen Kommentar. Erstarrt wie immer verharrte ich in meiner Position und harrte dem aus, was kommen würde.
„Euch ist schon bewusst, dass wir Küchenpersonal haben?" Ich spürte, wie sein Blick von mir zu Kieran wanderte. „Es gibt also keinen Grund, uns mit deinem exotischen Fraß zu quälen."
Ich dachte, Kieran würde ihm einen weiteren bissigen Kommentar an den Kopf knallen, aber es blieb überraschenderweise still.
Genauso überrascht war ich, als er plötzlich neben mir stand.
„Das Küchenpersonal ist außer Haus, falls es deinen scharfen Augen nicht entgangen ist."
Mit einem Mal fühlte ich Kierans Hand, die sich besitzergreifend auf meinen Hintern gelegt hatte. Natürlich konnte Großvater es hinter der Theke nicht sehen.
„Und falls es dir in all den Jahren nicht entgangen ist, ordere ich das Küchenpersonal auf Wunsch wieder hierhin." Großvater stierte uns an und ich rückte ein Stück von Kieran ab.
„Und du Marisol, brauchst dich gar nicht davonzustehlen. Ich weiß doch, was ihr hier treibt."
Ertappt hielt ich inne. Mein Puls raste in mir unbekannte Höhen und ich sandte ein verzweifeltes Stoßgebet gen Himmel.
Die Stimmung in der muffigen Küche war zum Bersten angespannt.
„Wie bitte?", fiepste ich.
„Du hast mich schon verstanden. Du unterstützt ihn bei seinen dümmlichen Ambitionen, Koch zu werden."
Ein Blitz der Erleichterung durchzuckte mich.
„Genau", sagte Kieran triumphierend und mit einem gehässigen Ausdruck. „Ich werde Meisterkoch. Kein scheiß Jura oder Medizin oder was du dir noch so in den Kopf gesetzt hast."
Großvater fixierte ihn mit kaltem Blick. „Abwarten Junge, die Zeit wird zeigen, wer hier am längeren Hebel sitzt."
„Viel Zeit bleibt dir ja nicht mehr."
„Kieran", entfuhr es mir entsetzt.
„Schon gut, Marisol", kam Großvater mir zuvor. „Du brauchst hier nicht die Mildtätige zu spielen. Ich lasse mir in meinem eigenen Haus nicht auf der Nase herumtanzen und dein Bruder wird bald erkennen, wie beschämend sein Verhalten und diese maßlose Selbstüberschätzung ist. Für alle anderen und vor allem für ihn selbst."
Für seine Verhältnisse schwungvoll drehte Großvater sich um und trottete in Richtung Tür. An der Schwelle drehte er sich noch einmal um.
„Und räumt gefälligst das Essen und die Töpfe weg. Die gelernten Köche kümmern sich darum. Hier hat jeder seinen Platz. Seinen zugewiesenen Platz. So wie immer."
„Er wird echt immer wirrer", murmelte Kieran kopfschüttelnd.
Sauer sah ich ihn an. „Und du auch ..."
„Ich?"
„Er hätte uns beinahe erwischt und was sollte dieser Griff an meinen ..." Ich raufte mir die Haare. „Wenn er es bemerkt hätte."
„Fahr dich runter, Mari. Er bekommt doch eh nichts mehr mit."
„Denkst du. Vielleicht hat er Recht und deine Selbstüberschätzung steigt dir langsam wirklich über den Kopf. Er ist aufmerksamer, als du denkst."
Kierans Augen spien Feuer, aber nicht der verlangenden, sondern vernichtenden Art.
„Und wenn es so ist?" Seine Stimme wurde ein dunkles Grollen. „Dann bekommt er es mit und regt sich auf. Vielleicht kriegt er sogar einen Herzinfarkt und ich bin den alten Sack endlich los."
Mein Herz setzte einen Schlag aus. Mit einem Mal wurde mir eiskalt.
„Willst du das?" Fragend blickte ich Kieran an.
„Was? Dass er krepiert? Klar, warum nicht?"
Ich schüttelte leicht den Kopf. „Dass er sich aufregt." Das klamme Gefühl kroch bis in meine Zehen- und Fingerspitzen.
Leise fuhr ich fort: „Bin ich nur ein Mittel für dich, ihn zu provozieren?"
Kierans Fäuste ballten sich, aber er schwieg.
Ich schlug mir die Hand auf den Mund. Für einen Moment hatte ich das Gefühl, die Küchenfliesen unter mir würden wegbrechen und in ein tiefes schwarzes Nichts entlassen.
„Das ist nicht dein Ernst?" Ich konnte es nicht fassen. Weder die Worte noch den Gedanken. Es war viel schlimmer als die Befürchtung, dass er mich nicht mehr brauchen würde, wenn wir hier flohen. Viel schlimmer ...
„Ich muss raus", keuchte ich und wollte hinauslaufen.
Doch eine starke Hand packte mich. „Warte."
„Lass mich los." Ich entriss meinen Arm aus dem festen Griff, konnte jedoch Kierans Blick nicht deuten.
„Mari", sprach er entnervt. „Ernsthaft jetzt? Ich habe dir vor nicht mal drei Stunden gesagt, dass ich dich liebe."
„Ist das so? Also war das eben aus Liebe?"
Er verdrehte die Augen. „Der Großteil ja. Natürlich würde es mir gefallen, wenn der Idiot an die Decke geht."
„Der Großteil, wow." Tränen bildeten sich in meinen Augen. „War das auch der Grund, warum du so verhalten am Ende heute warst?"
„Verhalten? Wann?"
„Auf der Wiese, nachdem ich dir ebenfalls gesagt habe, dass ich dich liebe."
Kieran rieb sich das Kinn. „Was zur scheiß Hölle?"
„Ich habe gemerkt, dass etwas nicht stimmt", zischte ich. Es fügte sich alles. Leider nicht auf die Art und Weise, wie ich es mir erhofft hatte.
„Ich habe lediglich ein paar Sekunden nachgedacht."
„Worüber?", fragte ich scharf.
„Muss ich jetzt jeden meiner Gedanken mit dir teilen? Es ist doch scheißegal. Genauso wie jetzt. Der Alte hat nichts gemerkt. Es ist nichts passiert."
Mein Atem bebte und ich merkte, wie ich wieder an meinem Rock nestelte.
Kieran starrte mich düster an. „Wobei ich sagen muss, leider."
Er provozierte mich. Er provozierte mich wie Großvater, wie er jeden Menschen provozierte. Ich war für ihn einer von vielen. Es brach mir das Herz und ich merkte gerade noch so, wie meine Füße mich aus dieser gottverdammten Küche hinaustrugen.
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Echoes in Time
RomanceMit acht Jahren wird Marisol adoptiert und zieht in das alte, riesige Herrenhaus der Familie Delorean ein. Dort erwartet sie nicht nur ein neuer Großvater, sondern auch Stiefbruder. Kieran, der Junge in ihrem Alter, zeigt ihr unmissverständlich, das...